Tag der Industrie:Bitten an die Wirtschaft

Tag der Deutschen Industrie 2015

"Reden Sie mit ihren Mitarbeitern über die Flüchtlinge": Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) sprach beim Tag der Deutschen Industrie in Berlin.

(Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)

Merkel und Gabriel werben um Unterstützung für Flüchtlinge. BDI-Chef Grillo fordert im Gegenzug die große Koalition "zu mehr Geschlossenheit" auf. Was die Integration betrifft, äußert er sich skeptisch.

Von Cerstin Gammelin

Eigentlich, so sagte es SPD-Chef und Vizekanzler Sigmar Gabriel am Dienstag auf dem Tag der Deutschen Industrie in Berlin, sei die Krise in der Koalition "gar nicht so schlimm, wie sie sich liest". Doch gleichwohl brachte sie einige Planungen durcheinander, so wie die des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI). Nacheinander sollten sie an diesem Dienstag auf dem Spitzentreffen der deutschen Industriellen reden: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Bundeswirtschaftsminister Gabriel (SPD), schließlich Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU). Der schwelende Krach zwischen SPD und Union schrieb die Tagesordnung um. Seehofer ließ absagen, weil er mit Merkel vor Kameras und Unionsfraktion treten musste, um die neue Einigkeit der Union zu demonstrieren. Merkel kam zwar, redete auch, entschwand aber, bevor Gabriel eintraf. Die Parteichefs von CDU und SPD verpassten sich am Eingang zum ehemaligen Postbahnhof am Ostbahnhof, wohin der BDI mehr als 1000 Gäste eingeladen hatte.

Das Verpassen lässt anderseits die Schlussfolgerung zu, dass die gleichlautende Bitte, die Merkel und Gabriel in ihren Auftritten vortrugen, und die einige Teilnehmer auch als Hilferuf an die Wirtschaft verstanden wissen wollten, nicht abgesprochen war. Was wiederum Gabriels Ansage bekräftigte, dass das mit dem Streit nicht "so schlimm" sei. Die SPD ist darum bemüht, die Differenzen zu glätten, Fraktionschef Thomas Oppermann war am späteren Nachmittag sogar " sicher, dass wir am Donnerstag ein Ergebnis finden". Am Donnerstag treffen sich die Parteichefs erneut, um den Streit um die Flüchtlinge beizulegen.

Doch zurück zum BDI an diesem Dienstag. Merkel nimmt sich mehr als zwanzig Minuten Zeit, um über Digitales, das Klima und den Stabilitätspakt zu reden. Dann kommt die Flüchtlingskrise. Sie wirbt unter den Firmenchefs, Wirtschaftspolitikern und Ökonomen offen um Unterstützung. "Wir können diese Herausforderung nicht an der deutsch-österreichischen Grenze lösen", ruft sie ihnen zu. Wenn wir zu klein denken, wenn wir zu sehr auf uns bezogen denken, dann wird das wieder eine große Gefährdung für Europa sein. Schließlich: "Ich bitte Sie, überall dafür zu werben." Dem Applaus nach zu urteilen, der aufbrandet, sind die Wirtschaftschefs bereit, sie zu unterstützen.

"Die Integration kann gelingen", sagt Industrie-Chef Grillo. Das klingt nicht mehr so optimistisch

Derselbe Ort, dreißig Minuten später. Merkel ist gegangen, Gabriel verspätet gekommen. Er redet davon, dass die starke deutsche Wirtschaft überhaupt erst die Zuversicht in der Flüchtlingskrise zulässt, die seine Vorrednerin zu den bekannten Worten "Wir schaffen das" verführt hat. Er müsse der Merkel'schen Zuversicht Realismus zur Seite stellen, sagt Gabriel - und kommt direkt zu seiner Bitte: "Reden Sie mit Ihren Mitarbeitern über die Flüchtlinge", ruft er in den Saal. "Hören Sie hin, wenn die Mitarbeiter Ihnen sagen, für die Flüchtlinge tun Sie alles und für uns nicht." Der Wirtschaftsminister lässt ein weiteres Lob an die "exorbitant gute Wirtschaft" folgen. Am Nachmittag dann rät Gabriel seiner Partei im Flüchtlingsstreit mit der Union, die Nerven zu behalten. "Wir sollten von Merkel lernen: cool bleiben", sagte Gabriel nach Angaben von Teilnehmern in der Fraktion. Die SPD werde sich sinnvollen Kompromissen nicht verschließen, betreibe "aber keine Symbolpolitik mit, nur damit Horsti wieder lieb ist", so der Vizekanzler mit Blick auf Seehofer.

Zum Fazit gehört, dass die Unternehmer, die im Sommer die Flüchtlinge als dringend benötigte Arbeitskräfte bejubelt hatten, leiser geworden sind. BDI-Chef Ulrich Grillo forderte die große Koalition "zu mehr Geschlossenheit" auf. "Die Integration kann gelingen", sagte Grillo. Es hörte sich wesentlich skeptischer an als das "Wir schaffen das" der Kanzlerin. Zwar seien 600 000 Stellen ausgeschrieben, aber weder Sprachkenntnis noch Qualifikation könnten "herbeigewünscht werden". Er klang so realistisch wie zuvor Gabriel.

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