SZ-Serie "Der Weg nach Berlin":Üben, bitte!

Stefan Liebich ist ein Mann der Theorien und der Strategien. Auf den Wähler zuzugehen, das muss er noch üben.

Von Daniel Brössler

Politiker "sind doch alle gleich", lautet das Pauschalurteil vieler Deutscher. Sind sie nicht. Die Süddeutsche Zeitung begleitet bis zur Bundestagswahl 2013 sieben Menschen aus sieben Parteien auf ihrem Weg in die Politik - Fehler, Rückschläge und Niederlagen inklusive.

Neulich war Stefan Liebich auf einer Demonstration in Buch. Das liegt ganz im Nordosten Berlins. Wer von Berlin aus mit dem Zug ins nördliche Polen will, der kommt hier durch; Buch liegt an der Bahnstrecke nach Stettin. Das ist das Problem. Die Güterzüge rauben den Menschen den Schlaf. Sie haben deshalb eine Bürgerinitiative gegründet und zu einer Demonstration in der Wiltbergstraße in der Nähe der Gleise aufgerufen. Auf einem der selbstgemalten Plakate stand: "Bahn ja- aber leise". Auch Stefan Liebich, der linke Wahlkreisabgeordnete, der kommendes Jahr wiedergewählt werden will, war dabei. "Gesicht zeigen", heißt so etwas.

Wenige Tage danach sitzt Liebich im Saal der Bezirksverordnetenversammlung von Pankow. Es tagt die VertreterInnenversammlung der Linken für den Bundestagswahlkreis 76, um den Direktkandidaten für die Bundestagswahl zu bestimmen. Liebich hat soeben eine kleine Rede gehalten, nun stehen "Wortmeldungen" auf der Tagesordnung.

Ein jüngerer Genosse meldet sich, bescheinigt Liebich im Großen und Ganzen gute Arbeit, kommt dann aber zu den Dingen, wo er sagen müsse: "Na, Stefan, das hättest du besser machen können." Neulich in Buch etwa. Viele potenzielle Wähler der Linken seien da versammelt gewesen, auf die sei Liebich aber gar nicht zugegangen. "Es wäre gut", tadelt der Genosse, "wenn du das noch übst."

Liebich weiß, dass das seine schwache Seite ist. Er ist ein Mann der Theorien, der Strategien. Gerade erst hat er im Neuen Deutschland mit dem Partei-Intellektuellen Michael Brie eine ganze Seite über linke China-Politik veröffentlicht. Auf der Straße auf fremde Menschen zuzustürzen, ist dagegen nicht so seine Sache. Er sagt, er sei nicht der "superknuffige Kandidat". 2009 hat Liebich trotzdem gewonnen im Wahlkreis - damals gegen Wolfgang Thierse von der SPD, auf den die Beschreibung "superknuffig" vielleicht eher zuträfe.

Liebich ist bewusst, dass er 2009 vor allem auf der Woge eines bundesweit fast sensationellen Erfolges sein Direktmandat errang, eines von vieren der Linken in Berlin. Möglichst sie alle, mindestens aber drei sollen verteidigt werden. Dann wäre der Wiedereinzug in den Bundestag unabhängig von der Fünf-Prozent-Hürde garantiert. Zum Wahlkreis 76 gehören Pankow, Weißensee und Prenzlauer Berg, letzterer für die Linke alles andere als eine natürliche Hochburg. Liebich sieht sich vor einer "wirklich großen Herausforderung".

Wer seiner Ansicht nach unfreiwillig helfen könnte, ist die SPD. Bei den Sozialdemokraten bewerben sich drei Männer und eine Frau um die Direktkandidatur, deren Geburtsorte Liebich, selbst in Wismar zur Welt gekommen, gern verliest: Karlsruhe, Coesfeld/Westfalen, Lienen/Westfalen und Hamburg. Dann zitiert er Wolfgang Thierse, der doch gesagt habe, er wünsche sich, "dass es im Bundestag noch Menschen mit ostdeutschen Prägungen gibt".

Zu Wort meldet sich auch eine Genossin, die sagt, dass sie "Bauchschmerzen" hat mit Liebich als einzigem Kandidaten. In der Diskussion über das Linken-Programm hatte Liebich bewaffnete UN-Einsätze nicht unter allen Umständen ausschließen wollen. Er wusste, dass ihn das Sympathien kosten würde. "Damit muss und kann ich leben", sagt er ernsthaft. Sogar recht gut, wie sich bei der Abstimmung herausstellt. 63 von 70 Stimmen erhält Liebich. Das sind 90 Prozent. Auf seiner Homepage steht seitdem: "Der Wahlkampf kann beginnen."

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