SZ-Interview mit Franz Müntefering:"Was ich vorschlage, ist nicht hinterwäldlerisch"

Der designierte SPD-Chef Franz Müntefering will seine Partei vom Reformkurs der rot-grünen Bundesregierung überzeugen. Im Interview mit der SZ spricht er über die Krise seiner Partei, die Unverfrorenheit der Opposition und die Kritik aus den eigenen Reihen an der geplanten Ausbildungsplatzabgabe.

Interview: Nico Fried

SZ: Herr Müntefering, haben Sie den Bundespräsidenten-Streit innerhalb der Opposition genossen?

SZ-Interview mit Franz Müntefering: Franz Müntefering übernimmt das Amt des Parteichefs in einer schweren Krise für die SPD

Franz Müntefering übernimmt das Amt des Parteichefs in einer schweren Krise für die SPD

(Foto: Foto: dpa)

Franz Müntefering: Das war eine ärgerliche Woche. Die Unverfrorenheit und der Dilettantismus, mit dem Union und FDP diese Kandidatensuche betrieben haben, ist nicht gut für das Ansehen von Politik.

SZ: Hat Ihre Kandidatin Gesine Schwan gegen Horst Köhler Chancen?

Müntefering: Gesine Schwan ist eine gute Wahl. Wir werben dafür, dass man das nicht parteipolitisch kleinkariert angeht. Frau Schwan ist erfahren, qualifiziert, eigenständig. Es wäre gut, wenn Deutschland eine Präsidentin hätte.

SZ: Warum stellt die SPD immer nur dann eine Frau auf, wenn sie wenig Aussicht auf Erfolg hat?

Müntefering: Das ist nicht richtig. Wir hatten der FDP angeboten, Frau Schmalz-Jacobsen zu unterstützen. Herr Westerwelle hat das nicht gewollt.

SZ: Am Sonntag haben Sie den Kopf für das Wahlergebnis der SPD in Hamburg hingehalten, während der Kanzler sich als Retter der Maut in Szene setzte. Soll das die Arbeitsteilung sein?

Müntefering: Das entsprach unseren Aufgaben. Man muss auch in weniger schönen Momenten stehen und das Kreuz durchdrücken. Die SPD will und muss sehen, dass wir kämpfen.

SZ: Welches Ergebnis muss bei den Europawahlen her, damit Sie sagen, der Wechsel an der Spitze hat sich gelohnt?

Müntefering: Das kann man nicht in Prozenten ausdrücken. Mein Anspruch ist, dass wir dieses Jahr Ergebnisse erzielen, die über dem liegen, was uns Hamburg beschert hat. Ich werde mehr Zeit haben, mit der Partei zu reden, sie zu überzeugen, damit sie wieder mit Begeisterung in die Wahlkämpfe geht.

SZ: Worauf führen Sie zurück, dass die Grünen für die gemeinsame Politik der Koalition nicht abgestraft werden?

Müntefering: Die Grünen sind mit ihren Ministern nicht in der Mitte des Taifuns. Es geht hauptsächlich um sozialpolitische Fragen. Das identifiziert man mit der SPD, da werden wir in besonderer Weise in Haftung genommen.

SZ: Als künftiger SPD-Chef sollen Sie die Partei aus dem Tief holen. Bleibt Ihnen da nur die Möglichkeit, den Reformkurs zu korrigieren?

Müntefering: Es wird keine Rolle rückwärts geben. Wir müssen aber das Gesamtkonzept überzeugender darstellen. Es geht darum, wo wir am Ende des Jahrzehnts sein wollen. Die Agenda 2010 ist nicht nur eine Spar- und Streichaktion, sondern eine sozialdemokratische Perspektive für die Zukunft des Landes. Das große Ziel heißt soziale Gerechtigkeit bei hohem Wohlstand - dauerhaft.

Was wir dafür erreichen müssen, sind Verbesserungen bei den Bildungschancen, der Kinderbetreuung, der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, beim Umgang mit der älteren Generation, bei der Investitionsfähigkeit der Kommunen. Eine besondere Rolle spielt die technologische Innovation, damit wir aus Wissen auch neue Produkte und Dienstleistungen entwickeln - Arbeit also.

SZ: Kann man damit jene zurückholen, die von der SPD enttäuscht sind?

Müntefering: Man muss mit ihnen sprechen, darstellen, dass es keine gerechtere Alternative gibt. Meine Generation hat Schwierigkeiten: Sie hat die Erfahrung gemacht, dass es immer gut ging, dass immer Wachstum da war. Es kommen aber auch viele junge Leute neu in die SPD, die an die Zukunftsfragen mit einer ganz anderen Mentalität herangehen.

SZ: Mancher Rentner sagt schlicht: Ich habe 40 Jahre malocht, und jetzt wird mir die Rente gekürzt.

Müntefering: Man kann nur so viel auszahlen, wie insgesamt erwirtschaftet wird. Das Geld für die Rente liegt ja nicht irgendwo im Keller, wo man es nur hochholen muss, sondern Generationen bezahlen für Generationen. Man kann aber umgekehrt sagen, dass es bisher bestimmte Privilegien gegeben hat. Die Rentner haben die Pflegeversicherung nur halb bezahlt, die Beschäftigten dagegen voll. Das schaffen wir jetzt ab, und ich halte das für gerecht.

Ein Rentnerpaar hat heute im Durchschnitt mehr Geld zur Verfügung als eine Familie mit Kind. Wir müssten vor allem Familien entlasten, wenn wir denn Geld hätten. Es muss immer klar sein: Wenn wir etwas ändern an unseren Entscheidungen, dann muss das irgendwer bezahlen. Das wären entweder die Kinder, also die derzeit Beschäftigten, oder die Enkelkinder, die später mit den Schulden dasitzen.

SZ: Derzeit arbeiten Sie an einer langfristigen Rentenreform. In der SPD-Fraktion gibt es die Forderung, für die Jahre 2020 und 2030 eine Mindestrente nicht unter 46 Prozent festzulegen.

Müntefering: Die Zahl allein sagt nichts aus. Wenn man 46 Prozent sagt, dann ist das ja nur eine Relation von 100. Wie viel werden in Zukunft 100 Prozent sein? Die entscheidende Frage lautet: Wie hoch sind die durchschnittlichen Löhne, ist der Wohlstand in 20 oder 30 Jahren? Ob diese 100 Prozent hoch sind, hängt von der wirtschaftlichen Entwicklung ab. Bei einer guten Wirtschaftslage können 43 Prozent mehr sein als 46 Prozent bei einer schlechten.

Das heißt: Das Wichtigste, was wir für die Alterssicherung tun müssen, ist, in die Köpfe der Jungen zu investieren. Es geht nicht primär um die Prozentzahl, die da steht, sondern um die Wohlstandsfähigkeit des Landes.

SZ: Die Ausbildungsumlage sollte eine Art Einstiegsgeschenk an die Partei sein. Allmählich hat man den Eindruck, Sie werden zum Einzelkämpfer.

Müntefering: Es gibt Beschlüsse von Koalition, Partei und Fraktion, ein Gesetz zu machen, damit alle Jungen, die ausbildungswillig und -fähig sind, einen Platz bekommen. Dabei wird das Prinzip der Freiwilligkeit Vorrang haben, etwa durch tarifvertragliche Regelungen. Ich kann mich nicht damit abfinden, dass im letzten Jahr 35000 junge Menschen keinen Ausbildungsplatz hatten.

SZ: Viele Ministerpräsidenten Ihrer Partei sträuben sich gegen die Umlage.

Müntefering: Ich rate allen, den Gesetzentwurf abzuwarten. Dann kann man darüber reden.

SZ: Der Düsseldorfer SPD-Ministerpräsident Peer Steinbrück spricht von einem "etatistischen Reflex".

Müntefering: Ich mache eine moderne Gesellschaftspolitik. Was ich vorschlage, ist nicht hinterwäldlerisch, sondern eine Einsicht in die Notwendigkeit, den Sockel an jungen Menschen ohne Arbeit nicht wachsen zu lassen. Das Ziel: Niemand darf von der Schulbank in die Arbeitslosigkeit geraten.

SZ: Die Wirtschaft warnt, eine Umlage führe zu weniger Ausbildungsplätzen.

Müntefering: Die Reihenfolge ist umgekehrt: Es muss genügend Ausbildungsplätze geben, dann bleibt das Gesetz in der Schublade. Wenn die Unternehmer das wollen, gelingt das auch. Wenn aber gedroht wird, dann muss man sich mal über die moralischen Hintergründe unterhalten. Schulen und Hochschulen sind Aufgabe des Staates, die Ausbildung ist Aufgabe der Wirtschaft.

Beide Seiten können nicht sagen, wir machen das nicht. Manchmal frage ich mich auch, wie kurz da gedacht wird. In ein paar Jahren werden wir einen Mangel an Facharbeitern haben. Es geht also nicht nur um die Jungen, sondern um die Frage, ob man das Potenzial ungenutzt liegen lassen oder es mobilisieren will.

SZ: Steinbrück und Frau Simonis verweisen auf Erfolge regionaler Lösungen.

Müntefering: Da hat es große Anstrengungen gegeben, gar keine Frage. Aber in Nordrhein-Westfalen hatten im letzten Jahr etwa 7000 und in Schleswig-Holstein etwa 650 junge Menschen keinen Ausbildungsplatz. Es ist viel getan worden, aber das Ziel ist nicht erreicht.

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