Tag der Verschwundenen:Als ob man aufhört, zu existieren

Der 30. August erinnert jedes Jahr an die Hunderttausenden, die aus politischen Gründen verschleppt wurden. Viele tauchen nie mehr auf.

Pia Röder

12 Bilder

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Quelle: SZ

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Donde esta? - Wo ist er?

Auf einer Hauswand in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires wurde das Bild von Jorge Julio López gesprüht. Er ist bereits zum zweiten Mal in seinem Leben verschwunden.

Das erste Mal wurde López 1976 entführt - von Schergen des argentinischen Militärs, das gerade durch einen Putsch an die Macht gekommen war. Der Maurer war in der linken Arbeiterbewegung aktiv, Leute wie er wurden damals in Massen eingesperrt, misshandelt und ermordet. Drei Jahre später kam er wieder frei. Dreißig Jahre später war López Zeuge im Prozess gegen den damaligen Polizeichef Miguel Etchecolatz, der ihn hatte foltern lassen. Etchecolatz wurde verurteilt - und López verschwand wieder. Das war am 18. September 2006. Seine Familie fürchtet, er könnte von Anhängern der früheren Militärregierung getötet worden sein, um potentiellen Zeugen in ähnlichen Prozessen abzuschrecken.

Foto: ICAED

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Engel gegen das Verschwinden

"Sie können dich jederzeit einfangen. Wenn du auf der Arbeit bist, während du schläfst, wenn du die Straße entlang läufst, um einzukaufen - Tag oder Nacht. Sie tragen Militär- oder Zivilkleidung während sie dich wegbringen - ohne Begründung oder Haftbefehl. Sie scheuen sich nicht davor, Gewalt anzuwenden, wenn sie sich wegbringen. Die Offiziellen leugnen, irgendetwas zu wissen. Es ist, als ob du einfach aufhörst zu existieren..." - International Coalition Against Enforced Disappearences (ICAED)

Am 30. August findet der internationale Tag der Verschwundenen statt. Seit 25 Jahren arbeitet die ICAED zusammen mit Menschenrechtsorganisationen und Experten aus vielen Ländern zusammen. Ihre Sorge gilt dem Schicksal von Menschen, die gewaltsam entführt wurden und seitdem verschwunden sind.

Auf diesem Bild sieht man Kinder, die als Engel verkleidet in El Salvador "den Marsch gegen das Verschwinden" laufen.

Foto: ICAED

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Tappen im Dunkeln

Laut der ICAED ist es unmöglich zu sagen, wie viele Menschen weltweit in den letzten Jahrzehnten verschwunden sind. Oft werden Fälle überhaupt nicht gemeldet - meist in Ländern wie dem Irak, in denen ein politischer Konflikt immer noch anhält. Oft sind sich die Menschen auch nicht sicher, dass ein Verschwinden einen kriminellen Hintergrund hat. In den vergangenen Jahren sind besonders in Sri Lanka, Nepal, Kolumbien, Kaschmir, Tschetschenien, Pakistan und auf den Philippinen Menschen verschwunden.

Viele sind und bleiben verschollen, wie diese Mexikaner, die während des Massakers im Jahr 1971 verschwunden sind. Die Familienmitglieder suchen oft viele Jahre nach ihren Angehörigen. Nur in seltenen Fällen werden die sterblichen Überreste gefunden und identifiziert.

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Argentinien

Ein Mitglied der Menschenrechtsorganisation "Human Rights Madres de Plaza de Mayo" schaut auf die Bilder derer, die während der Militärdiktatur in Argentinien spurlos verschwunden sind. Die Fotos wurden im November 2007 bei der Einweihung des Buenos Aires' Memorial Parks ausgestellt.

Laut der Organisation CONADEP (Comisión Nacional sobre la Desaparición de Personas) sind in Argentinien über 30.000 Menschen verschwunden - man nennt sie "Desaparesidos". Allein während der Militärdiktatur (1976 bis 1983) sollen etwa 9000 Menschen verschleppt worden sein.

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Guatemala

Vor über zwanzig Jahren wurde diese Familie auseinander gerissen. Bonifacio (Mitte) trifft nach Jahrzehnten seine Eltern und Verwandten wieder.

Offiziell spricht man in Guatemala von 3155 Verschwundenen. Die Menschenrechtsorganisationen "Projecto Desaparecidos" oder "Familiares de Detenidos-Desaparecidos de Guatemala" sprechen von weit über 40.000. Die Opfer stammen aus allen Gesellschaftsschichten: Studenten, Gewerkschafter und Bauern. Sie sind meist in politisch linke Aktionen verstrickt. Während der Militärdiktatur zwischen 1979 und 1986 sind die meisten Menschen verschwunden.

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Marocco

Dieser kleine Junge aus Marokko hat seinen Onkel verloren. Houcine Ben Ali El-Manouzi war Mitglied der Protestorganisation Moroccan Labour Union und verschwand im November 1972. Er war Flugzeugmechaniker und wurde 1963 aus der Royal Air Maroc unehrenhaft entlassen. Nach seinem Ausscheiden ist er nach Belgien ausgewandert und war dort weiter in der Organisation aktiv. Nach dem Prozess gegen ihn und andere Kritiker des Staates im Jahr 1971 verschwand er spurlos. Amnesty International vermutet ihn in Einzelhaft wegen seines gewaltlosen politischen Protests.

In Marokko sind in den letzten Jahrzehnten 248 Menschen verschwunden, 97 von ihnen bis heute ohne jede Spur. Die meisten Fälle trugen sich zwischen den Jahren 1972 und 1980 zu. Meist wurden Polisario-Aktivisten Opfer von solchen Vorfällen. Bis 1975 trugen die Polisario-Aktivisten einen bewaffneten Unabhängigkeitskampf gegen die spanische Kolonialmacht aus. Später richtete sich der Kampf gegen die marokkanische Regierung. Noch bis zum Waffenstillstandsabkommen im Jahr 1991 verschwanden immer wieder Menschen in dem nordafrikanischen Land.

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Südafrika

Nichtregierungsorganisationen schätzen, dass 1500 Menschen während der Zeit der Apartheid in Südafrika verschwunden sind. Einige Fälle wurden aufgeklärt, doch von den meisten fehlt jede Spur.

Dumisanes Bruder ist einer von Ihnen. Er und seine Mutter hoffen heute noch auf ein Lebenszeichen von ihm.

Hauptsächlich zwischen 1985 und 1994 verschwanden Menschen in den Provinzen Natal und Tansvaal. "Ein Missing Persons Task Team" wurde darauf angesetzt die Fälle zu verfolgen und Informationen über die vermissten Personen zu sammeln.

Während des Apartheid Regimes wurden viele gezielt von kriminellen Gangs entführt, die von offizieller Seite angeheuert wurden. Man hielt die Opfer in Polizeistationen fest. Selbst wenn die Polizeikräfte gegen die Inhaftierten keine stichfesten Beweise hatten, ließen sie sie nicht frei oder töteten sie. Danach wurden einfach Dokumente ausgestellt, die belegten, dass die Personen wieder auf freiem Fuß seien. . Eine nicht geringe Zahl der Verschwundenen ist auf den Konflikt zwischen der United Democratic Front (UDF)/ANC und der Inkatha Freedom Party (IFP) in den späten Achtzigern und frühen Neunzigern zurückzuführen. Viele gingen damals in Exil und es ist heute schwer nachzuvollziehen, welche von ihnen wirklich gewaltsam entführt wurden und verschwunden sind.

Einige wurden von südafrikanischen Verteidigungstruppen getötet, andere starben auf natürlichem Weg und wieder andere legten sich eine neue Identität zu, damit man sie nicht finden kann.

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Irak

Der Vater des dreijährigen Hassan (links) wurde gekidnappt und verschwand ohne jede Spur. Kurze Zeit später starb seine Mutter.

Seit der Machtergreifung Saddam Husseins in den siebziger Jahren gibt es zahlreiche gewaltsame Entführungen im Irak. Die meisten Fälle ereigneten sich ab dem Jahr 1988 während des Militärschlags gegen Kurdistan. Am Verschwinden von Menschen sind nach Angaben von Bürgerrechtsbewegungen das irakische Militär, die irakische Polizei, die Al Quaida und US-Truppen beteiligt.

Foto: ICAED

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Philippinen

Corazon Olediana-Esrojero war eine Aktivistin während des Regimes unter Diktator Marcos. Sie war Mitglied der Freien Gemeinschaft neuer Frauen (Malayang Kilusan ng Bagong Kababihan), einer militanten Organisation, die zu dieser Zeit auf den Philippinen sehr umstritten war.

Am Morgen des 14. November 1987 verschwand ihr Mann Edgardo Aguirre Estojero. Er sprach noch an der Haustür mit einem Kollegen, von dem Corazon heute vermutet, dass er ein Informant der Polizei gewesen ist. Ihr Mann verabschiedete sich von ihr und sagte er wollte nur schnell die Morgenzeitung kaufen. Sie hat ihn nie wieder gesehen.

2004 nahm Corazon an dem ersten Treffen der "Asian Families of Victims of Enforced or Involuntary Disappearances" in der indonesischen Hauptstadt Jakarta teil. Sie hörte die Geschichten der anderen Familien, die das gleiche erlebt haben, wie sie. "Das war wie eine Therapie für mich", sagte Corazon.

In den siebziger und achziger Jahren fanden überall im Land Aufstände gegen die New People's Army (NPA), die Moro Islamis Liberation Front (MILF) und andere abtrünnigen muslimischen Gruppierungen auf den Phillipinen statt. In dieser Zeit verschwanden die meisten Menschen. Bis in die Neunziger gab es immer noch vermehrt Fälle von Entführungen. Laut der Organisation FIND (Families of victims of Involuntary Disappearances) sind insgesamt 1846 Menschen verschwunden. Zwischen Januar 2001 und Dezember 2007 sollen 185 Menschen spurlos verschwunden sein.

Foto: ICAED

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Weißrussland

In Weißrussland sind drei Mitglieder der Regierung unter Präsident Alexander Lukaschenko verschwunden, ohne dass sie jemals wieder aufgefunden wurden.

Irina Krasovskaya Mann Anatoly Krasovskij (2. von rechts), ein dort bekannter Geschäftsmann, ist einer von ihnen. In der Nacht vom 16. September 1999 stieg er ins Auto zu Viktor Gonchar, einem politischen Gegner Lukaschenkos und ist seitdem nie mehr aufgetaucht.

Obwohl es gefährlich ist, in Weißrussland über die Verschwundenen in zu sprechen, ist Irina Krasovskayas damit trotzdem an die Öffentlichkeit getreten. Sie sprach vor der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und mit US-Präsident George W. Bush und machte so auf das Schicksal ihres Mannes aufmerksam.

Foto: ICAED

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Türkei

In der türkischen Stadt Dyarbakir demonstriert eine Familie gegen das gewaltsame Verschwinden. Die Bilder hinter Ihnen zeigen Opfer von Entführungen, die nie mehr aufgetaucht sind.

In der Türkei wurden bislang 181 Personen als verschwunden gemeldet, 70 Fälle davon wurden nie aufgeklärt. Meist steht das Verschwinden in Zusammenhang mit dem Kurdenkonflikt. Viele Opfer sind Mitglieder der kurdischen Arbeiterpartei PKK.

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Künstlerische Aufarbeitung

Der Künstler Isabel Ruiz zeichnet an eine Hauswand in der guatemalischen Stadt Antigua 45.000 Striche, die symbolisch für die Opfer des Bürgerkriegs stehen, die zwischen 1960 im 1996 entführt, gefoltert oder getötet wurden. Die Performance ist Teil einer Ausstellung namens "The Disappeared" an der 25 lateinamerikanische Künstler im Juni 2008 teilnahmen.

Wie viele Menschen tatsächlich wieder auftauchen, könne man nicht sagen, so das International Coalition Against Enforced Disappearences. Nach den ersten zwei Tagen des Verschwindens sinken die Chancen rapide, jemanden lebendig wiederzufinden. Die meisten bleiben für immer verschollen.

Foto: AFP

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