Syrischer Flüchtling in Deutschland:Das ist Berlin, nicht Mekka!

Gauck Participates In Ramadan Fast Breaking

An dieser Feier zum Fastenbrechen in Berlin nahm Mitte Juni auch Bundespräsident Joachim Gauck teil.

(Foto: Getty Images)

Tausende Muslime erleben derzeit ihren ersten Ramadan in Deutschland. Die Deutschen müssen deshalb keine Angst haben - und schon gar nicht aufhören, tagsüber Bier zu trinken.

Von Yahya Alaous

Gerade erleben Tausende von Muslimen, die nach Deutschland gekommen sind, ihren ersten Ramadan in vollkommen neuer Umgebung. In arabischen Ländern wird der Heilige Monat von öffentlichen Festivitäten begleitet. Dazu gehört das Schmücken von Straßen und Stadtvierteln, gemeinsame Gebete und besondere Speisen. Nichts von dem ist hierzulande zu finden.

Die Feiern zum Fastenmonat ähneln der Adventszeit in westlichen Ländern. Jeder ist ständig mit irgendwelchen Vorbereitungen für das große Fest beschäftigt, eilt herum und trägt große Einkäufe für die Lieben mit sich herum - zum abendlichen Fastenbrechen, dem Iftar. Doch die Zeit des Ramadan ist in muslimisch geprägten Städten in Arabien noch ein wenig anspruchsvoller und auch anstrengender. Die Menschen verzichten nicht nur von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang auf Essen, Sex, Trinken und Rauchen in der Öffentlichkeit, auch sollten sie ein wenig mehr Empathie und Milde in den zwischenmenschlichen Beziehungen walten lassen, sich gütig geben, Armen helfen, spenden, böse Gefühle vergessen.

Auch moderne Frauen werden - dem Augenschein nach - ein wenig prüder. Viele Familien üben Druck auf besonders die jungen weiblichen Mitglieder aus. Sie sollen sich aus Respekt vor den religiösen Gefühlen der Fastenden weniger sexy kleiden; es wird erwartet, dass die Röcke länger und die Oberteile geschlossener und weiter werden. Denn Fastende dürfen keine sexuellen Gefühle und keine Begierde verspüren - entwickeln sie sie doch, so gilt das als Fastenbrechen!

Yahya Alaous

arbeitete in Syrien als politischer Korrespondent einer großen Tageszeitung. Wegen seiner kritischen Berichterstattung saß der heute 42-Jährige von 2002 bis 2004 im Gefängnis, sein Ausweis wurde eingezogen, ihm wurde Berufsverbot erteilt. Nach der Entlassung wechselte er zu einer Untergrund-Webseite, die nach acht Jahren vom Regime geschlossen wurde. Während des Arabischen Frühlings schrieb er unter Pseudonym für eine Oppositions-Zeitung. Als es in Syrien zu gefährlich wurde, flüchtete er mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern nach Deutschland. Seit Sommer 2015 lebt die Familie in Berlin. In der SZ schreibt Yahya Alaous regelmäßig über "Mein Leben in Deutschland".

Ungerechtfertigte Ängste

Manche Deutsche haben Angst vor der Länge der Fastentage, die in hiesigen Breitengraden gut und gerne zwanzig Stunden dauern können. Müssen die Muslime dadurch nicht automatisch aggressiv werden? Im Idealfall: Nein. Denn die körperlichen Entsagungen sind von vielen moralischen Praktiken und Vorstellungen begleitet. Wenn das Fasten an langen Tagen sehr anstrengend ist, dann heißt es, dass Gottes Belohnung größer ist. Zwanzig Stunden zu fasten ist demnach besser als zehn. Wer in sehr heißen Gegenden fasten muss, bekommt mehr von Gott als derjenige, der in einer angenehm winterlichen Umgebung fastet. Nicht zu vergessen: in einer Umgebung, in der die Mehrheit fastet, ist das Fasten nicht so wertvoll wie dort, wo man als einziger (mit Allah im Herzen) hungert und durstet.

Gläubige in den westlichen Städten haben dabei nicht die selben Fastenzeiten wie ihre Glaubensbrüder und -schwestern in der islamischen Welt, wo man sich an der Zeitrechnung in Mekka orientiert. Sie empfangen ihre Zeiten zum Fastenbrechen von der nächstgelegenen islamischen Gemeinde. Das hat aber keinen Einfluss auf das Verhalten der Fastenden, das in deutschen Medien so viel diskutiert wird.

Meiner Meinung nach brauchen die Deutschen keine Angst zu haben, dass die fastenden Männer sich nach den 20 täglichen Fastenstunden in sexuelle Straftäter, Belästiger oder Fress- und Zigarettenrauchmaschinen verwandeln. Allein der Gedanke, dass dies passieren könnte, ist aus der Sicht der Fastenden nicht nur eine Beleidigung ihrer Person, sondern auch eine Beleidigung der Idee des Fastens, die ja ein fundamental bedeutendes Prinzip des muslimischen Glaubens darstellt.

Mich wundert und erschreckt es allerdings, wenn ich lese, dass manche muslimische Familie eine besondere Behandlung ihrer Kinder in der Schule fordert. Dass der Nachwuchs deshalb nicht am Sportunterricht oder an Ausflügen teilnehmen kann. Oder schlimmer noch, wie oft hier in Berlin in Klassen mit mehrheitlich muslimischen SchülerInnen: dass die Lehrkräfte, in falsch verstandenem vorauseilendem Gehorsam Sportfeste und Ausflüge im Ramadan gar nicht erst planen.

Kinder sollen sich ans Fasten gewöhnen - dass sie es durchziehen, erwartet niemand

Meiner Erfahrung nach nehmen die meisten Familien die Fastenbestrebungen ihrer Kinder ohnehin nicht allzu ernst. Wenn die Kinder, die natürlich den Großen nacheifern wollen, ausgehungert nach Hause kommen, gibt es für sie meist etwas zu essen. Die Eltern hindern die Kleinen bewusst am - religiös eindeutig - zu frühen Fasten. Dass sich die Kleinen an die Idee des Fastens gewöhnen, ist gewünscht - dass sie es durchziehen, erwartet niemand.

Ein Lehrer einer Willkommensklasse, die ja extra für Flüchtlingskinder eingerichtet worden sind, berichtete, dass am ersten Tag des Ramadan sehr viele Kinder das Fasten versucht haben. Am zweiten Tag waren es nur noch fünf. Am dritten Tag aßen und tranken alle wieder ganz normal.

Die Fastenden müssen sich selbst daran hindern, den schönen Frauen hinterherzuträumen

In Syrien gab und gibt es keine Sonderbehandlung für die Fastenden. Die Regierung verkürzt zwar die Arbeitszeit während des Ramadan, meist um nur eine Stunde, aber Schulexamen, sportliche Aktivitäten wurden und werden in Syrien niemals ausgesetzt. Der Ramadan und seine Ausübung wurden und werden immer als persönliche und nicht besonders zu berücksichtigende Entscheidung angesehen.

Natürlich ist es kein Verbrechen, nicht zu fasten. Es ist nur sozial nicht akzeptiert, in der Öffentlichkeit nicht zu fasten. Viele, besonders junge muslimische Raucher frönen ihrem Laster natürlich auch tagsüber in der Fastenzeit weiter - aber natürlich versteckt, nicht vor den Augen derer, die das Fasten- und Nichtrauchgebot als strikt zu beachten ansehen. In den großen Unterkünften in Deutschland, die meist Muslime beherbergen, kann man während der Fastenzeit in so mancher versteckter Ecke Zigarettenrauch riechen.

Fragt man die Fastenden, warum sie das tun, so ist die Antwort meist: "Weil wir Muslime sind, weil es zum Islam gehört." Manche sagen auch, dass das Fasten sie Geduld lehren würde und dass so das Mitgefühl mit Armen und Obdachlosen wachsen würde (viele Menschen haben diesen, dem Fastengebot zu Grunde liegenden Sinn aber längst vergessen).

Und es geht auch anders: Was ist mit der Vielzahl von nicht-fastenden Deutschen, die sich unermüdlich um die Belange der Geflüchteten kümmern? Wie viele unentgeltlich arbeitende Freiwillige, hunderte allein habe ich gesehen und in ihrem Engagement erlebt, schleppen tagein, tagaus Kleiderspenden und Lebensmittel zum Berliner LaGeSo und in die Heime? Und das, ganz ohne zu fasten.

Das Verständnis ist groß, aber auch die Ressentiments wachsen

Durch die Ankunft von hunderttausenden neuen Muslimen in Deutschland hat nun das Thema Ramadan einen sehr großen Platz in der öffentlichen Diskussion eingenommen. Die Medien sind voll mit Berichten über diese jahrtausendealte Tradition. Durch die große Toleranz der Deutschen verstehen nun auch viele, was ihre neuen Nachbarn beschäftigt und wie sie in ihrer Religion Gott huldigen. Es gibt auch ein großes Verständnis dafür, dass die neuen Nachbarn oder gar schon Kollegen ihr Verhalten im Heiligen Monat verändern - andererseits wachsen allerdings auch die Ressentiments der Menschen, die sich durch die wachsende Präsenz der islamischen Kultur bedroht fühlen. Der Ramadan ist für sie natürlich der gelebte Beweis, wie speziell und eigenartig die Muslime sind.

Die Muslime erwarten von den Deutschen nicht, dass sie ihren Lebensstil ändern um eine perfekte Ramadan-Umgebung zu kreieren. Alle freuen sich aber, dass sie eine große Empathie der engagierten Deutschen spüren. In vielen Städten gibt es gemeinsame Fastenbrechen-Events, die vor allem die ehrenamtlich engagierten Deutschen für die neuen Mitbürger arrangieren. Viele Arbeitgeber versuchen, auf die Gewohnheiten der neuen Kollegen Rücksicht zu nehmen, und auch in den Wohn- und Asylbewerberunterkünften wird viel für einen schönen Ramadan getan. Sozialarbeiter und Caterer arbeiten länger, gewöhnen sich an nächtliche Essensausgabezeiten, planen logistisch, beschäftigen mehr Personal oder machen Überstunden. Dazu bemühten sich viele Mitarbeiter in den Unterkünften, neue, größere Gebetsräume zu erschließen.

Aber bei allem Entgegenkommen, für das wir Neuen mehr als dankbar sind: Die Deutschen sollen um Gottes Willen nicht aufhören, tagsüber Gebäck in den Straßencafés zu essen und Bier beim Public Viewing zu trinken, auch tagsüber! Und natürlich sollen die deutschen Frauen sich nicht zieren, ihre schönen luftigen Sommerkleider zu tragen.

Wer sich als Fastender darüber aufregt, dem sage ich: "Hey! Das hier ist Berlin, das hier ist Deutschland, nicht Mekka!" Die Fastenden wissen ganz genau, dass sie sich selbst daran hindern müssen, den schönen Frauen hinterherzuträumen. Am besten schauen sie sie gar nicht an, wenn sie ihnen auf der Straße begegnen. Auch und besonders mit den Gedanken bei Gott: Wendet die Augen ab von den Schönheiten des Gastlandes. Es ist nicht ihre Schuld, wenn sie euch reizen. Hier ist Berlin, nicht Mekka!

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