Taiwan:Wie ein Popsternchen in einen politischen Konflikt geriet

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Chou Tzuyu, 16-jährige Popmusikerin, musste sich im Internet entschuldigen. (Foto: REUTERS)

Taiwan will keine Wiedervereinigung mit China. Das Land reagiert mit Zorn auf jede Einmischung Pekings. Das bekam nun auch eine 16-jährige Sängerin zu spüren.

Von Kai Strittmatter, Taipeh

China drängt auf Wiedervereinigung, Taiwan will nicht, hütet sich aber, das mächtige China zu provozieren. Die neue Präsidentin, Tsai Ing-wen, führt die Demokratische Fortschrittspartei DFP an, die ihre Wurzeln in Taiwans Unabhängigkeitsbewegung hat, gilt aber als moderat. Pekings militante Zeitung Global Times warnte Tsai am Sonntag dennoch schon einmal vorbeugend vor "Halluzinationen". Tsai selbst betonte in ihrer Siegesrede, sie wolle am Status quo festhalten und den Frieden sichern. Gleichzeitig warnte sie Peking vor "jeder Form von Unterdrückung".

Für wie viel Zorn bei Taiwanesen jede Einmischung Pekings sorgt, ließ sich gerade studieren am Beispiel des 16-jährigen Popsternchens Chou Tzuyu. Der Fall beherrschte den letzten Tag des Wahlkampfes auf Taiwan und löste in allen Lagern Entsetzen aus. Chou ist seit ihrem Sieg bei einer Talentshow Mitglied der südkoreanischen Girlgroup Twice, die auch in China auftritt. Chou genoss ihren Ruhm und die Werbeverträge, bis sie vor ein paar Tagen im südkoreanischen TV mit der Flagge Taiwans in der Hand zu sehen war.

Internetnutzer stellten Vergleiche mit IS-Videos an

Irgendjemand verpfiff die Popmusikerin deshalb in Peking, woraufhin das Management ihrer Band offensichtlich in Panik geriet, aus Sorge um das Chinageschäft. Am Freitagabend, wenige Stunden vor der Taiwan-Wahl, tauchte dann ein Video im Netz auf; es wurde zum meistgeklickten Video des Tages. Der Clip zeigt eine in Schwarz gekleidete Chou Tzuyu, die sich so tief verbeugt, dass sie aus dem Kamerafeld verschwindet, und dann mit blassem Gesicht ihr "tiefes, tiefes Bedauern" ausspricht. "Es gibt nur ein China", sagt die 16-Jährige zitternd. "Und ich habe mich immer als stolze Chinesin gefühlt." Dabei bricht ihr fast die Stimme weg.

Bürger und Politiker aller Lager in Taiwan reagierten mit Fassungslosigkeit, weniger über die junge Künstlerin als über ihr Management und über die in Peking vermutete chinesisch-vaterländische Gesinnungspolizei, die ein junges Mädchen in politische Geiselhaft nimmt. Tatsächlich verglichen nicht wenige Internetnutzer den Auftritt Chous mit dem von Geiseln, die in den Videos des "Islamischen Staates" vorgeführt werden.

Was auch immer seine Initiatoren mit dem Video bezweckten - in Taiwan sorgte es für eine neue Welle antichinesischen Zorns. "Wie ironisch", schrieb die Schriftstellerin und Ex-Kulturministerin Lung Ying-tai: "China wird zum größten Wahlhelfer der DFP".

© SZ vom 18.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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