SZ-Interview:"Otto Schily ist Otto Schily"

Der Bundesinnenminister will Freiheit durch Sicherheit garantieren und sieht sich in dieser Rolle als ein "liberaler Grüner in der SPD".

Interview: Hans Werner Kilz und Heribert Prantl

(SZ vom 29.10.2001) - SZ: Beim Einstand vor drei Jahren haben Sie ein Buch aus dem Jahr 1795 geschenkt bekommen, das hieß: "Über die politische Staatskunst".

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"Otto Schily ist Otto Schily - das ist gar nicht so schlecht"

Schily: Ein schönes Buch.

SZ: Im Untertitel steht: "Zur Belehrung und Beruhigung für alle geschrieben, welche bei der jetzigen Staatsverfassung und Regierung nicht wissen, woran sie sind". Woran sind die Menschen mit dem Minister Otto Schily? Stürzen Sie den Rechtsstaat um?

Schily: Alle Befürchtungen, die - auch von der Süddeutschen Zeitung - in Umlauf gebracht werden, sind falsch. Meine Bemühungen gehen dahin, die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger besser zu gewährleisten und nicht dahin, die rechtsstaatlichen Prinzipien über Bord zu werfen. Ich orientiere mich an dem Grundrecht auf Sicherheit. In der Grundrechtscharta der EU steht direkt ein Grundrecht auf Freiheit und Sicherheit. Wer durch Terror und Kriminalität bedroht wird, lebt nicht frei. Das Grundrecht auf Sicherheit steht auch, zwar nicht direkt, aber sehr wohl indirekt, im Grundgesetz.

SZ: Die Grundfreiheiten der Bürgerinnen und Bürger stehen sehr direkt und gar nicht indirekt im Grundgesetz.

Schily: Sie werden von mir sehr geachtet. Nur: Die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit muss gewahrt werden.

SZ: Was ist für Sie ein starker Staat?

Schily: Ein Staat, der in der Lage ist, seine Institutionen so auszustatten, dass er den optimalen Schutz seiner Bürgerinnen und Bürger gewährleisten kann.

SZ: Leben wir in der Bundesrepublik in einem starken Staat?

Schily: Unser Staat hat an der einen oder anderen Stelle Schwächen.

SZ: Braucht es dann riesige Sicherheitspakete, wenn nur einige Schwächen zu beseitigen sind?

Schily: Ich bin frei von Gesetzesaktionismus, der mir von einigen, auch von Ihnen, unterstellt wird. Wir prüfen sehr genau, wo das Problem liegt: Fehlen Gesetze, liegt ein mangelhafter Gesetzesvollzug vor oder liegt es an einer unzureichenden Ausstattung mit Personal und Sachmitteln?

SZ: Der starke Staat: Wer dieses Wort gebraucht, der sagt auch gern, dass der Zweck die Mittel heilige.

Schily: Diese Formel werden Sie von mir nie hören.

SZ: Fördert zu viel Recht das Unrecht?

Schily: Auch den Satz werden Sie von mir nicht hören. Wenn Sie allerdings das Recht so ausziselieren, dass es unüberschaubar wird, dass kein Mensch mehr durchblickt, dann können sich die Regelungen ins Gegenteil verkehren.

SZ: Und Sie behaupten, dass die Verhältnismäßigkeit der Mittel bei allem, was Sie auf den Weg bringen wollen, gewahrt ist?

Schily: Ja, gewiss.

SZ: Das Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichtes von 1983 hat wegweisende Sätze gegen die staatliche Datensammelwut geschrieben.

Schily: Ja, wo sehen Sie denn bei mir eine solche Sammelwut? Es geht doch um mehr Sicherheit. Und es ist schon interessant, wie schnelllebig, wie flüchtig anscheinend so ein Schockerlebnis wie das vom 11. September ist. Ich war in New York und habe am Ground Zero die Trümmer des World Trade Center gesehen, dieser Eindruck wird mich mein Leben nicht wieder verlassen. Deshalb ist es meine feste Absicht, alles zu tun, diesem Netzwerk des Terrorismus mit der gebotenen Konsequenz und Entschiedenheit entgegenzutreten.

SZ: Braucht die moderne Gesellschaft Schockerlebnisse wie das vom 11. September, um mehr Gesetze für die eigene Sicherheit zu akzeptieren?

Schily: Das Verständnis dafür ist sicher größer geworden.

SZ: Besteht nicht die Gefahr, dass der Gesetzgeber überdreht - wie das in der Zeit der RAF der Fall war? Damals waren Sie als Strafverteidiger sehr involviert. Sie haben damals heftigst gegen diese Gesetze protestiert. Diese Gesetze gibt es aber überwiegend noch immer.

Schily: Aber das ist im Moment kein Thema.

SZ: Gesetze sind nicht alles. Was tun Sie noch?

Schily: Die Geheimdienste müssen sich auf die neue Situation einstellen, die Szenarien ganz anders bewerten und neue Aufklärungsprofile entwickeln. Wir stocken außerdem das Personal von Bundesgrenzschutz, Bundeskriminalamt und Verfassungsschutz auf, wir reorganisieren den Zivilschutz und vieles andere mehr. Wir schaffen tief gestaffelte Sicherheitssysteme, zum Beispiel bei der Flugsicherung.

SZ: Eine Privatmaschine nähert sich dem Potsdamer Platz ...

Schily: Dann wäre alles zu spät, auch alle Überlegungen einer Abschussmöglichkeit. Ein entführtes Flugzeug mit einem Kampfjet zum Absturz zu bringen, halte ich für keine erwägenswerte Maßnahme.

SZ: Das wäre die Multiplizierung und Potenzierung des finalen Todesschusses.

Schily: Es wäre doch eine geradezu makabere Situation, ein Zivilflugzeug abzuschießen - bei all den Unklarheiten über die Ereignisse, die sich an Bord abspielen. Der Ansatz ist falsch. Wir müssen dafür sorgen, dass Entführungen nicht stattfinden.

SZ: Neue Starke-Staat-Gesetze werden immer mit dem Satz verteidigt: Ein anständiger Bürger habe nichts zu befürchten. Ist das ein Satz, den Sie in seiner erhabenen Simplizität gelten lassen?

Schily: Nein. Ich bin zum Beispiel der Meinung, dass wir in der Strafprozessordnung aus gutem Grund ein Aussageverweigerungsrecht haben. Das wurde auch immer angefochten mit dem Satz, wer nichts zu verbergen hat, brauche dieses Aussageverweigerungsrecht nicht - ich bleibe dabei, auch zugunsten von Zeugen in Untersuchungsausschüssen. Aber ich wüsste nicht, was jetzt eine solche Redeweise im Zusammenhang mit meinem Sicherheitspaket für eine Bedeutung haben sollte.

SZ: Staat ist auch stets Staatsgewalt. Die Gefahr des Machtmissbrauchs besteht immer.

Schily: Deshalb haben wir auch ein sehr ausgewogenes System der Checks und Balances und der rechtsstaatlichen Kontrolle. Es wird ja bei - der von Ihnen immer sehr gescholtenen - Verfassungsänderung, die wir seinerzeit im Artikel 13 vorgenommen haben...

SZ: Sie meinen den großen Lauschangriff?

Schily: ...immer übersehen, dass wir auf der einen Seite zwar im Interesse der Aufdeckung schwerster Verbrechen eine Stärkung der repressiven Instrumente mit strengster rechtsstaatlicher Kontrolle vorgenommen haben. Aber wir haben gleichzeitig dafür gesorgt, dass von Verfassung wegen die bisher nicht vorhandene Kontrolle auch im präventiven Bereich vorgeschrieben ist. Wir haben also beides getan, auf der einen Seite die Rechte des Bürgers gestärkt und gleichzeitig dafür gesorgt, dass im Interesse der Bürgerinnen und Bürger die repressiven Instrumente zu ihrem Schutz besser eingesetzt werden können.

SZ: Was darf darf der Staat, was darf der Innenminister seinem Untertan Bürger alles zumuten?

Schily: Ich definiere den Bürger nicht als Untertan. Da fängt in Ihrer Frage schon der Fehler an. Ich gehöre wahrlich nicht zu denen, die die Omnipotenz des Staates predigen, ganz im Gegenteil. Aber es gilt der einprägsame Satz von Wilhelm von Humboldt: "Ohne Sicherheit vermag der Mensch weder seine Kräfte auszubilden, noch die Frucht derselben zu genießen; denn ohne Sicherheit ist keine Freiheit." Die ureigenste und vornehmste Aufgabe des Staates ist in der Tat, dafür zu sorgen, dass die Sicherheit der Bürger und der innere Frieden gewahrt werden.

SZ: Sie sagten vorhin, der Bürger sei kein Untertan. Das ist ja auch ein Kennzeichen des demokratischen Staates. Gleichwohl redet man heute nicht mehr, wie vor 20, 30 Jahren vom Strafgefangenen als vom Staatsbürger hinter Gittern. Waren das Dinge, die in die Irre gingen? Die etwas Falsches anzeigten?

Schily: Nein. Wir schließen niemand aus der Gesellschaft aus. Wir manchen niemand zum Outlaw.

SZ: Die Liberalisierung des Strafvollzugs war ein Symbol für die liberale Entwicklung in der Gesellschaft.

Schily: Eine demokratische und rechtsstaatliche Gesellschaft gibt niemanden auf. Das bedeutet aber nicht, dass man eine schwächliche Haltung einzunehmen oder nur mit dem Finger zu drohen habe. Das gilt auch bei Bestrafung von Jugendlichen. Wenn sie Straftaten begehen und dann nur eine kleine Abmahnung in vorgedruckter Form bekommen - das hängen die in ihren Zimmern als Trophäe aus, das hat keine abschreckende Wirkung.

SZ: Müssen wir uns hier vom liberalen Rechtsstaat zum sicheren Rechtsstaat entwickeln?

Schily: Ich sehe darin keinen Gegensatz. Mit Samthandschuhen kann man die aktuelle Kriminalität nicht bekämpfen. Menschenhändler, die Frauen versklaven, Drogenhändler, die unsere Jugend vergiften - denen muss man mit Härte begegnen. Bei Menschen, die ihr Triebleben nicht steuern können - da hat der Sicherungsgedanke Vorrang.

SZ: Schill hat gefordert: Sexualstraftäter kastrieren.

Schily: Sie sprechen mit Otto Schily, nicht mit Herrn Schill.

SZ: Der sichere Staat - er kastriert die Privatsphäre.

Schily: Das sehe ich nicht so. Der schwache Staat ist Kriminalität und Terrorismus gegenüber ohnmächtig, und das bedeutet Unfreiheit.

SZ: Wenn ich bedenke, was künftig von mir alles gesammelt werden soll...

Schily: Was schreckt Sie denn da?

SZ: Datensammlungen über mein ganzes Gesicht, meine Reisetätigkeit, ob ich Vielflieger bin...

Schily: Es wird sich niemand dafür interessieren, wohin Sie fliegen.

SZ: Aber es kann passieren.

Schily: Das ist diese Art von Horrorvision, die ich noch im Gedächtnis habe aus der Debatte um die akustische Wohnraumüberwachung. Damals wurde der totale Überwachungsstaat vorausgesagt - und die Praxis hat alle Befürchtungen widerlegt. Das sind doch Vorstellungen, die mit den Realitäten nichts, aber auch gar nichts zu tun haben.

SZ: Zu den Horrorvorstellungen: Ihr Gesetzespaket verstärkt die Zusammenarbeit zwischen Geheimdienst und Polizei. Der Bundesnachrichtendienst kann abhören, muss sich natürlich seine geheimdienstlichen Aktionen nicht von einem Richter genehmigen lassen - und gibt dann seine Erkenntnisse an die Polizei weiter. So werden doch rechtsstaatliche Sicherungen umgangen.

Schily: Es geht um das bekannte Trennungsgebot. Das halten wir ein. Wir verwischen nicht die unterschiedlichen Zuständigkeiten der Informationsgewinnung. Zwischen Geheimdienst und Polizei muss es aber eine Clearing-Stelle geben, die die jeweiligen Datenbestände zwar nicht zusammenführt, aber Informationen, soweit zulässig, den anderen Bereichen zugänglich macht. Das geschieht schon heute, und das nennen wir Informationsboard.

SZ: Wer gewährleistet die rechtsstaatliche Kontrolle?

Schily: Sie geschieht dadurch, dass alle an Recht und Gesetz gebunden sind.

SZ: Gebunden schon. Aber wer kontrolliert?

Schily: Die zuständigen Gremien.

SZ: Wenn es im repressiven Bereich staatliche Kontrollen gibt und der Geheimdienst bei ähnlichen Maßnahmen solchen Kontrollen nicht unterliegt, dann muss im Datenfluss von Geheimdienst zur Polizei eine Stelle sein, die sich kontrollierend einschaltet.

Schily: Das wird auch geschehen.

SZ: Das fällt nicht unter philosophische Haarspaltereien, über die Sie oft klagen?

Schily: Von philosophischen Haarspaltereien rede ich bei Leuten, denen nur immer einfällt, warum etwas nicht geht. Mir sind Leute wichtiger, die sagen, was geht.

SZ: Wir reden über die Sicherheitsarchitektur. Da gibt es drei Säulen: Über Säule eins und zwei haben wir gesprochen - Geheimdienste und Polizei. Säule drei ist das Militär. Es gibt Bestrebungen, im Zuge der neuen Sicherheitsarchitektur die Bundeswehr auch im Inland, für die innere Sicherheit einzusetzen.

Schily: Ich halte überhaupt nichts davon, mit Panzern und Jagdflugzeugen in Deutschland Verbrecher zu jagen. Das wäre eine Torheit und widerspräche dem Grundgesetz. Außerdem ist die Bundeswehr weder ausgebildet noch ausgerüstet für polizeiliche Arbeit im Innern. Auch vor dem 11. September habe ich allerdings darauf hingewiesen, dass es einen neuartigen Zusammenhang gibt zwischen polizeilichen Strategien und militärischen Strategien angesichts neuer Bedrohungen. Militärische Ziele werden heute als polizeiliche definiert, zum Beispiel Verhinderung eines Völkermordes oder die Zerschlagung terroristischer Netzwerke. Zur Erreichung dieser Ziele wird im Ausland unter bestimmten Voraussetzungen das Militär eingesetzt. Das ist der Zusammenhang, auf den ich hingewiesen habe.

SZ: Sie plädieren für das Bombardement in Afghanistan?

Schily: Der Einsatz militärischer Mittel gegen das terroristische Netzwerk Al Quaida ist unausweichlich. Ich teile aber die Auffassung von Gerhard Schröder und Joschka Fischer, dass wir uns nicht auf militärische Einsätze beschränken dürfen, sondern dass parallel dazu politische Anstrengungen unternommen werden müssen, durch die für alle erkennbar ist, dass es nicht um eine Bekämpfung des afghanischen Volkes geht oder des Islam als Religion, nicht um die Unterwerfung von Afghanistan, sondern nur darum, diesen terroristischen Verbrechern das Handwerk zu legen und dafür zu sorgen, dass Afghanistan kein Operationsfeld bleibt für solche terroristischen Aktivitäten.

SZ: Soll die Bundeswehr zur Objektsicherung im Inland herangezogen werden?

Schily: Objektsicherung liegt ohnehin innerhalb der verfassungsmäßigen Zuständigkeiten des Militärs.

SZ: Bundeswehr-Einsatz zur Sicherung für Atomkraftwerke, Staudämme und so weiter?

Schily: Ja. Das sieht das Grundgesetz für den Fall vor, dass eine Lage eintritt, bei der die polizeilichen Mittel der Länder und des Bundes nicht mehr ausreichen, um eine unmittelbare Bedrohung für die Sicherheit unseres Landes abzuwenden - wenn also die verfassungsmäßige Ordnung bedroht ist.

SZ: Sie haben im Bundestag gesagt, man dürfe ihnen nicht in den Arm fallen. Ist Kritik an Schily eine Majestätsbeleidigung?

Schily: Ihre Frage verwundert mich, wie mich auch die herben Worte einiger Großschriftsteller verwundern. Ich habe mir erlaubt, einige unbedachte Äußerungen über die USA in bestimmten intellektuellen Kreisen kritisch zu kommentieren - schon gab es ein großes Geschrei, ich wolle die freie Meinungsäußerung in Frage stellen. Ich bitte Sie. Ich nehme Meinungsfreiheit auch für mich in Anspruch. Niemand ist sakrosankt. Ich bin es ja auch nicht. Ich muss es mir auch gefallen lassen, dass ich kritisiert werde, und das in scharfer Form.

SZ: Sie schlüpfen in die Rolle Ludwig Erhards.

Schily: Diese Unterstellung von Ihnen ist nun wirklich ärgerlich. Ich habe nicht von "Schmeißfliegen" - wie Strauß - oder "Pinschern" - wie Erhard - gesprochen. Wenn jemand die These aufstellt, es geschehe den Amerikanern gerade recht, was sich in New York und in Washington ereignet hat, dann ist das nun wirklich kritikwürdig. Diese Kritik lasse ich mir auch von keinem Dichterfürsten verbieten.

SZ: Literaten haben sich immer das Recht herausgenommen, zu markigen Sätzen zu greifen - nichts anderes macht Günter Grass.

Schily: Der hat mich in die Nähe von Milosevic gerückt.

SZ: Sie suchen dieses Image nicht?

Schily: Diese Frage ist ja wohl nicht ernst gemeint. Wenn ich das Zuwanderungsrecht reformieren will und das dann in einen Zusammenhang gebracht wird mit ethnischen Säuberungen, dann ist das eine Torheit, die sich auch ein Nobelpreisträger in höherem Alter nicht leisten sollte.

SZ: Zu ihrer politischen Standortbestimmung: Sie waren bei den Grünen, sind sehr spät zur SPD gestoßen.

Schily: Ja, ich bin Sozialdemokrat auf zweitem Bildungsweg.

SZ: Sie sind kein Genosse. Wie ordnen Sie sich politisch selber ein?

Schily: Ein liberaler Grüner in der SPD.

SZ: Das ist eine Spielerei. Sie sind kein in der Wolle gefärbter Sozi, sie waren kein in der Wolle gefärbter Grüner?

Schily: Brauchen Sie unbedingt eine Schublade?

SZ: Den Versuch der Selbstbestimmung.

Schily: Ich definiere mich, wie ich bin. Otto Schily ist Otto Schily. Das ist doch gar nicht so schlecht, oder?

SZ: Sie bräuchten eigentlich keine Partei.

Schily: Sie sollten meine große Hochachtung vor der Sozialdemokratie nicht unterschätzen. Ich bin nicht zufällig Sozialdemokrat geworden. Ich werde ja manchmal eingeladen zu Jubiläen. Da kommt dann eine knorrige Gestalt mit verarbeiteten Händen und schüttelt mir die Hand, bedankt sich bei mir für meine politische Arbeit. Das sind Menschen, die gegen die Nazis, die gegen den totalitären Kommunismus gekämpft haben, die Basisarbeit leisten - Menschen, die wirklich die Grundsubstanz der Demokratie ausmachen. Vor ihnen habe ich allergrößten Respekt, und ich empfinde es als Ehre, dass sie mich zu den ihren zählen.

SZ: Sie hatten ja auch früher Sozialdemokraten genug in Ihrem Umfeld: Reuter und Willy Brandt haben Sie aber nicht animiert, schon damals zur SPD zu gehen.

Schily: In Berlin war die Anziehungskraft der SPD zeitweise nicht besonders groß. 1989, als ich zur Sozialdemokratie gegangen bin, hat einer gesagt: Wenn man genau hinsieht, hat sich die Sozialdemokratie mehr auf die Position von Otto Schily zubewegt als umgekehrt. Das klingt etwas anmaßend.

SZ: Aber sie halten es für richtig.

Schily: Ein Körnchen Wahrheit steckt darin. Dass sich die Sozialdemokratie in den letzten Jahrzehnten weiterentwickelt hat, ist doch positiv zu sehen.

SZ: Im Bereich der inneren Sicherheit war die SPD eine immer stark auf die Autorität des Staates vertrauende Partei.

Schily: Nein, das meine ich nicht. Ich glaube eher, dass die SPD im Laufe ihrer Geschichte mit der inneren Sicherheit einige Schwierigkeiten hatte. Der Staat ist doch der Sozialdemokratie in ihrer Gründungszeit als Repressionsstaat gegenübergetreten. Das hat die Gefühlswelt der SPD lange geprägt.

SZ: Gustav Radbruch, sozialdemokratischer Rechtsphilosoph in der Weimarer Zeit, hat vom Staat gefordert, im Verhältnis zum Verbrecher, zum Terroristen, zum Kriminellen seine sittliche Überlegenheit zu demonstrieren. Wie machen Sie das bei der Terroristenbekämpfung?

Schily: Wenn Terroristen der Prozess gemacht wird, muss alles beachtet werden, was im Grundgesetz, der Strafprozessordnung und auch der europäischen Menschenrechtskonvention festgelegt ist. Sie versuchen aber offensichtlich, den Satz von Radbruch anzuwenden auf die Frage des verdeckten Ermittlers.

SZ: Ja. Es geht um die Frage: Sollen sie Verbrechen begehen dürfen, um sich in die terroristischen Gruppen einschleichen und dort behaupten zu können?

Schily: Da muss man selbstverständlich Grenzen einhalten. Ich kann nicht billigen, um ein absurdes Beispiel zu bringen, dass einer sich einer kriminellen Gruppe anschließt und dann an einem Mord beteiligt. Die Frage ist, wo man die Grenze zieht. Die Begehung bestimmter Straftaten wird man zubilligen müssen. Das hat es immer gegeben.

SZ: Oft wird gesagt, es müsse Waffengleichheit zwischen Polizei und Verbrecherbanden hergestellt werden.

Schily: Waffengleichheit gilt im Strafprozess, aber selbstverständlich nicht im Bereich der Kriminalitäts- oder gar der Terroristenbekämpfung. Da müssen wir bessere Waffen haben. Wir veranstalten kein mittelalterliches Ritterturnier mit den Terroristen.

SZ: Es heißt, Deutschland sei das Hauptquartier des internationalen Terrorismus.

Schily: Dafür gibt es bisher keinerlei Anhaltspunkte. Auf ein Schwarze-Peter-Spiel sollten wir verzichten. Keiner der Geheimdienste der westlichen Staaten und keine Polizei hat die Gefahren, die durch die Anschläge von New York und Washington sichtbar geworden sind, rechtzeitig erkannt und vorhergesehen. Gerade deshalb müssen wir unsere Aufklärungsmöglichkeiten verbessern.

SZ: Die Greencard bringt auch Leute ins Land, die gefährlich sind.

Schily: Greencardexperten als potentielle Terroristen zu diffamieren, wäre ein Sieg des Terrorismus. Gerade im Blick auf den Terrorismus müssen wir uns als weltoffene und moderne Gesellschaft behaupten. Dazu gehört auch ein modernes und weltoffenes Zuwanderungsrecht. Das werde ich auch durchsetzen. Zugleich müssen wir aber dafür sorgen, dass bei Entscheidungen, wer zu uns kommen darf oder nicht, die Sicherheitserfordernisse nach strengsten Kriterien beachtet werden.

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