Tagebücher von Klaus Wowereit:Danach noch eine Weile ins Büro

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Demnächst erscheint die Autobiographie von Klaus Wowereit - wer nicht warten kann, sollte jetzt seine fiktiven Tagebücher lesen.

Marcus Jauer

Es gab noch keine Biographie von Klaus Wowereit. Also hat er sie selbst geschrieben. Der Blessing Verlag verspricht eine "ungewöhnlich offene Lebensbeschreibung", wer Berlins Regierenden Bürgermeister bisher für einen Partylöwen gehalten habe, werde von Herbst an wissen, "wie er wirklich ist". Viel Arbeit. Dabei hätte ein Blick in seine Tagebücher genügt.

Viel unterwegs: Berlins regierender Bürgermeister Klaus Wowereit fährt auf einer Barkasse auf der Havel am neuen Hans-Otto-Theater in Potsdam vorbei (Foto: Foto: ddp)

Sonntag, 8. Juli 2001

Sehr aufgeregt zum Parteitag, wo ich meine wichtigste Rede halten musste. Da mir Jörn zu Hause kein Frühstück hingestellt hatte und es beim Parteitag nur Salzstangen gab, trank ich zwei Bier, die mich jedoch kaum beruhigten.

Danach die Rede gehalten, die mir ausgesprochen gut gelang und von der ich schließlich so ergriffen war, dass ich mich am Ende noch verhaspelte. Anstatt zu sagen, ich bin cool, liebe Genossen, und das ist auch gut so, sagte ich etwas völlig anderes. Die Leute jubelten aber ausgelassen, so dass mein Fehler wohl nicht weiter aufgefallen ist.

Mittwoch, 15. August 2001

Am Morgen lange auf der Waage gestanden. Wiege 88 Kilo, was mir große Sorgen macht, da ich auf allen Wahlplakten dünner aussehe. Danach ins Büro und Umfragen studiert. Liege derzeit bei 44 Prozent, was der Hälfte meines Gewichts entspricht. Obwohl es zwischen beiden Zahlen keinen Zusammenhang geben kann, stellte ich mir für einen Moment vor, es wäre so, worauf mir übel wurde und ich alle Termine absagte.

Dienstag, 11. September 2001

Erfuhr am Abend von meiner Nachbarin im Treppenhaus, dass heute in New York zwei Flugzeuge nacheinander in zwei Hochhäuser hineingeflogen sind, was ein irrer Zufall ist, sollte sich die Geschichte tatsächlich so zugetragen haben.

Montag, 29. Oktober 2001

Nach reichlich Ärger mit den Handwerkern endlich mein Büro im Rathaus bezogen. Saß eine Weile am Schreibtisch und übte Unterschriften. Danach unter dem Vorwand, noch eine schöne Vase für das Fensterbrett besorgen zu müssen, verabschiedet und sehr zufrieden ins Café.

Freitag, 2. November 2001

Den ganzen Abend Streit mit Jörn, dessen Katze ich in den Keller gesperrt hatte. Sie haart und macht in die Wohnung, was aber weder er noch sie zugeben. Wir stritten die halbe Nacht, ohne dass einer nachgab. Danach ohne ein Wort ins Bett. Später träumte ich, die Katze sei gestorben, als ich aber nachsehen ging, hatte sie nur in den Keller geschissen. Ich trat ihr absichtlich auf den Schwanz, was ich bald bereute, weil Jörn von dem ganzen Krach wach geworden war.

Donnerstag, 15. November 2001

Erstmals zur Verleihung des Bambi, auf der man umsonst essen und trinken kann. Hatte am Ende eine Flasche Champagner in der einen und einen roten Damenschuh in der anderen Hand, ohne zu wissen, wie sie dahin gekommen waren. Morgens mit Kopfschmerzen erwacht und gelobt, diese Woche auf Alkohol zu verzichten, da ich nachts davon schwitze, und er mich auch sonst durcheinanderbringt.

Dienstag, 26. Februar 2002

Beim Mittagessen erzählte Wirtschaftssenator Gysi von seiner Ausbildung als Rinderzüchter in der DDR. Wie er Kühe von Hand besamte und was er dazu alles mit ihnen anstellte. Ich zog ein angewidertes Gesicht, obwohl mich die Sache interessierte und sagte, dass man in dieser DDR weder Mensch noch Rind hätte sein wollen, wobei Gysi mir heftig zustimmte. Das wird ihm sicher Ärger mit seiner Partei einbringen, meinte die Reporterin, der ich die Geschichte später weitererzählte.

Mittwoch, 13. März 2002

Im Büro in Wut geraten, weil die Akten des neuen Finanzsenators Sarrazin überall herumlagen. Er behauptete, endlich einen Überblick über die finanziellen Möglichkeiten unserer Stadt gewonnen zu haben und schilderte die Lage in den düstersten Farben. Als ich ihm nicht glauben wollte, übergab er mir ein Dossier mit jeder Menge Zahlen. Ich schaute aber nicht hinein, sondern zerriss es vor seinen Augen, was mir danach leid tat, da der Mann die ganze Nacht daran gearbeitet hatte. Ich kann jedoch nicht dulden, dass er hier Papiere verfasst, die Schimpf und Schande über uns bringen, sollten sie einem Dritten in die Hände fallen.

Dienstag, 30. Juli 2002

Am Waschbecken der Senatstoilette Gysi getroffen, der mir mitteilte, dass er morgen zurücktritt. Ich habe den Grund nicht ganz verstanden, wollte aber nicht nachfragen und sagte nur, ich bedaure, dass er geht, was sogar die Wahrheit ist. Schließlich noch gemeinsam ins Café und schlecht über die anderen Senatoren geredet, die allesamt Langweiler sind.

Mittwoch, 1. Oktober 2003

Heute fünfzig geworden und den Tag frei genommen, um das Fest vorzubreiten. Es wurde ein großer Erfolg. Bekam von Gottschalk einen Auftritt in seiner Sendung geschenkt, von Udo Walz einen Haarschnitt für Jörn, von Sabine Christiansen einen Goldfisch in einem Wasserglas, das ich aber heimlich stehen ließ, weil ich die Sitze meines Dienstwagens nicht versauen wollte. Auf der Heimfahrt auf mein Leben zurückgeschaut und mich vom Glück verwöhnt gesehen, wie ich es mir nie erträumt hätte und es womöglich gar nicht verdiene. Da ich aber nicht wusste, wie ich daran etwas ändern könnte, beschloss ich, nicht weiter darüber nachzudenken.

Donnerstag, 16. Oktober 2003

Weiterhin ganz natürlich: Klaus Wowereit mit Sesamstraßen-Star Ernie im September 2006 bei der Kika-Sommertour (Foto: Foto: dpa)

Auf Dienstreise in Mexico, dessen Hauptstadt praktischerweise genauso heißt wie das Land. Erst ins Frühstücksfernsehen, dessen Moderator sich als Clown verkleidet hatte. Dann Stadtrundfahrt. Ich kaufte einen Sombrero für Jörn und für Sarrazin eine kleine Holzfigur. Anschließend Büffet, bei dem ich ohne schlechtes Gewissen zugriff, da die Mexikaner alles bezahlten. Am Abend mit dem Clown und ein paar deutschen Touristen um die Häuser gezogen und Corona-Bier getrunken, das hier viel billiger ist als zu Hause. Am Hotel schließlich alle nett verabschiedet, nach Berlin eingeladen und mit Autogrammkarten von mir weggeschickt.

Donnerstag, 15. Januar 2004

Als ich gegen Mittag ins Büro kam, hörte ich, dass der Bundeskanzler nach mir gefragt habe. Ich sogleich ins Kanzleramt, wo mir Gerhard Schröder die hoffnungslose Lage schilderte, in die er unsere Partei mit seiner Politik gebracht hatte. Dabei sprach er lobend über meine Sparpolitik und den harten Kurs, den ich in meiner Stadt fahre. Er sagte mir, dass er gern ebenso verfahren würde, er habe es aber mit der SPD zu tun, nicht mit Berlin. Ich sicherte ihm meine Unterstützung zu, da es nicht anginge, dass sich Leute auf Kosten des Staates amüsierten. Er gab mir in allem recht und wirkte, als ich ihn verließ, schon viel zuversichtlicher.

Dienstag, 24. Februar 2004

Spät auf und nach einer Runde Minigolf ins Büro. Abends ins Naturkundemuseum, wo ich Pate eines Wombats wurde. Eine Fernsehreporterin sagte mir, es handele sich um ein nachtaktives Beuteltier, das über ein belastbares Hinterteil verfüge. Ich vermutete, dass sie es zotig meinte, ließ mir aber nichts anmerken und streichelte das Tier, was ich auch ohne Furcht konnte, da es ausgestopft war.

Mittwoch, 7. April 2004

Nachdem ich mit Jörn unbeschwerte Tage an der Ostsee verlebt habe, holte mich die Arbeit wieder ein. Jemand aus unserer Beachvolleyballmannschaft erzählte mir, mein Bausenator sei in einen Immobilienskandal verwickelt, worauf ich zur Rezeption eilte und ihn kurzerhand feuerte. Anschließend machte ich die Auszubildende aus seinem Vorzimmer zur Nachfolgerin, da ich sie gerade in der Leitung hatte. Sie reagierte verdutzt, aber ich sagte ihr, auch ich habe mal klein angefangen und hätte es nie so weit gebracht, wenn mir keiner eine Chance gegeben hätte.

Samstag, 13. November 2004

Auf einer Gala lange mit Désirée Nick geküsst, was gar nicht mal schlecht war, obwohl sie ja nur eine gute Freundin ist. Ich frage mich allerdings, ob sie genauso hinter mir her wäre, wenn ich mich als Mann für sie interessieren würde.

Dienstag, 16. November 2004

Nahm mir vor, so lange nicht mehr auszugehen, bis ich alle meine Papiere geordnet habe, woraus wahrscheinlich aber nichts werden wird, weil ich morgen schon wieder irgendwo eingeladen bin.

Freitag, 26. November 2004

Sollte mich heute vor dem Abgeordnetenhaus rechtfertigen, weil ich Désirée Nick geküsst habe, was ich selbstverständlich abstritt. Als mir daraufhin allerdings Fotos vorgelegt wurden, die ein weiteres Leugnen sinnlos machten, gab ich mich kleinlaut, und schließlich war alles wieder gut.

Montag, 6. Dezember 2004

Mittags auf einen Sprung ins Borchardt, in dem aber nur wieder Udo Walz saß. Er erzählte mir, dass er mit Sabine Christiansen einen Friseursalon für Hunde eröffnen wollte, was ich für eine großartige Idee halte, obwohl mir bisher nicht aufgefallen war, dass die Hunde in unserer Hauptstadt schlecht frisiert sind.

Samstag, 11. Dezember 2004

Früh ins Büro, wo ich jedoch niemanden antraf und auch keine Anrufe eingingen. Saß da und dachte, wie schnell die Macht mich doch einsam gemacht hatte. Merkte schließlich aber, dass bloß Samstag war und ich mich im Tag vertan hatte.

Montag, 13. Dezember 2004

Habe mich bei einer Fernsehsendung einem Wissenstest unterzogen und konnte dabei das Wort Rhythmus nicht buchstabieren. Obwohl die Sendung aufgezeichnet wurde, bekam ich keinen zweiten Versuch, und es hieß, alles solle genau so ausgestrahlt werden. Ich hoffe nur, dass sich das niemand anschaut und will nun auch abends häufiger im Duden lesen.

Mittwoch, 12. Januar 2005

Böser Streit mit Sarrazin, der mir vorwarf, ich interessiere mich nicht für seine Arbeit. Ich versprach, mich zu bessern und ärgerte mich anschließend darüber, da die Schulden ja seine Sache sind und ich sowieso nichts dagegen tun kann.

Dienstag, 14. Juni 2005

Am Abend Tom Cruise getroffen, der tatsächlich sehr gut aussieht, auch wenn er nicht ganz meine Erwartungen erfüllte. Er erzählte von dem Film, den er gern in Berlin drehen würde. Allerdings zögere er, da das Drehbuch die Sprengung einiger größerer Gebäude vorsehe und er mir keinerlei Umstände machen wolle. Ich erklärte ihm, dies sei überhaupt kein Problem und rief noch im Restaurant den Innensenator an, der schon geschlafen hatte. Nach einer kurzen Einleitung reichte ich das Telefon an Cruise weiter, damit sie die Einzelheiten besprechen, was auf beide großen Eindruck machte.

Sonntag, 18. September 2005

Zu Hause geblieben und Rezept für Apfelkuchen ausprobiert, das sehr gut gelang, obwohl ich vergessen hatte, Backpulver zu kaufen und den Chauffeur deswegen durch die Stadt jagen musste. Später vor den Fernseher und mit Jörn Bundestagswahl geschaut. Sieht aus, als habe Schröder die Wahl verloren, was mich betrübt. Er ist ein Mann mit großen Verdiensten, und ich verstehe nicht, warum er eine solche Schmach erdulden muss, andererseits hat er es wohl nicht besser verdient.

Sonntag, 1. Januar 2006

Da ich in diesem Jahr wiedergewählt werden möchte, habe ich an Neujahr zahlreiche Vorsätze gefasst. Ich hoffe, ich halte mich auch daran und bleibe demütig und bescheiden, da mein Leichtsinn schnell alles wieder ruinieren könnte.

Dienstag, 3. Januar 2006

Liege in Umfragen bei 62 Prozent, wohingegen mein Gewicht nur 81 Kilo beträgt. Sehr vergnügt ins Büro und ebenso heim.

Mittwoch, 15. März 2006

Gemeinsam mit Sarrazin einen Brief an Angela Merkel aufgesetzt, in dem wir die aussichtslose Lage der Stadt schilderten. In finanziellen Angelegenheiten ist unser Ruf inzwischen so miserabel, dass keiner mehr für uns arbeiten möchte und Dinge, die wir bestellt haben, nur noch ausgeliefert werden, solange wir mit unserem eigenen Vermögen dafür bürgen. Wir schlugen vor, dass die Bundesregierung alle unsere Schulden begleicht, da wir sonst vor Gericht gehen werden, was sie sicherlich noch sehr viel teurer zu stehen käme.

Montag, 10. April 2006

Hörte im Radio, dass Mehdorn den Bahnhof Zoo schließen will, was er vermutlich gar nicht darf, außerdem ist er ein Wahrzeichen der Stadt. Fuhr zu ihm, um die Sache zu bereden, was unmöglich war, da Mehdorn mich erst nur anbrüllte und danach gleich zur Tür brachte. Ich hoffe, dass er sich beruhigt, wenn wir uns eine Weile nicht gesehen haben, was er ebenfalls für eine hervorragende Idee hielt.

Mittwoch, 30. August 2006

Udo Walz bot an, mir die Haare für den Wahlkampf grau zu tönen, damit ich einen seriöseren Eindruck mache. Ich lehnte aber ab, da ich mich durch mein Amt nicht so stark verändern möchte.

Dienstag, 19. September 2006

Zwei Tage, nachdem ich meine Wahl gewonnen hatte, musste ich in Bild lesen, dass ich nun für den Posten des Bundeskanzlers in Frage komme. War darüber sehr ungehalten, da ich schon jetzt kaum Zeit für Hobbys finde und die neue Stelle sicher noch mehr Arbeit macht. Ich wies meine Sekretärin daher an, alle diesbezüglichen Anfragen abzulehnen, musste am Abend aber feststellen, dass sich diesbezüglich gar niemand erkundigt hatte.

Donnerstag, 19. Oktober 2006

Erhielt heute den Spruch des Bundesverfassungsgerichts, nach dem unsere Stadt noch immer zu wenig gespart habe und darum nicht auf die Hilfe anderer hoffen könne. Ich war darüber sehr niedergeschlagen, da ich fest mit dem Geld gerechnet hatte und nicht mehr weiß, wie wir die Katastrophe noch abwenden sollen.

Donnerstag, 8. März 2007

Brachte Friedbert Pflüger einen Blumenstrauß ins Büro, worüber er sich sehr freute. Obwohl er öffentlich anderes behauptet, versicherte er mir, keinerlei Groll gegen mich zu hegen und erzählte anschließend von dem Missgeschick, dass er kürzlich einen Kleiderbügel in seinem Sakko vergessen habe und dann den ganzen Tag so herumgelaufen sei.

Dienstag, 26. März 2007

Früh aus dem Bett und den ganzen Tag Termine. Einen kleinen Mann mit Gitarre zum Ehrenbürger gemacht und spaßeshalber auch noch seine Frau und drei seiner Kinder, die in der Nähe rumstanden. Dann in den Zoo und einem afrikanischen Präsidenten unseren jungen Eisbären gezeigt, der ihn mir sofort abkaufen wollte, was ich ihm aber abschlug, da mir nicht einfiel, was wir aus seinem Land gebrauchen könnten. Gegen Mittag ins Büro und unter anderem die Bewerbung für die Olympischen Spiele der Jahre 2016, 2020 und 2024 unterschrieben. Dann am Fenster gesessen und den Autos nachgesehen. Abends zu einer Ausstellungseröffnung in einer Currywurstbude und noch zu irgendwas in die Oper. Spät ins Bett und noch lange wachgelegen vor Glück.

Mittwoch, 4. Juli 2007

Nachmittags ins Büro und da mit einem Stift ein Loch in die Wand gebohrt, um in das angrenzende Zimmer schauen zu können. Es war aber nichts zu sehen.

© SZ vom 07.07.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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