SZ-Kommentar:Die professionelle Deformation der Politik

V-Männer werden so exzessiv eingesetzt, dass die Behörden nicht mehr merken, wie heikel das ist.

Heribert Prantl

(SZ vom 26.01.2002) - Die Geheimdienste und die für die Geheimdienste zuständigen Ministerien sind V-Mann-geschädigt. Sie haben die Sensibilität dafür verloren, wie heikel es ist, mit V-Männern zu operieren. Sie haben sich daran gewöhnt, dass der Zweck, nämlich die Aufklärung, das Mittel - den V-Mann - heiligt. Sie haben sich daran gewöhnt, mit immer mehr Verbrechern und immer mehr Extremisten immer enger zusammenzuarbeiten - wenn dabei nur für den Staat nützliche Informationen herausspringen. Jetzt haben sie dafür vom Bundesverfassungsgericht die Quittung erhalten.

Der Staat geht mit V-Leuten (Hunderte sind es in der rechtsextremistischen Szene, Tausende wohl insgesamt) so um, als handele es sich bei ihnen um ehrbare Kaufleute, mit denen man Geschäfte machen kann: Sie liefern Ware und bekommen dafür Geld. Der V-Mann als Erkenntnismittel wird mittlerweile so exzessiv eingesetzt, dass der Staat dabei ist, sich gemein zu machen - gemein mit dem, was er mit den geheimdienstlichen Ermittlungsmethoden bekämpfen will.

Im Skandal um das verschmutzte Beweismaterial, das dem Verfassungsgericht zum NPD-Verbotsantrag vorgelegt wurde, ist vor allem eines bemerkenswert: Nicht nur das Bundesinnenministerium, sondern auch Innenministerien und Verfassungsschutzämter der Länder sind wie blind in das Desaster gestolpert. Sie konnten sich offensichtlich nicht vorstellen, dass an der Benennung eines Spitzels, ob noch in Staatsdiensten oder nicht, etwas anrüchig sein könnte. Noch jetzt tun sie so, als sei das Bundesverfassungsgericht übertrieben empfindlich und irgendwie ein wenig weltfremd.

Verfassungsschutzbehörden etlicher Bundesländer haben gewusst, ebenso wie die in den Ministerien zuständigen Beamten, dass der NPD-Funktionär Wolfgang Frenz ein V-Mann war - dies war jedenfalls in Nordrhein-Westfalen und in Bayern so. Sie haben aber offensichtlich nichts dabei gefunden, dass Äußerungen dieses Mannes als ordentliches Beweismaterial in den Anträgen zum Verbot der NPD angeführt wurden. Die Professoren und Rechtsanwälte, die für Bundesregierung, Bundesrat und Bundestag die Verbotsanträge geschrieben haben, haben diese Anträge den Verfassungsschützern zur Prüfung vorgelegt. Niemand hat "Vorsicht!" gerufen. Niemand hatte ein Gefühl dafür, dass man das Verfassungsgericht wenigstens aufklären muss. Die Beamten hätten, selbstredend, ihre Minister informieren müssen - in Nordrhein-Westfalen ebenso wie in Bayern. Bayern war Hauptinitiator des Verbotsantrags. Wenn der bayerische Innenminister Beckstein sich nun hinstellt und auf den Bundesinnenminister Schily zeigt, dann sitzt er im Glashaus: Warum hat Becksteins Haus es zugelassen, dass auch der Verbotsantrag des Bundesrates sich ganz wesentlich auf den anrüchigen Zeugen stützt? Warum hat der nordrhein-westfälische Innenminister Behrens nicht eingegriffen? Sollten die Landesminister von ihren Beamten nicht informiert worden sein, dann gleicht ihr Fall dem von Minister Schily: Dann liegt ein grobes Organisationsverschulden vor. Sollten sie informiert gewesen sein, aber die Brisanz der Sache nicht erkannt haben, ist ihre Schuld noch größer.

Offensichtlich leiden weite Teile der Geheimdienste und ihrer Aufsichtsbehörden an einem Verlust des rechtsstaatlichen Sensoriums. Es handelt sich um eine deformation professionelle, ein Leiden, bei dem es zu krankhaften Verengungen und Einseitigkeiten im Wirklichkeitsbild kommt, verursacht durch gefährliche Fixierungen im Beruf. Fixierungen: Die Geheimdienste und die für sie zuständigen Behörden haben sich mit dem V-Mann so angefreundet, dass sie es auch für normal halten, ihn dem Verfassungsgericht als normales Beweismittel zu präsentieren. Sie maßen sich selbst die Beurteilung an, ob ihr V-Mann sauber und wie beweiskräftig er ist.

Es ist Zeit geworden, dass das höchste Gericht die Behörden von einer solchen Deformation des Rechtsdenkens und der Aufklärungspraxis heilt.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: