SZ-Interview mit Merkel:"Das Gute kann man noch besser machen"

Bundeskanzlerin Merkel über die Finanzkrise und die Leistungen der großen Koalition. Interview: Hans Werner Kilz und Heribert Prantl

Süddeutsche Zeitung: Frau Bundeskanzlerin, was unterscheidet Sie eigentlich von den Sozialdemokraten?

Angela Merkel: Dass ich eine Christdemokratin bin und auf der Grundlage christdemokratischer Werte täglich konkrete Politik mache. So mancher Sozialdemokrat sagt, Hartz IV sei nicht sozialdemokratisch; und so mancher Christdemokrat sagt, es sei nicht christdemokratisch gewesen, die Integrationspolitik ins Kanzleramt zu holen, so wie ich es gemacht habe. Die Bedürfnisse der Menschen wandeln sich, und gute Politik geht auf das ein, was zu lösen ist. Politik in der Regierungsverantwortung besteht nicht darin, ständig zu schauen, wer sich von einem anderen unterscheidet, sondern Probleme zu lösen.

SZ: Wie hat sich das Land verändert, seitdem Sie Regierungschefin sind?

Merkel: Die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands war angesichts der Globalisierung immer schlechter geworden - und Rot-Grün ist dann bei über fünf Millionen Arbeitslosen abgewählt worden. Das war die Ausgangslage. Die große Koalition hat in den drei Jahren bis vor Beginn der Finanzkrise viele Probleme angepackt. Die Zahl der Arbeitslosen ging auf unter drei Millionen zurück, die Lohnnebenkosten konnten gesenkt und die Maastricht-Ziele bei der Neuverschuldung wieder erfüllt werden. Mit Beginn der Finanzkrise haben wir auf die Vernetzung der Weltwirtschaft, wie ich glaube, klug reagiert. Die entscheidende Aufgabe ist, jetzt zu erreichen, was ich vor zehn Jahren noch unter dem milden Spott vieler als "Neue soziale Marktwirtschaft" vorbereitet hatte: Einen internationalen Ordnungsrahmen für die Globalisierung zu gestalten, also zum Beispiel in der Gruppe der G-20-Staaten an Regeln für die Finanzmärkte zu arbeiten. Unsere soziale Marktwirtschaft hat sich bewährt, aber sie braucht eine internationale Dimension.

SZ: Die Titanenarbeit hat doch Schröder mit der Agenda 2010 geleistet.

Merkel: Natürlich hat Herr Schröder mit der Agenda 2010 einen wichtigen Beitrag geleistet, den er aber nie ohne die Unterstützung der Union im Bundesrat hätte durchsetzen können. Und die SPD ist anschließend mit ihren eigenen Leistungen nicht klar gekommen.

SZ: Sie sind die Erbin Schröders. Auf die Agenda folgte das eine oder andere Agendalein von Ihnen.

Merkel: Wir haben die Rente mit 67 angepackt. Wir haben die Föderalismusreform geschafft. Wir haben die Schuldenbremse ins Grundgesetz aufgenommen, das Thema Integration angepackt, einen Crash durch die Bankenkrise verhindert und die Wirtschaft stabilisiert. Ich habe einen Bildungsgipfel einberufen, bei dem ich mich mit den Ministerpräsidenten darauf geeinigt habe, bis 2015 zehn Prozent unseres Bruttoinlandsproduktes für Forschung und Bildung auszugeben. Keine Bundesregierung vor uns hat so viel für Forschung im Bundeshaushalt ausgegeben. Sicher: Es ist immer noch viel Arbeit zu erledigen, aber die große Koalition hat viele Weichenstellungen geschafft.

SZ: Trotzdem wollen Sie die große Koalition beenden. Weil man aufhören soll, wenn es am schönsten ist?

Merkel: Die große Koalition hat gute Arbeit geleistet, aber das Gute kann man noch besser machen. Mit der FDP wird es noch besser gehen. Es gab noch nie so eine starke Rezession von fünf bis sechs Prozent und noch nie so eine ernste Wirtschaftslage für die Bundesrepublik. Wir brauchen eine stabile Regierung: Und eine Regierung mit der FDP ist die beste Konstellation, um möglichst schnell nachhaltiges Wachstum zu erreichen, aus dem wieder Arbeit entsteht. Alle anderen Koalitionen wären nicht stabil.

SZ: Momentan nimmt die FDP der Union Stimmen weg.

Merkel: Das geht hin und her in den Umfragen. Aber es liegt ja auch in der Natur einer Oppositionspartei, mehr zu fordern als tatsächlich geht. Nur in der Opposition kann man gleichzeitig den Haushalt sanieren, die Steuern senken und auch noch für Bildung und Forschung so viel Geld ausgeben, wie man will. Mit dem Tag der Verantwortungsübernahme endet diese Fähigkeit.

SZ: Wenn Sie 2005 eine Koalition mit der FDP geschafft hätten und mit ihr die Finanzkrise hätten bewältigen müssen - es wäre nicht so ruhig im Land geblieben. Und Sie stünden jetzt wahrscheinlich vor der Abwahl.

Merkel: Woher wollen Sie das wissen? An Spekualationen beteilige ich mich nicht. Ich bin der Überzeugung, dass eine große Koalition in der Demokratie kein Dauerzustand sein sollte. Die parlamentarische Demokratie ist auf das Gegenüber einer starken Opposition angelegt.

SZ: In Ihren Reden erzählen Sie gern Brechts Geschichte vom Herrn Keuner. Die geht so: Ein Mann, der Herrn Keuner lange nicht gesehen hatte, begrüßte ihn mit den Worten: "Sie haben sich gar nicht verändert". "Oh", sagte Herr Keuner und erbleichte. - Haben Sie sich verändert in den vier Jahren?

Merkel: Selbstverständlich, ich lerne jeden Tag dazu, weil ich jeden Tag vor neue Herausforderungen gestellt werde.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie 35 Jahre DDR die Werte beeinflussen und worin Gregor Gysi offenbar Unrecht hat.

Demut, Endlichkeit, Fehlbarkeit

SZ: Und was ist mir Ihrer politischen Bekehrung? Im Jahr 2005 waren sie noch eine neoliberale Wahlkämpferin - und hätten die Wahl deshalb fast noch verloren.

Merkel: Diese Bewertung teile ich nicht, aber die Bürger erwarten ohnehin von uns keine ständigen Betrachtungen nach hinten, sondern Konzepte für die Zukunft. Was 2002 oder 2005 notwendig und richtig war, haben wir unter geänderten Umständen fortentwickelt und werden es weiter fortentwickeln.

SZ: Mehrheiten sind in Deutschland nur mit einer Politik zu erzielen, die das Soziale betont.

Merkel: Ich habe in meinem politischen Leben immer wieder neu darüber nachgedacht, wie wir die Mitte der Gesellschaft stärken können. Darum geht es, dann können die Starken auch den Schwachen helfen.

SZ: Dass eine staatsinterventionistische Politik eine Politik der Mitte ist, hätten Sie sich 2005 auch nicht gedacht.

Merkel: An eine globale Krise dieser Dimension hatten wir in der Tat nicht gedacht. Aber schon die Vordenker der sozialen Marktwirtschaft wussten: Wo die Marktkräfte als Korrektiv nicht mehr ausreichen, muss der Staat eingreifen. Der Staat ist in der sozialen Marktwirtschaft immer der Hüter der Ordnung und des sozialen Ausgleichs.

SZ: Die Zeiten ändern sich, die Umstände ändern sich, also, sagen Sie, ändert sich auch die Politik. Aber das Wertegerüst bleibt. Viele sagen, die Kanzlerin hätte gar keines.

Merkel: Das ist Unsinn, ohne Wertekompass verlieren Sie sich in der Tagespolitik. Ich habe 35 Jahre in einer Diktatur gelebt. Ich freue mich darüber, dass sich jeder in unserer Gesellschaft frei entfalten kann, weiß aber auch, dass diese Gesellschaft Solidarität und Gerechtigkeit braucht. Und: Ich will, dass Deutschland auch im 21. Jahrhundert ein innovatives, selbstbewusstes, kreatives Land bleibt. Jeder Mensch kann etwas entscheiden, jeder kann Verantwortung tragen; allerdings glaube ich, dass der einzelne Mensch seine Fähigkeiten nicht für die Verwirklichung seines Egoismus gebrauchen sollte. Das zu verhindern und immer den Nächsten und das Ganze zu sehen, ist Kern der christlichen Soziallehre. Dazu kommt: Politik braucht Demut, sie muss sowohl die Endlichkeit als auch die Fehlbarkeit des Menschen in ihre Überlegungen einbeziehen.

SZ: Die CDU hat früher mehr mit Ideologien gearbeitet als heute. Ist man ideologiefreier, wenn man, wie Sie, 35 Jahre DDR erlebt hat?

Merkel: Das weiß ich nicht. Aber die Gesellschaft hat sich insgesamt verändert. Was Sie über die CDU bemerken, können Sie auch über andere Parteien sagen. Denn seit dem Ende des Kalten Krieges ist mehr passiert, als die Überwindung des Kommunismus. Es gibt eine größere Vielfalt von Lebensformen und Lebensgestaltung. Die Bindekraft überkommener Milieus wird schwächer, wir haben viel mehr gebrochene Erwerbsbiographien, wir haben mehr Wechselwähler. Wenn Politik nicht darauf reagieren, sondern sich die alten Kästchen schneiden würde, dann würde sie viele Bürger nicht erreichen. Das Denken in Freund-Feind-Schemata hilft nicht weiter.

SZ: Wie viele Volksparteien gibt es eigentlich noch: Eine, zwei - oder gar keine?

Merkel: Na ja, CDU und CSU sind große Volksparteien der Mitte. Die SPD hat da schon etwas Mühe.

SZ: Mit wie viel Prozent ist man denn noch eine Volkspartei? Läuft die CDU nicht auch Gefahr, diesen Status zu verlieren?

Merkel: Es ist der Anspruch einer Volkspartei, alle Menschen zu erreichen. Die "Mitte", die wir vertreten wollen, ist nicht nur die Mittelschicht. Das wäre zu kurz gegriffen. In der Mitte der Gesellschaft kann sich vom Arbeitslosengeld-II-Empfänger bis zum Manager jeder einordnen. Diesen Anspruch wird die CDU in ihren Landesverbänden und im Bund gerecht. Meine Aufgabe als Parteivorsitzende ist es, die Meinungen innerhalb der Partei zu bündeln und eine Linie vorzugeben. Wenn jemand sagt "wir brauchen jetzt CDU pur" - dann frage ich zurück: Was ist "CDU pur" in der Drogenpolitik oder in der Frage der Familienpolitik, weil sich das zum Beispiel schon zwischen Großstädten und dem Land unterscheiden kann. Aber die Linie, die Richtung ist jeweils überall gleich.

SZ: Diejenigen, die "CDU pur" fordern, werfen ihnen auch vor, Sie nähmen der CDU die bürgerliche Identität.

Merkel: Das ist ein Klischee. Wenn ich mir die Zustimmungswerte in meiner Partei ansehe, dann sind die kaum zu überbieten. Und wenn mich auch einige Anhänger der Grünen, der Liberalen oder der SPD gut finden, ist das nicht ehrenrührig. Wenn in der CDU leidenschaftlich darüber diskutiert wird, was Bürgerlichkeit im 21. Jahrhundert bedeutet, kann ich nur dankbar sein. Die Lebensmodelle haben sich in den letzten 30, 40 Jahren massiv verändert. Eine Volkspartei muss das umtreiben und sie muss auf dem Fundament ihrer Überzeugungen immer mehrheitsfähig bleiben.

SZ: Gregor Gysi hat im Bundestag gesagt, eigentlich unterschieden Sie sich von den Sozialdemokraten nur noch in zwei Punkten: Das eine ist die Atompolitik und das andere der Mindestlohn. Stimmen Sie dem zu?

Merkel: Nein. Wir haben bedeutende Unterschiede, zum Beispiel in der Bildungspolitik. Mit einem Unions-Ministerpräsidenten wird es nie eine Verlosung von Gymnasialplätzen geben wie in der rot-rot regierten Hauptstadt. Es gibt auch im Steuerrecht große Unterschiede. Die Unternehmenssteuerreform war mit der SPD ein Ritt über den Bodensee. Mit Kollegen wie Herrn Steinbrück konnte man das machen, aber seine Partei hat ihm dabei zugesetzt.

SZ: Verweigern Sie sich der Suche nach einem neuen Endlager für Atommüll, wie es Umweltminister Gabriel fordert?

Merkel: Ich habe nicht die Absicht, mich zu den öffentlichen Äußerungen von Herrn Gabriel über Vorgänge aus dem Jahr 1983 zu äußern. Ansonsten erwarte ich, dass alle Informationen auf den Tisch gelegt und die Dinge aufgeklärt werden, und zwar unverzüglich. Alle Beteiligten werden jetzt an einen Tisch geholt, dann schauen sich die Fachleute aus dem Umwelt-, dem Forschungs- und dem Wirtschaftsministerium die Akten an. Das wird umfassend aufgeklärt. Generell gilt: Ich trete für eine Fortführung der ergebnisoffenen Prüfung von Gorleben ein. Und wenn sich dann ergibt, dass die Eignung von Gorleben nicht gegeben ist, dann wird man selbstverständlich nach einem neuen Endlager suchen. Sicherheit hat oberste Priorität, das ist für mich eine Selbstverständlichkeit.

Lesen Sie weiter auf der nächsten Seite: Warum "Mrs Mörkel" den Amerikanern ein "Mirakel" ist und sie nicht gerne von einem Kampfeinsatz in Afghanistan spricht.

Mrs. Mörkels Afghanistan-Kampfeinsatz

SZ: Was kommt nach der Bundestagswahl? Was plant Angela Merkel, wenn sie als Bundeskanzlerin wiedergewählt werden sollte?

Merkel: Die wichtigste Aufgabe für die neue Bundesregierung ist unverändert eine kluge und schnelle Bewältigung der Finanz- und Wirtschaftskrise: Arbeitsmarkt, Kreditversorgung, soziale Sicherung. Mir geht es um ein gemeinsames Vorgehen in Deutschland. Ich werde die Treffen, wie wir sie mit den Spitzenverbänden der Wirtschaft und den Gewerkschaften, den Banken, dem Mittelstand und den Wirtschaftsinstituten zur Vorbereitung der Konjunkturpakete schon hatten, fortsetzen. Zweitens: Wir werden uns verstärkt den Zukunftsprojekten widmen, wie wir das in einzelnen Bereichen in den vier Jahren schon getan haben: dem Klimaschutz, den erneuerbaren Energien, der Medizintechnik, aber auch den neuen Arbeitsfeldern im Bereich Arbeit von Menschen für Menschen.

SZ: Das klingt wie Steinmeiers Deutschlandplan.

Merkel: Das ist das Regierungsprogramm von CDU und CSU, das im Juni diesen Jahres verabschiedet wurde. Die dritte Säule setzt auf ein neues Miteinander. Welche Werte halten dieses Land zusammen? Wie gehe ich mit den großen Fragen einer alternden Gesellschaft um? Mir liegt hier das Ehrenamt ganz besonders am Herzen, auch das Thema Stiftungen. Wir wollen mehr Menschen ermutigen, sich einzubringen, der Gesellschaft etwas zu geben und ihnen dafür auch Anerkennung geben. Das ist kein originäres Thema des Bundes, aber es kann ein Thema sein, das Bund, Länder und Kommunen enger zusammenführt.

SZ: Im Dezember findet in Kopenhagen die nächste Klimakonferenz statt. Sie waren beim Gipfel in Heiligendamm ja noch ganz hoffnungsvoll, die Erderwärmung bis 2050 stoppen zu können. Wird denn das 2012 auslaufende Kyoto-Protokoll durch eine Folgeprotokoll ersetzt? Werden sich die Amerikaner bewegen? Bis jetzt hat man immer das Gefühl, es gibt Konferenzen, Konferenzen, aber es passiert nichts.

Merkel: Wir brauchen eine Folgeregelung, und Deutschland wird mit aller Kraft dafür eintreten. Dafür leisten wir einen großen eigenen Beitrag in Deutschland und der EU. Im Lichte der Diskussion in den USA ist der Gesetzentwurf, der im Repräsentantenhaus verabschiedet ist und noch durch den Senat muss, eine wichtige Trendwende.

SZ: Aber Sie selber sind ein bisschen vom Weg abgekommen. Strenge Vorschriften für die Autoindustrie haben Sie in Brüssel verhindert.

Merkel: Nein, wir gehen konsequent unseren Weg. Die Beschlüsse zum Klimapaket der EU vom vergangenen Jahr gehen weiter als alle anderen in der Welt und Deutschland spielt dabei eine zentrale Rolle.

SZ: Sie wollten nicht zulassen, dass ein deutscher Arbeitsplatz dem Klimaschutz geopfert wird.

Merkel: Sie müssen mich schon richtig wiedergeben, denn ich habe gesagt, wir werden eine Klimapolitik machen, die nicht gegen Arbeitsplätze gerichtet ist, sondern für Arbeitsplätze. Das sagen im Übrigen auch die Umweltverbände. Im Unterschied zu den Grünen glaube ich aber, dass man aus der Kohle nicht einfach aussteigen kann. Wir brauchen einen ausgewogenen Energiemix.

SZ: Apropos Arbeitsplätze: Nach den Erfahrungen mit Opel, nach all dem Gewürge: Wollen Sie noch einmal eine Firma in dieser Form retten?

Merkel: Wir retten keine Unternehmen, sondern wahren ihnen in der Finanzkrise eine Chance. Das tun wir mit unserem Bürgschaftsfonds für viele Betriebe, davon rund 90 Prozent kleine Unternehmen. Voraussetzung ist in jedem Einzelfall ein tragfähiges Zukunftskonzept. Bewähren müssen sich die Unternehmen dann selber am Markt, das kann der Staat nicht abnehmen.

SZ: Wie wollen Sie die viereinhalb Milliarden Euro staatliche Bürgschaften und Unterstützung für Opel/Magna bei der EU genehmigt kriegen?

Merkel: Es ist richtig, dass die Garantien, die vom Bund und den vier Opel-Ländern in Deutschland gegeben werden sollen und an denen sich weitere europäische Länder beteiligen werden, von der Kommission in Brüssel genehmigt werden müssen. Eine beihilferechtliche Genehmigung des "Kredit- und Bürgschaftsprogramms", in dessen Rahmen sich die Maßnahmen bewegen sollen, ist von der Kommission allerdings schon gegeben worden. Gleichwohl ist der Fall Opel von einer großen, auch europäischen Tragweite, so dass hier noch Gespräche mit der Kommission geführt werden müssen.

SZ: Afghanistan ist durch das Bombardement von Kundus zu einem Wahlkampfthema geworden.

Merkel: Wahlkampfthemen sind alle Themen, die öffentliche Aufmerksamkeit haben und die Menschen bewegen. Das ist völlig in Ordnung.

SZ: Die Deutschen kämpfen in einem Krieg, aber sie haben das Wort Krieg immer vermieden.

Merkel: Wir benutzen in der Bundesregierung mit Bedacht das Wort Kampfeinsatz, weil Krieg in seiner völkerrechtlichen Bedeutung eine Auseinandersetzung zwischen Staaten ist. Wir sind aber in Afghanistan im Rahmen eines UN-Auftrages und mit Einverständnis der afghanischen Regierung.

SZ: Sie wären im Krieg Oberkommandierende.

Merkel: Ich kenne die Verfassungslage.

SZ: Sie haben sich nie auf eine Exit-Strategie festgelegt, nie klar gesagt, wie lange deutsche Soldaten in Afghanistan bleiben sollen. Die Kanadier ziehen ihre Truppen 2011 ab. Ihr Vorgänger Schröder hat gesagt, bis 2015 sollten die Deutschen aus Afghanistan abgezogen sein.

Merkel: Deutschland hat bis jetzt das Ziel dieses Einsatzes beschrieben und dieses Ziel heißt: selbsttragende Sicherheit in Afghanistan. Wir wollen zusammen mit unseren Partnern für die nächsten fünf Jahre, das ist die Laufzeit des sogenannten Afghan Compact, eine Übergabestrategie in Verantwortung entwickeln, um schrittweise für die verschiedenen Bereiche die Voraussetzung zu schaffen für einen Abbau unserer Präsenz. Eine hochrangige Konferenz soll noch in diesem Jahr mit der UNO, der Nato, der afghanischen Regierung und den wichtigsten Staaten konkrete Ziele zum Beispiel für die Ausbildung der afghanischen Polizei und der Armee festlegen.

SZ: Haben Sie mit dem amerikanischen Präsidenten gesprochen wegen der harschen Kritik der Verbündeten am deutschen Vorgehen?

Merkel: Ich habe mit dem Nato-Generalsekretär gesprochen. Ich glaube, das es nicht hilfreich ist, wenn wir in der Öffentlichkeit unentwegt unsere Statements dazu austauschen. Es wird einen umfassenden Abschlussbericht von Isaf zu dem ganzen Vorfall geben.

SZ: "Mrs Mörkel" ist den Amerikanern ein Mirakel, weil die nicht so recht wissen, woran sie mit Ihnen sind. Die Amerikaner sind verunsichert über Ihre DDR-Vita - und dass Sie russische Investoren ins Land holen.

Merkel: Ich habe noch nie den Eindruck gehabt, dass die Amerikaner verunsichert sind. Sie sind manchmal neugieriger auf meine Biographie als die Westdeutschen.

SZ: Begeistert waren die Amerikaner nicht, als die Werften in Rostock an einen Russen gingen.

Merkel: Hätte es einen amerikanischen Investor gegeben, er wäre sehr willkommen gewesen.

SZ: Sie kommen mit Präsident Medwedjew gut aus?

Merkel: Ja, und wir arbeiten gut zusammen. Unsere gute Beziehung zu Russland wird im Übrigen auch von US-Präsident Obama sehr geschätzt.

SZ: Stimmt es denn, dass Putin, wenn Sie ihn in Moskau trafen, immer seinen Labrador Koni neben Sie gesetzt hat?

Merkel: Einmal bei einem Besuch in Sotschi war Koni dabei.

SZ: Weil er wusste, dass Sie Hunde nicht mögen. Hat er Sie damit einschüchtern können?

Merkel: Nein. Das funktioniert nicht.

SZ: Aber der neue Präsident ist netter?

Merkel: Eine gute Zusammenarbeit mit Russland umfasst den Präsidenten und den Ministerpräsidenten. Ich arbeite mit beiden vertrauensvoll zusammen.

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