SZ vom 30.12.2000:Schilys neuer liberaler Vorposten

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Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in Nürnberg versucht, Arbeit und Image der Behörde zu verbessern.

Heribert Prantl

In dem Amt, das landläufig noch immer "Zirndorf" heißt, obwohl es seit 1993 in Nürnberg residiert, sitzt ein neuer Präsident. Einer, der ernst nehmen will, was am Türschild steht: "Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge. " Das Schild hat bisher selten gestimmt, die Behörde hat unter falschem Namen agiert: Eigentlich hätte sie "Bundesamt gegen die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge" heißen müssen. Man war dort meist stolz auf eine, wie es im Polit-Jargon heißt, "restriktive Anerkennungspraxis". Und wenn ein Amtschef daran etwas ändern wollte, wurde das Klima zwischen ihm und dem Bundesinnenminister ganz schnell eisig. So erging es vor Jahren dem Präsidenten Norbert von Nieding, der seine Behörde nicht als Asylablehnungsamt, sondern als "Schutzbehörde" verstehen wollte. Das passte nicht in die Zeiten, in denen Politiker das Wort "Asyl" stets nur zusammen mit dem Wort "Missbrauch" in den Mund nahmen. Der Mann wurde daher 1992 vom CDU-Innenminister Rudolf Seiters abgelöst. Und fortan fiel das Amt nicht mehr durch liberale Anwandlungen auf.

Schily gratuliert Schmid zu seiner Ernennung als Präsident des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Foto: N/A)

Das beginnt sich zu ändern. Otto Schily (SPD), der nicht eben zu den großen Streitern für das Asylrecht gerechnet wird, hat zum 1. Juli 2000 einen Präsidenten ernannt, der den Flüchtlingsschutz offensiv verteidigt: den Juristen und SPD-Politiker Albert Schmid aus Laaber bei Regensburg. Seine erste Rede als SPD-Fraktionschef im bayerischen Landtag hatte er 1992 der Erhaltung des Asyls als Individualgrundrecht gewidmet; und er ist kein Renegat geworden.

Zu den linken Sozis hat Schmid nie gezählt, er ist ein bürgerlicher Sozialdemokrat, und als praktizierender Katholik war er etwa beim Paragraphen 218 anderer Meinung als die SPD-Mehrheit. Albert Schmid war von 1978 bis 1982, in der Regierung Helmut Schmidt, Staatssekretär im Bauministerium - mit damals 32 Jahren der jüngste beamtete Staatssekretär, den es je gegeben hatte. Der heute 55-Jährige erzählt gern von seinen guten Beziehungen zum Kanzler und zum Vatikan: Für den ersten hat er sich schon engagiert, als die bayerische SPD-Vorsitzende Renate Schmidt sich noch heftig für Rudolf Scharping als Kanzlerkandidat stark gemacht hat. Und der Vatikan ist für Schmid, dessen Töchter dem Papst in dessen Privatkapelle ministrieren durften, eine Art geistlicher Heimat.

Der neue Bundesamts-Präsident Albert Schmid zählt lieber Anerkennungs-, als Ablehnungsbescheide. Das war bisher nicht Usus in dieser Behörde, die an der Nürnberger Frankenstraße in einer ehemaligen SS-Kaserne ihren Sitz hat: "Genugtuung" empfinde er, sagt Schmid, "gerade in diesem Gebäude zu sein und von hier aus vor politischer Verfolgung schützen zu können".

Die politische Gemeinsprache meidet Schmid konsequent: "Wir verwenden die Begriffe Asylmissbraucher und Wirtschaftsflüchtling nicht. Wir sagen, es beruft sich jemand begründet oder unbegründet - aus anderen Gründen - auf Asyl. Diese anderen Gründe, wirtschaftliche oder soziale, sind nicht illegitim, sie werden nur vom Asylrecht nicht erfasst. Das macht deutlich, dass Regelungen für die Zuwanderung aus anderen Gründen erforderlich sind. "

Bisher hatte das Bundesamt so getan, als geniere es sich für das Asylgrundrecht und die Genfer Flüchtlingskonvention, die es zu hüten hat. Wer Texte einer bundesdeutschen Behörde lesen wollte, die im wilhelminischen Kasernenton gehalten sind, wurde bei dieser Behörde fündig: In einem Bescheid aus dem Jahr 1997 gegen einen kurdischen Flüchtling steht mehrfach wörtlich zu lesen, dass dessen - durchaus plausible - Angaben "erstunken und erlogen" seien. Ein anderes, traurig-berühmtes Beispiel aus dem Bundesamt: "Ist Ihnen außer der hier geschilderten Sache nichts weiter durch die Behörden in Nigeria geschehen?", fragte der Anhörer den Asylbewerber. Der hatte geschildert, wie er gefoltert wurde, wie man ihm sein Todesurteil mitgeteilt hatte und wie seine Hinrichtung ablaufen sollte. Sensibilität war nicht die starke Seite des Amtes.

Genau dieses Wort gehört zu den Begriffen, die der neue Präsident bewusst gebraucht - "Sensibilität" für Bürgerkriegsopfer, "höchste Sensibilität" für vergewaltigte Frauen, "Sensibilität" für die Opfer nichtstaatlicher Verfolgung. Der Jurist Schmid will sich nicht lange mit juristischen Kategorien aufhalten; er macht aber deutlich, dass er nichts davon hält, aus dem Grundrecht auf Asyl eine institutionelle Garantie zu machen. Entscheidend ist für ihn die Frage: "Wie sieht das konkrete materielle Schutzbedürfnis des Flüchtlings aus?" Und dann müsse "man eben schauen, wie man den Handlungsbedarf im Rahmen des geltenden Rechts befriedigt". Schmid: "Nach meiner Beobachtung ist unser Schutzmechanismus tauglich. " Es gebe ja nicht nur das Asyl, sondern auch die Anerkennung von Abschiebungshindernissen aus humanitären Gründen. "Die Sensibilität dafür ist im Steigen begriffen. "

Ein allseits zufriedenstellender Rechtszustand also? Schmid weicht aus: "Wenn wirklich Bedarf nach Rechtsänderungen besteht, wird man sich darauf verständigen. " Zunächst einmal habe er "Qualitätsmanagement" eingeführt: "Bei aller Respektierung der Weisungsunabhängigkeit unserer Entscheider: Ich hole sie in Gruppen zusammen, bitte sie, möglichst individuell zu entscheiden und die in Textbausteinen standardisierten Begründungen zurückzudrängen. Und das fällt auf fruchtbaren Boden. "

Schmid will die alten Zeiten nicht verdammen: Die neue Sensibilität hänge ("Das muss ich zur Ehrenrettung derer sagen, die früher entschieden haben") natürlich auch mit der auf jährlich etwa 80 000 gesunkenen Zahl der Asylbewerber zusammen; man könne dem Einzelfall mehr Aufmerksamkeit schenken als früher. Beispiel geschlechtsspezifische Verfolgung: "Viele Frauen geben die Vergewaltigung gar nicht an, die trauen sich das nicht selber zu artikulieren. Da mussten unsere Anhörungsbeamtinnen und -beamten erst geschult werden, damit sie einen Zugang finden zu den Frauen, die dieses Schicksal stumm gemacht hat. "

Leere Reden? Bernd Mesovic von Pro Asyl hat in der Tat den Eindruck, es entwickle sich eine "sensiblere Anhörungspraxis". Victor Pfaff, der Frankfurter Ausländeranwalt, berichtet von einem Kirchenasyl-Fall, der von Schmid auf "elegante Art" gelöst worden sei und meint, dass sich das Klima im Bundesamt zu ändern beginne. Javad Adineh vom Flughafensozialdienst in Frankfurt konstatiert ein "neues Verhältnis zum Bundesamt" - auch deshalb, weil Kinder nicht mehr wie früher quälend lange am Flughafen festgehalten werden.

Vor sechs Wochen hat Albert Schmid ein Forum mit zwanzig Experten ins Leben gerufen, in dem neben Gerichtspräsidenten "auch bisher amtskritische Organisationen vertreten sind", Pro Asyl zum Beispiel, amnesty und das Diakonische Werk. Das Bundesamt will sich so "andere Erkenntnisquellen öffnen", will, wenn es um die politische Situation in den Herkunftsländern geht, nicht mehr nur auf die Lageberichte des Auswärtigen Amtes angewiesen sein (auch wenn, wie Schmid meint, deren Qualität zunimmt). Die Bewertungen und Empfehlungen des neuen Expertengremiums sollen auch den Entscheidern des Bundesamts in den 32 Außenstellen zugänglich gemacht werden.

Außen knusprig, innen saftig

Der Sinn dieser Öffnung: Nicht wenige Gerichte misstrauen den Tatsachenfeststellungen der Behörde, sie erheben noch einmal umfangreich Beweis - und auch das führt, so Schmid, dazu, dass die Gerichtsverfahren "oft zu lange" dauern (wobei dies je nach Bundesland stark differiert: 9,9 Monate sind es in Rheinland-Pfalz, 12 Monate in Bayern, 30 Monate in Berlin). "Beschleunigungspotentiale" im Anerkennungsverfahren seiner Behörde sieht Schmid nicht mehr: Mehr als ein Drittel der Verfahren würden in einem Monat erledigt, mehr als die Hälfte in drei Monaten, drei Viertel in sechs Monaten, 90 Prozent in einem Jahr.

Das neue Klima im Bundesamt gehört zu den erstaunlichsten innenpolitischen Beobachtungen im Jahr 2000. Ob er denn nicht Angst davor habe, dass ihm sein Minister Schily demnächst in die Parade fahre? Schmid beteuert, dass er in enger Abstimmung mit dem Bundesinnenminister handele - und verweist zur Bekräftigung darauf, dass Schily schon im Mai den Chef einer anderen Asyl-Institution, den "Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten" angewiesen habe, seine bisher restriktive Praxis zu ändern: Seitdem es ihn gibt, hatte dieser Asyl-Bundesbeauftragte, auch er sitzt mit seiner kleinen Behörde in Nürnberg und heißt Klaus Blumentritt, seine Rolle so verstanden, dafür zu sorgen, dass möglichst viele Asylentscheidungen negativ ausfallen. Jahrzehntelang legten dieser Bundesbeauftragte und seine Vorgänger immer dann und nur dann, wenn das Bundesamt positiv entschieden hatte, Rechtsmittel ein.

Kein einziges Mal hat er - der ein Korrektiv zu den weisungsungebundenen Entscheidern des Flüchtlings-Bundesamts sein soll - versucht, nach einer negativen Entscheidung des Amtes doch noch ein positives Urteil zu erreichen. Wegen solch eklatanter Einseitigkeit hatten die Grünen in den Koalitionsverhandlungen mit der SPD gefordert, diese Institution völlig abzuschaffen. Auf Weisung des Innenministers soll er sich nun vor allem die Verfahren von verfolgten Frauen, traumatisierten Flüchtlingen und unbegleiteten Minderjährigen wohlwollend genauer anschauen. Das läuft noch sehr langsam an - aber immerhin in bisher 16 Fällen hat er nun, wie das Bundesinnenministerium auf Anfrage der SZ mitteilt, "sich positiv für Flüchtlinge eingesetzt".

Aus der Werbung für ein Bratfett kennt man das Motto: Außen knusprig, innen saftig. Es scheint dies das neue Motto der Flüchtlingspolitik Schilys zu sein: Der Minister gibt nach außen hin weiter den politischen Hardliner, lässt aber auf fachlicher Ebene liberalen Entwicklungen Raum. Er verweigert sich zwar weiterhin Rechtsänderungen, um die Härten der geltenden Rechtslage zu mildern, lässt es aber zu, dass bei der Ausführung der Regelungen Spielräume positiv genutzt werden.

Wenn es nach Albert Schmid (und wohl auch nach seinem Minister) geht, dann warten auf das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge neue, große Aufgaben: Das Amt soll in Zukunft auch für die Einwanderung zuständig werden. Schmid formuliert das so: "Die Potenziale dieses Hauses müssen genutzt werden". Man brauche, um die Einwanderung zu koordinieren, keinen riesigen neuen Verwaltungsapparat: "Da muss man nur bündeln, was schon vorhanden ist. " Aus dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge würde dann ein Bundesamt für Migration.

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