SZ-Kommentar:Einwanderungs-Gesetz in weiter Ferne

Jeder Schritt zur Einigung von Rot-Grün bei der Zuwanderungsfrage vergrößert die Kluft zur Union.

Susanne Höll

(SZ vom 30.10.2001) - In der Zuwanderungsfrage sind jetzt überall die Taktiker am Werk. Rot, Grün, Schwarz, Gelb - keine Partei möchte für das Scheitern einer allseits geforderten Einwanderungsregelung verantwortlich sein oder zumindest verantwortlich gemacht werden können. Dass es mit einem Gesetz in dieser Legislaturperiode nicht mehr klappen wird, darf inzwischen als sicher gelten.

Denn was genau Otto Schily den Grünen bei der Zuwanderung auch immer zugesagt hat - einem baldigen Gesetz ist die Koalition damit nicht näher gekommen. Das Gegenteil ist der Fall. Mit jedem noch so kleinen Schritt hin zum Koalitionspartner liefert der Bundesinnenminister den Einwanderungsgegnern aus der CSU, aber auch der CDU einen Vorwand mehr, sich einer Regelung zu verweigern.

Einen taktischen Erfolg haben Schily und die Grünen bei ihrem Verhandlungsmarathon aber erzielt: Läuft alles wie geplant, ist wieder die Union im Zugzwang. Denn die konnte bislang zu Recht mit dem Finger auf Rot-Grün zeigen, und sich mokieren, die Koalition sei so zerstritten, dass sie nicht einmal einen gemeinsamen Gesetzentwurf zu Stande bringt.

Nun war die Koalition tatsächlich zerspalten, so zerspalten, dass die um Profilwahrung bemühten Grünen am Wochenende ernsthaft bereit waren, ohne Zugeständnisse Schilys das Projekt platzen zu lassen. Das wäre Schily oder den Grünen, auf jeden Fall aber Rot-Grün nicht gut bekommen. Denn die Union hätte der Koalition sofort Versagen bei einem wichtigen Zukunftsthema vorgeworfen. Das wiederum wollte man im Regierungslager verhindern, der Modernisierungskanzler allen voran.

Jetzt soll am 7. November ein Entwurf für eine Zuwanderungsregelung im Kabinett verabschiedet werden. Zwar ist Vorsicht angebracht: Wie viele Termine hat Rot-Grün bei der Zuwanderung schon genannt und dann verstreichen lassen? Doch diesmal sieht es besser aus. Schließlich hat der auf Koalitionsruhe bedachte Schröder persönlich den internen Kompromiss auf den Weg gebracht. Dann aber muss die Union entscheiden, was sie will: eine baldige, praktikable Zuwanderungsregelung oder ein Wahlkampfthema. Viel, wenn nicht sogar alles spricht dafür, dass sie sich unter dem Druck der CSU für den Wahlkampf entscheiden, ganz egal, ob Stoiber, Merkel oder sonst jemand Kanzlerkandidat wird.

Die Bereitschaft, Rot-Grün vor der Bundestagswahl noch zu einem Erfolg zu verhelfen, dürfte nicht sehr ausgeprägt sein. Denn ein Erfolg wäre eine Zuwanderungsregelung à la Schily allemal.

Deutschland braucht aber Zuwanderung und Integration, auch wenn Populisten nach dem 11. September anderes behaupten. Eigentlich gibt es nur einen, der ein Gesetz im Bundesrat retten könnte: der saarländische Ministerpräsident und CDU-Zuwanderungsexperte Peter Müller, der in den eigenen Reihen schon bislang viel Überzeugungsarbeit in dieser Sache geleistet hat. Doch Müller wird sich gut überlegen, ob er kurz vor der Bundestagswahl quasi im Alleingang gemeinsame Sache mit Rot-Grün machen soll.

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