SZ-Analyse:Operation Selbstbewusstsein

Das Merkel-Experiment funktioniert nicht - dennoch wird der Parteitag die CDU- Chefin stärken.

Susanne Höll

(SZ vom 03.12.2001) Sind vier Jahre genug? Ja, sagt Angela Merkel. Vier Jahre Schröder seien mehr als genug. So wie vier Jahre Opposition der Union wahrlich reichten. So ähnlich wird sie ihr Leitmotiv auch heute wieder intonieren beim CDU-Parteitag in Dresden, und dafür wird sie großen Applaus ernten. Was sollte sie sonst tun?

Niemand wird von der Vorsitzenden der größten Oppositionspartei erwarten, dass sie den Kanzler artig bittet, eine Runde länger zu regieren, damit sie und ihre Partei sich besser vorbereiten können auf eine Rückkehr an die Macht. Dabei könnte die Union, gleich einem Genesenden, weitere Schonzeit gebrauchen.

Auch wenn die Parteioberen trotzig das Gegenteil behaupten: Für eine neue Regierungszeit ist die CDU trotz aller Anstrengung noch nicht vorbereitet - personell nicht, inhaltlich nicht und auch psychologisch nicht. Nach Kohl, dem Machtverlust und dem Spendenskandal steht sie zur Zeit leider nur auf wackeligen Beinen.

Das Kandidaten-Problem

Man erinnert sich noch gut an die spitzen Mienen der Christdemokraten vor Schröders Vertrauensvotum. Dass plötzlich Wahlkampf sein könnte, machte ihnen Angst, nicht Freude. Kein Kanzlerkandidat, kein Wahlprogramm, keine Wechselstimmung in der Bevölkerung, eine von den Querelen im Führungsteam entmutigte Basis.

Eines dieser Probleme wird bald gelöst. Die Union wird im Frühjahr einen Kandidaten haben. Wer immer es auch wird oder werden muss - ob Merkel, Stoiber oder gar Schäuble - keiner der drei kann das eigentliche, sehr grundsätzliche Problem der CDU lösen: Mit wem nämlich soll die Partei welche Politik für welche Menschen machen? Merkel ist als Führungsfigur nicht akzeptiert, Stoiber gehört zur CSU, und Schäuble gilt als exzellenter Mann - von gestern allerdings, nicht für morgen.

Das Problem Praxistest

Soviel zur personellen Lage. Und die Inhalte? Die CDU-Oberen bekunden gerne, man habe sich erneuert und koche nach besseren Rezepten als Schröder. Dabei blättern sie in dicken Konzepten zur Wirtschaftspolitik, werden hier eine Passage verschärfen, da einen Spiegelstrich einfügen. Nur schade, dass die besten Ideen nicht einmal den ersten Praxistest überstehen.

Beispiel Einwanderungspolitik. Der Konflikt über das Abstimmungsverhalten im Bundesrat und die Praxisnähe eines Peter Müller etwa zeigen, wie schwer sich eine schwächelnde CDU an der Seite einer starken und ungeduldigen CSU tut.

Wenn sich die Christdemokraten in der Gesellschafts- und Innenpolitik bayerischem Druck beugen, verschrecken sie die Wähler der Mitte, die sie 2002 brauchen. Die könnten bei schlechter Konjunktur und steigender Arbeitslosigkeit zwar durchaus Lust an einem schnellen Abschied von Schröder bekommen. Die Frage ist nur, ob sie auch Lust haben auf eine Wackel-CDU.

Vorsitzende ohne Führungskraft

Dies ist Angela Merkels Schuld: Die Vorsitzende ist ihrer Partei kein Kompass. Sie hat es versucht, hatte auch nicht viel Zeit. Nun kann man darüber streiten, warum sie nicht reüssiert. Sind es die neidischen Männer, die der Frau aus dem Osten den Platz an der Spitze missgönnen? Ist es die Vorsitzende selbst, weil sie aus Machtwillen die Partei zum eigenen Vorteil instrumentalisiert und dazu noch jede Menge Fehler macht? Oder liegt es an der Volkspartei CDU, die nach den langen Regierungsjahren einfach zu matt ist zur Erneuerung?

Vieles spricht dafür, dass eine Kombination der Gründe die Misere begründen. Nicht zu vergessen Helmut Kohl mit seiner Schwarzgeldaffäre. Seltsam eigentlich, dass kein führender CDU-Politiker mehr ein Wort über Kohls Verschulden verliert. Auch Merkel nicht, die einst so beherzt agierte und deshalb von der Basis beim Essener Parteitag in das Vorsitzendenamt getragen wurde.

Doch das Experiment, das sie und die CDU in Essen begannen, funktioniert nicht. Wenn Merkel in Dresden dennoch viel Beifall bekommt, dann wohl auch aus taktischen Gründen: Denn die Vorsitzende muss stark sein bei der Kanzlerkandidatenkür. Sie muss es sein, um selbst anzutreten - oder auch nur, um einem der beiden Männer die Kandidatur anzutragen.

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