"Tag des Sieges":Warum der 9. Mai für Russland so wichtig ist

Zum "Tag des Sieges" marschieren in Moskau Tausende Soldaten auf - nirgendwo wird das Ende des Zweiten Weltkrieges so groß gefeiert wie in der russischen Hauptstadt. Auch auf der Krim wird eine Militärparade abgehalten. Für Präsident Putin geht es längst um mehr als um einfaches Gedenken.

Von Antonie Rietzschel

Als Hitler-Deutschland am 8. Mai 1945 kapituliert, tanzten in London und in New York die Menschen auf den Straßen. In Moskau blieb die große Party jedoch zunächst aus, als die Bevölkerung wegen der Zeitverschiebung erst am 9. Mai erfuhr, dass der Krieg offiziell vorbei war.

Zwar versammelten sie sich auf dem Roten Platz und bestaunte das Feuerwerk, aber über all dem lag auch das Wissen darüber, welches Opfer der "Große Vaterländische Krieg" der Sowjetunion abgerungen hatte: 30 Millionen Tote, eine gesamte Generation war beinahe komplett ausgelöscht worden. Städte wie Stalingrad lagen in Trümmern. Selbst Diktator Josef Stalin soll damals nicht gerade in Feierlaune gewesen sein.

Heute gehört der 9. Mai als "Tag des Sieges" zu den wichtigsten Feiertagen in vielen ehemaligen Republiken der Sowjetunion. Ob in der Ukraine, wo im Kampf gegen die Wehrmacht mehr Menschen ums Leben kamen als amerikanische, britische und französische Soldaten zusammengenommen, oder in Weißrussland - überall marschieren Soldaten auf. Veteranen bekommen einen Ehrenplatz auf der Tribüne, an den riesigen Kriegsdenkmälern werden Blumen niedergelegt. Gemeinsam feiert man den Sieg über den Faschismus - aber auch die Wiederauferstehung aus Not und Leid, die Überwindung eines Traumas. "Es ist Zeit zu leben", soll ein sowjetischer Offizier nach Kriegsende gesagt haben.

2008 rollte wieder der erste Panzer

Am größten wird in der russischen Hauptstadt Moskau gefeiert: 11.000 Soldaten marschieren auf dem Roten Platz auf, gefolgt von Panzern und schwerer Kriegstechnik. Kampfjets donnern über die Basilius-Kathedrale. In diesem Jahr wird ein Teil der Flotte ihren Auftritt bei der Militärpararde in Sewastopol haben, auf der nun wieder russischen Krim. Ob es in der Ukraine zu Protesten und Ausschreitungen kommt, bleibt abzuwarten.

Der 9. Mai ist in Moskau nicht nur ein Tag des Gedenkens. Er bietet die Möglichkeit, die Stärke Russlands zu demonstrieren - nach außen, aber vor allem nach innen. Diese Entwicklung ist eng mit Putin verknüpft. Nach dem Zerfall der Sowjetunion war die Parade mehrere Jahre ausgefallen, bis sie 1995 wiederbelebt wurde. 2008 rollte dann wieder der erste Panzer über den Roten Platz.

Zahlreiche Staats-und Regierungschefs haben mittlerweile an Feierlichkeiten teilgenommen. George W. Bush und Jacques Chirac standen bereits neben Wladimir Putin auf der Ehrentribüne, Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder ebenso. Vor vier Jahren kam auch Bundeskanzlerin Angela Merkel nach Moskau. Allerdings war damals, beim 65 Jahrestag des Kriegstags, Dmitrij Medwedjew Russlands Präsident.

Neue Patriotismusdiskussion

Die Zeit um den 9. Mai ist in Russland auch immer eine Zeit an den patriotischen Gefühlen der Bevölkerung zu rühren - in diesem Jahr mehr als sonst. Angesichts des Konfliktes in der Ukraine bedienen sich Präsident Putin und sein Außenminister Sergej Lawrow seit Wochen nationalistischer Töne: Sie beschreiben Russland als Opfer gefährlicher Einflüsse aus dem Westen.

Dort gebe es antirussische Ressentiments, die auf den zunehmenden Fremdenhass und Rassismus in Europa zurückführen seien, sagte Lawrow Mitte April. Für Putin hat der Westen Angst vor Russlands Größe, weshalb er den Patriotismus zur "treibenden Kraft des russischen Volkes" erklärt.

Angesichts solcher Rhetorik ist es nicht verwunderlich, wenn der Duma-Abgeordnete Arkadi Ponomarew von der Partei "Geeintes Russland" nun nach einem Gesetz verlangt, das Kinder und Jugendliche vor "falschen Darstellung von Patriotismus" schützen soll. So müsse es künftig verboten sein, sich gegenüber dem Nachwuchs abwertend über diesen Begriff zu äußern.

Besonders im Internet werde Patriotismus mit Begriffen wie Nationalismus oder Nationalsozialismus gleichgesetzt. So zum Beispiel bei Erzählungen über den "Großen Vaterländischen Krieg". Kritik wird auch fast 70 Jahre nach dessen Ende nicht gern gesehen. Schon der kleinste Zweifel am Vorgehen der Sowjetunion kann die Existenz bedrohen - wie das Beispiel des liberalen Fernsehsenders TV-Doschd zeigt.

Dort wollte man von den Zuschauern wissen, was sie über die Blockade des heutigen Sankt Petersburg denken: "Hätte man Leningrad aufgeben müssen, um Hunderttausende Menschenleben zu retten?" Die Frage rührt mitten an das heilige Tabu, den Sieg im Großen Vaterländischen Krieg gegen Hitler-Deutschland. Die Folgen für TV-Doschd waren drastisch: Der Sender ist mittlerweile nicht mehr flächendeckend in Russland zu sehen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: