Tag der Deutschen Einheit:Die DDR? Was war das noch mal?

Als sie geboren wurden, wuchs Deutschland gerade zusammen, die Unterscheidung in "Wessi" und "Ossi" ist ihnen fremd: Die SZ sprach mit mit vier jungen Menschen über die Stasi, deutsch-deutsche Stereotype und die kleinen Unterschiede zwischen Ost und West.

Marlene Weiss und Jens Schneider

SZ: Lasst uns plump anfangen: Seid ihr Wessis oder Ossis?

Jonathan:Ich bin im Osten geboren und aufgewachsen, also würde man mich wahrscheinlich als Ossi bezeichnen.

Und du dich?

Jonathan: Als Deutscher. Ich komme ja nicht aus der tiefsten Hinterwelt, in der man außer seinen Klischees nichts kennt.

Vanessa: Ich habe mich nie als irgendwas von beidem gesehen. Ich würde nie sagen: Ich bin ein Wessi.

Maira: Ich glaube, das hängt davon ab, von welcher Warte man das sieht. Eigentlich bin ich Ossi, ich habe den größten Teil meines Lebens im Osten gelebt. In Kiel haben sie gesagt: Du bist unsere Ostvertretung. Wenn ich nach Hause gekommen bin, sagte die Familie: Na, du Wessi. Das sind Scherze. Aber die meinen schon, dass man sich verändert, vor allem die Sprache.

Dominik:Das kenn ich! Ich komme heim, und die sagen: Hey, hör mit dem Hochdeutsch auf, red mal normal! Das Schwäbische ist ja auch einfacher.

Maira: Also, ich bin in Schleswig-Holstein auf heftige Vorurteile gestoßen. Es war das klassische Klischeebild: Jeder Ossi sächselt, alle tragen immer Jogginghosen, die Männer haben eine Glatze und sitzen mit der Bierflasche an der Bushaltestelle.

Jonathan:Ich habe höchstens Bananen-Jokes erlebt.

Bananen-Witze, immer noch?

Dominik:Natürlich, das ist normal. Mein Dad oder mein Opa, die machen das gern, wenn ich aus Magdeburg komme. Da gibt es mal eine Banane zur Begrüßung.

Maira:Es gab eine Klassenreise nach Heringsdorf, da war ich 12. Da war auch eine Klasse aus Bremen. Die haben uns ernsthaft ihre Handgelenke gezeigt und gesagt: Armbanduhr, kennt ihr das? Und Bananen vor unsere Tür gelegt und sich ganz groß gefühlt. Wir haben denen erzählt, dass wir nur einen Internet-Anschluss im Dorf haben und Telefon in jedem zweiten Haus.

Merkt ihr an irgendetwas, ob ihr im Osten oder im Westen seid?

Jonathan: Am Döner-Index. In Berlin gibt es für 2 Euro 50 nen Riesen-Döner, in Heidelberg für vier Euro einen ganz kleinen.

Dominik:Aber da ist Heidelberg ein Spezialfall. Ich werde oft gefragt, ob es billiger ist. Das sind die gleichen Läden, warum soll es billiger sein?

Vanessa:Ich bin viel auf Konzerten im Osten. In Chemnitz oder Magdeburg sind die Leute irgendwie lockerer, offener, entspannter. Im Osten wird man nicht gleich als irgendwas betitelt.

Dominik: Ja, deswegen fühle ich mich in Magdeburg so wohl.

Maira: Ich glaube, je nördlicher man kommt, desto distanzierter werden die Menschen. Aber im nördlichen Osten sind sie lockerer als im nördlichen Westen.

Dominik: Das finde ich auch. Mein 78 Jahre alter Garten-Nachbar in Magdeburg, der kannte uns gar nicht, der war viel lockerer drauf, als ich es erwartet hätte.

Maira: Wir haben in Kiel in einem Mehrfamilienhaus gelebt. Da hat jeder sein eigenes Süppchen gekocht, und es gab eine alte garstige Nachbarin, die schon um halb neun anrief, wenn man noch einen Mixer bediente. Die hat alles beobachtet. Jetzt wohnen wir wieder in einem Mehrfamilienhaus, und meine Nachbarin schiebt für mich die Mülltonne raus, weil sie weiß, ich schaffe das mit meinen Schichten nicht.

Gibt es Vorurteile in Ost und West?

Maira: Ich habe den Westen erst mit dem Umzug nach Kiel kennengelernt. Solange die Familie im Osten lebte, galt: Wessis sind schon mal ganz sicher arrogant, fahren schlecht Auto, im Westen haben alle mehr Geld. Als mein Vater anfing, im Westen zu arbeiten, haben sie Wessis kennen- und lieben gelernt.

Dominik: Die Leute aus meiner Generation, die jetzt noch zu Hause wohnen, sitzen in ihrem sozialen Gefängnis und übernehmen viele Vorurteile. Ich sage denen oft, komm mal nach Magdeburg. Aber erst wenn man sagt, dass Berlin mit dem Zug nur 90 Minuten entfernt ist, kommen sie.

Maira: Man muss die Leute fast zwingen.

Dominik:Dann schauen wir in Magdeburg von unserem Altbau-Dach auf die Elbe, und sie staunen, wie schön es ist. Und was es gibt: Ich war mit 'ner Freundin im Späti.

Vanessa: Was ist ein Späti?

Dominik: Genau, siehste. Ein Spät-Shop, da kannste in der Nacht einkaufen, Bier oder Süßigkeiten. Im Osten kann man auch locker mit der Bierflasche auf der Straße rumlaufen. Das geht bei uns nicht, da wirst du blöd angeguckt.

Maira: Ein Arbeitskollege meines Vaters aus Heidelberg hat uns mit seiner Familie besucht. Die waren dermaßen erstaunt, wie schön es bei uns ist. Die konnten sich an der Idylle nicht satt sehen. Und waren total baff, dass wir dasselbe bezahlen für Milch, Butter und für Benzin. In dem Moment verstehen sie, wie scheiße das ist, wenn man im Osten 30 Prozent weniger verdient als im Westen.

"Großkonzerne? Gibt es bei uns nicht"

Spürt ihr diesen Unterschied?

Jonathan: In Heidelberg merkt man schon, dass es eine strukturell starke Gegend ist.

Vanessa: In der Oberpfalz sieht es nicht so gut aus. Es gibt kleinere Firmen, und die nicht wie Sand am Meer. Deshalb musste ich für die Ausbildung nach Nürnberg.

Dominik:In Sachsen-Anhalt gibt es ungeheuer viele Pendler, die jeden Morgen nach Wolfsburg zu VW fahren. Aber die zahlen daheim weniger Miete als im Westen.

Maira:Aus Vorpommern müssen die meisten weggehen, auch wenn es Leute gibt, die dableiben und nehmen, was es gibt.

Dominik:Bei uns arbeitet halt die eine Hälfte bei Daimler, die andere bei den Zulieferern. Ich kenne genug Leute, da ist Papi bei Porsche, und der Sohn kommt auch da hin. Die Gesellschaft ist fester.

Jonathan: Großkonzerne wie Porsche oder Daimler gibt es bei uns nicht.

Dominik: Man sieht die Unterschiede bei den Ferienjobs. Da verdient man richtig gut, bei einem Zulieferer von Benz bekommt man als Schüler locker 13 Euro die Stunde und mit Zulagen 26. In Schmalkalden arbeiten manche für weniger als fünf. Ehrlich, das würde ich nicht machen.

Wenn ihr euch mal niederlasst, spielt Ost oder West eine Rolle?

Jonathan: Mir würde es auf die Stadt ankommen. Vielleicht gibt es im Westen mehr, die ich schöner finde.

Vanessa: Genau, es kommt auf den Ort an.

Jonathan:Berlin ist cool, Leipzig und Dresden auch. Cottbus geht nicht.

Dominik: Ich würde es am Potenzial der Stadt ausmachen. Wo ich am meisten Möglichkeiten habe, da ziehe ich hin. Ich habe eher vor, nicht mehr in den Westen zu ziehen, weil die Städte da halt so fertig sind.

Fertig?

Dominik: Du kannst in der Kultur nicht mehr viel machen. Im Osten hast du mehr Leerstand, zu Hause musst du viele Anträge stellen, um an eine Location zu kommen.

Maira: Ich brauche die Nähe zum Meer. Aber ich wäre gern in Kiel geblieben.

Wisst ihr noch, wann ihr als Kinder verstanden habt, dass das Land noch kurz vor eurer Geburt geteilt war?

Jonathan: Ich weiß das seit Ewigkeiten. Kann sein, dass mein Vater mir das mal erklärt hat. Meine Stiefmutter kommt aus Schwaben, sie haben sich oft über Ost und West unterhalten.

Maira: Bei uns wurde nicht darüber geredet. Höchstens bei Familienfesten, wenn die alten Männer getrunken hatten.

Stimmt es eigentlich, dass ostdeutsche Eltern strenger sind?

Maira: Das kann man nicht pauschal sagen, ich kenne Leute, wo ich denke, der hätte mal 'ne Flanke gebraucht. Ich bin eher streng erzogen. Bei meinen Eltern gibt es am Wochenende spätestens halb neun Frühstück. Egal, wann ich nach Hause gekommen war - wenn ich nicht kam, hat mein Vater an die Tür gebollert, als ob die Russen kommen: Wer in diesem Haus übernachtet, hat zum Frühstück da zu sein.

Dominik: Also, das war bei uns lockerer.

Vieles ist nur Klischee

Haben die Frauen im Osten in den Familien eine andere Rolle als im Westen?

Dominik: Das ist ein Klischee.

Maira: Ich glaube schon, dass es im Westen oft vorbei ist mit dem Arbeiten für die Frau, wenn das Kind kommt. Dann wird gekocht und gebacken und bemuttert.

Jonathan: Ich kenne eigentlich keine Hausfrauen. Mütter, die arbeiten, empfinde ich als Standard.

Im Osten gehen zwischen 40 und 60 Prozent der unter Dreijährigen in eine Krippe, im Süden kaum mehr als 20.

Vanessa: Ich kenne das auch so, dass bis zum Kleinkindalter daheimgeblieben wird. In der Stadt kann man sein Kind ja früh in die Krippe tun, das gab es bei uns früher nicht. Da musste man daheimbleiben, wenn es keine Großeltern gab, aber das ist ziemlich im Wandel.

Maira:Ich glaube aber auch, dass da das Finanzielle eine Rolle spielt. Wenn man im Osten 1000 Euro netto verdient, dann ist das viel. Aber bring mal mit 1000 Euro vier Menschen durch. Da bleibt gar nichts anderes übrig, als zu zweit zu arbeiten, wenn man nicht darauf warten will, dass der Staat es einem vor die Nase legt.

Stimmt es eigentlich, dass es im Osten so viele Nazis gibt?

Dominik: Das war das Erste, was ich im Westen zu hören bekam, als ich nach Magdeburg ging. Gut, es gibt ein Viertel, wo Nazis rumhängen, aber die fühlen sich halt auch nicht wohl zwischen uns Normaldenkenden, deswegen verdrücken die sich ins letzte Eck, da sollen sie bitte bleiben. Wenn ich heim komme, treffe ich auf mehr rechte Ansichten als im Osten. Da lassen Leute Dinge vom Stapel, oje.

Vanessa: Ich denke, die rechte Einstellung gibt's überall. Aber im Osten wird das vielleicht öffentlicher ausgetragen.

Jonathan:Ich kann mir vorstellen, es gibt eine Menge Leute im Westen, die rechts eingestellt sind, aber nicht auf Nazidemos gehen. Gutbetuchte Familien, wo man rechts ist, aber es nicht öffentlich auslebt.

Vorpommern gilt als rechte Hochburg. Ist das ein Klischee?

Maira: Nein, das ist schon ein bisschen so. Es gibt Dörfer, wo man weiß, dass 80 Prozent die NPD wählen. Da gibt es super viele alte Leute und wenig Junge, und die sehen keine Perspektive.

Vanessa: Wenn die Eltern keine Perspektive haben, wie sollen die Kinder eine haben.

Manche sagen, in der DDR war alles besser. Ist es nicht schräg, einem Unrechtsstaat hinterherzutrauern?

Jonathan:Das hängt davon ab, wie die Personen gelebt haben. Wenn man nicht angeeckt ist, aber jetzt Schwierigkeiten hat, Arbeit zu finden, denkt man vielleicht, das war früher besser.

Vanessa: Wenn man Regimegegner fragt, die eingesperrt waren, sähe es anders aus. Es gab mit Sicherheit ein paar Dinge, die manche Leute ohne negative Erfahrungen mit dem DDR-System, gut fanden. Aber insgesamt war es natürlich nicht gut.

Sollte in der Schule mehr über die DDR geredet werden - die Toten an der Mauer zum Beispiel?

Dominik: Unbedingt. Die Leute in Magdeburg wissen genau, was los war, wir haben in der Schule fast nichts darüber gelernt.

Vanessa: Wir auch nicht. Da war fast das alte Ägypten wichtiger.

Jonathan: Wir haben die DDR und das ganze Ost-West-Thema sehr genau behandelt.

Maira: Wir auch. Ich kann mich an eine Hausaufgabe erinnern, zu Hause nach Erlebnissen aus DDR-Zeiten zu fragen. Es kamen auch Zeitzeugen in die Schule.

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Wenn ihr einem Achtjährigen erklären solltet, was war die DDR, was war die BRD, was würdet ihr sagen?

Dominik: Ich würde erklären, dass es eine Mauer gab, man hatte mehr Vorgaben und weniger Freiheiten und . . . oh, das ist schwierig. Ich glaube, ich könnte mehr über die Kuba-Krise erzählen.

Maira: Alles ist kontrollierter abgelaufen. Dass vielen Menschen die Möglichkeit genommen wurde, Träume zu verwirklichen, und nicht jeder den Job wählen konnte, den er wollte. Man hat gemacht, was man kriegte. In Vorpommern war das Kuh und Stall. Und man konnte nicht reisen.

Vanessa: Ich würde sagen, dass Deutschland zweigeteilt war, dass die Grundrechte nicht gewahrt wurden und die Pressefreiheit. Man muss schon klar machen, dass es überall Probleme gibt, im Westen auch. Aber wenn einer die DDR komplett gutheißt, dann läuft was schief.

Spielt die Stasi keine Rolle?

Jonathan: Doch, stimmt. Mein Großvater hat vor einiger Zeit seine Stasi-Akte durchgeschaut, das war ein großes Thema in der Familie, das ist schon eine der ersten Sachen, die auf den Tisch kommen, wenn man über die DDR redet.

Maira:Da wird wenig drüber gesprochen. Zu wenig. Wir waren mal in Rostock im Stasi-Gefängnis, da zeigen sie ein altes Archiv von Akten, das war schon gruselig.

Vanessa: Es ist wichtig, dass man Anschauungsmaterial hat. Ich war mal mit meinem Papa in Berlin, da stehen noch einzelne Teile von der Mauer, da begreift man erst, dass die mitten durch die Stadt ging.

Und jetzt ist Deutschland vereint?

Maira: Ich denke, dass wir in unserer Generaton auf dem richtigen Weg sind. Aber aus meiner Sicht bleibt so lange eine Kluft zwischen Ost und West, wie die Löhne nicht angeglichen sind, solange man nicht ungefähr auf dem gleichen Level lebt, und das tut man nicht. Man denkt immer, lassen wir das Finanzielle mal weg, aber das geht nicht. Meine Großeltern sagen auch: solange solch grundlegende Sachen nicht geklärt sind, bleibt Ost und West.

Jonathan: Die Frage ist, ob das nicht mehr von Ost und West abhängt, sondern ein Strukturproblem einzelner Regionen ist.

Wie in Italien, wo der Norden reich, der Süden arm ist; dauerhaft?

Jonathan: Ich glaube, da sind wir besser.

Es gehen nicht viele Firmen nach Vorpommern oder in die Oberpfalz . . .

Vanessa:Wir haben Platz!

Dominik:Es kann nicht sein, dass alle wegziehen oder 300 Kilometer in den Westen pendeln. Da stirbt was in den ostdeutschen Städten. Man merkt es auf der Autobahn, wenn man Freitags in den Westen fährt.

Jonathan: Ja, links alles voll, rechts leer.

Werden eure Kinder Ossis oder Wessis?

Jonathan: Wir sind ja nicht mal selbst richtig Ossi oder Wessi.

Vanessa: Genau. Da werde ich ja nicht sagen: Pass auf, wir sind hier im Westen, und dann gibt es die im Osten.

Maira: Doch, wenn du deinen Namen nennst, sag: Ich komme aus dem Osten!

Dominik: Schreib es auf die Visitenkarte!

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