Syriens Machthaber Assad:Comeback eines Geächteten

Syriens Machthaber Assad: Syriens Präsident Assad im Juli 2010

Syriens Präsident Assad im Juli 2010

(Foto: AFP)

Baschar al-Assads Ende wird seit drei Jahren prophezeit. Doch Syriens Diktator herrscht weiter über große Teile des Landes. Die von den Amerikanern angeführten Luftschläge verschaffen ihm womöglich Oberwasser. Er hat das geahnt.

Von Lars Langenau

Der Mann ist ein Phänomen. 49 Jahre alt, in London studierter Augenarzt und Sohn von Hafis al-Assad. Der schlug als syrischer Diktator bereits 1982 in der Stadt Hama mit brutaler Gewalt einen Aufstand der Muslimbruderschaft nieder. Seit 14 Jahren ist nun Baschar al-Assad Staatspräsident Syriens, eines Polizeistaates in dem politisch lange Friedhofsruhe herrschte.

Zweimal wurde er seither wiedergewählt, mit Ergebnissen, die arabische Potentaten lächeln lassen. Zuletzt im Juni 2014, eine "Wahl", die er nach offiziellen Angaben mit 88,7 Prozent der Stimmen gewann. Eine Farce. Aber wohl keine größere als der Urnengang für General Abd al-Fattah al-Sisi in Ägypten.

Im Dezember 2010 begann der Arabische Frühling in Tunesien und breitete sich auf die gesamte Region aus. Assad selbst betrachtete sein Regime anfangs als immun gegen die Umwälzungen. In Syrien gebe es andere Bedingungen, behauptete er - und warb für mehr (wirtschaftliche) Liberalität. Höchstwahrscheinlich war einfach sein Vertrauen in den allmächtigen Geheimdienst zu groß, dessen Überwachungssystem bereits sein Vater weitgehend perfektioniert hatte.

In der arabischen Welt folgten Sturz, Flucht oder Tod langjähriger Machthaber wie Zine el-Abidine Ben Ali in Tunesien, Hosni Mubarak in Ägypten, Ali Abdulla Salih im Jemen und Muammar al-Gaddafi in Libyen. Anfang 2011 erhoben sich auch in Syrien die Menschen, doch die Proteste wurden von Assads Sicherheitskräften brutal niedergeschlagen. Wenig später gründete sich die Freie Syrische Armee aus desertieren Soldaten und seit mehr als drei Jahren herrscht in dem alten Kulturland Syrien der wohl blutigste Bürgerkrieg in der arabischen Welt: Mit inzwischen mehr als 200 000 Toten - die UN hat inzwischen zu zählen aufgehört -, Abermillionen Flüchtlingen und der Zerstörung unwiederbringlicher Kulturgüter.

"Wie ein Kapitän im Sturm"

Was ist Syrien heute? Ein Staat aus sich gegenseitig bekämpfenden Kantonen, deren Grenzen manchmal durch Stadtgebiete wie in Aleppo verlaufen. Assad galt als angezählt. Als König ohne Land, der mehr als die Hälfte des Staatsgebietes an Rebellen aller Colour verloren hatte. Als toter Mann, der dem Schicksal nur durch Flucht entgehen konnte. Doch Exil lehnt er kategorisch ab. "Ich stehe zu meiner Verantwortung wie ein Kapitän eines Schiffes im Sturm", sagte er vor mehr als einem Jahr der argentinischen Zeitung Carlin. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

Selbst nach Giftgasangriffen, die im August vergangenen Jahres die Welt entsetzten, konnte er in letzter Sekunde noch seinen Hals aus der Schlinge ziehen. Die Amerikaner verzichteten auf einen Luftangriff auf Syrien, nachdem auch das britische Unterhaus solche abgelehnt hatte - und Assad stimmte der Vernichtung seiner Chemiewaffen zu. Doch er war weltweit geächtet, isoliert und sein Regime mit harten Sanktionen belegt. Er war ein Paria der Weltgemeinschaft. Unterstützt nur noch durch russische Waffenlieferungen, iranische Berater und schiitische Milizen aus dem Libanon und Irak. Doch die Schiiten sollen längst fast alle wieder abgezogen sein, zum Kampf an anderen Fronten.

In einem Gespräch mit der FAZ sagte Assad im Juni vergangenen Jahres, dass es für Europa keine Alternative zu einer Kooperation mit dem syrischen Staat gebe, selbst wenn das Europa nicht gefiele. In einem bemerkenswerten Spiegel-Interview vom Oktober 2013 bemerkte er prophetisch: "Hier geht es auch um eure Interessen: Was habt ihr davon, wenn sich in eurem Hinterhof al-Qaida tummelt, wenn ihr hier bei uns Instabilität unterstützt?" Soll heißen, wenn es die Luftschläge gegeben hätte, dann säßen jetzt radikale Islamisten an den Schaltstellen der Macht eines Staates mit Grenzen zur Türkei und Israel. Nun heißt al-Qaida dort nicht mehr so, sondern Islamischer Staat, bedroht massiv neben Syrien auch den Irak - und steht inzwischen an der türkischen Grenze.

Die Welt hat sich gedreht: Im September 2014 sieht der Westen die Kopfabschneider von der IS als größeres Übel als Assad an. Auch wenn Frankreichs Präsident Hollande Ende August noch eine Zusammenarbeit mit dem Diktator ausgeschlossen hatte ("Es gibt keine Wahl zwischen zwei Arten der Barbarei"), so gibt es offenbar zumindest geheime Absprachen zwischen Washington und Damaskus. Höchstwahrscheinlich laufen die Kontakte über die schwer unter Druck geratene irakische Regierung, die ebenfalls von der IS bedroht wird, aber die Amerikaner offiziell als Verbündete im Boot hat.

Gestern Nacht flogen die USA und Verbündete jedenfalls erstmals Angriffe gegen die radikalen Dschihadisten in Syrien. Eine "Zusammenarbeit", die sich anbahnte, auch wenn dieses Wort niemand in dem Mund nehmen will. So sagte Ende August Syriens Außenminister Walid al-Muallem, dass sein Land im Kampf gegen IS zur Zusammenarbeit auch mit dem Westen bereit sei, um den Terrorismus zu bekämpfen. Jedes Vorgehen in Syrien müsse aber mit der Regierung in Damaskus koordiniert werden. Dem Vernehmen nach wurde das Regime vor den gestrigen Angriffen zumindest informiert.

Kampf mit dem Rücken zur Wand

Inzwischen pocht auch Deutschland nicht mehr auf Assads Rücktritt als Voraussetzung für eine Befriedung des Landes. "Wir haben nicht zu entscheiden darüber, wie die Menschen in Syrien ihre Zukunft gestalten wollen", sagte eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes am Montag in Berlin auf die Frage, ob eine Ende des Bürgerkrieges in Syrien an den Amtsverzicht des Machthabers in Damaskus gekoppelt sei. Schließlich hatte Berlin ebenso wie Washington erklärt, eine friedliche Zukunft in Syrien könne es nur ohne Assad geben.

Zwar betonte die Sprecherin, es gebe keine Überlegungen, mit Assad im Kampf gegen IS zusammenzuarbeiten: "Wir warnen vor der naiven Logik, der Feind meines Feindes ist mein Freund." Assad habe vielmehr mit seiner "brutalen Politik" dazu beigetragen, dass der IS erstarken konnte. Noch gibt es Widerstand gegen eine Rückkehr Assads aus dem Keller der politischen Schmuddelkinder.

Doch die Bedenken sind nahezu beiseite gewischt. Denn Tatsache ist, dass die sunnitischen IS-Milizen Andersgläubige wie Jesiden, Christen, Schiiten und selbst die mehrheitlich sunnitischen Kurden mit dem Tod bedrohen. Assad selbst ist Angehöriger der schiitischen Sekte der Alawiten. Seine Minderheit wäre die erste, die abgeschlachtet würde, wenn die IS tatsächlich den Kampf gewinnen sollte. Assad kämpft also mit dem Rücken zur Wand.

"Wir haben keine andere Wahl"

Unter seiner Herrschaft war Syrien, trotz aller Repressionen, zumindest ein weitgehend säkulares Land mit privaten Freiheiten. Es war kein Problem, Alkohol zu erwerben, Musik waberte durch alle Stadtteile und zumindest in den christlichen Vierteln der Großstädte Damaskus und Aleppo trugen die jungen Mädchen Miniröcke. Das soll noch heute so sein in den vom Regime beherrschten Stadtvierteln im ganzen Durcheinander der Frontverläufe im Land. Wäre die IS an der Macht, wären selbst diese kleinen Fluchten vorbei. "Selbst wenn wir keine Chance hätten, diesen Kampf zu gewinnen: Wir haben doch keine andere Wahl, als unsere Heimat zu verteidigen", sagte Assad weiter in dem Spiegel-Gespräch. Das bedeutet: Kampf bis zum Tod. Gegen alle Feinde. Nur: Für die staatlichen syrischen Medien sind sämtliche Gegner des Regimes "Terroristen".

Inzwischen sind alle Parteien in Syrien in einen Drei-Fronten-Krieg verwickelt: Assads Soldaten gegen die moderate syrische Opposition, die zunehmend an Einfluss verloren hat, und die IS-Extremisten. Die gemäßigten Rebellen gegen Assads Streitkräfte und die IS. Und die IS gegen die Freie Syrische Armee und gegen das Regime in Damaskus. In der ganzen Unübersichtlichkeit des Krieges begrüßte auch die zersplitterte syrische Opposition die US-geführte Luftoffensive auf Stellungen der IS. Die Weltgemeinschaft sei damit "in unseren Kampf gegen IS eingetreten", teilte die Syrische Nationale Koalition am Dienstag mit. Doch wem werden sie nützen? Profitiert Assad? Oder bedeutet sie eine Wende, erst die IS, dann Assad, wie heute der FAZ-Korrespondent in Kairo behauptet? Nur, wer würde Assad ersetzen?

Anfang des Monats beschrieb Bassam Abdullah, Botschafter der oppositionellen Syrischen Nationalen Koalition in Deutschland, IS und Assad in einem Gastbeitrag für die FAZ als "totalitäre Zwillinge". So habe Assad 2012 mehrere Hundert Islamisten aus dem Gefängnis entlassen, zu denen auch heutige Mitglieder der IS-Führungsriege gehörten. Er habe sich zum "Geburtshelfer des Dschihadismus in Syrien" gemacht, schrieb Abdullah. Weiter: "Assad will das syrische Volk sowie den Westen vor eine infame Wahl stellen: Entweder bleibt sein Regime an der Macht, oder Syrien wird dem IS übergeben." Damit wolle Assad "zugleich Brandstifter und Feuerwehr sein und den Westen in einen Hinterhalt locken", warnte Abdullah.

Wenn dem so sein sollte, dann begleiten ihn irritierenderweise ausgerechnet Saudi-Arabien und Katar, die als ausgemachte Feinde Assads in der arabischen Welt gelten. Im Moment hat er wieder Oberwasser. Totgesagte leben eben länger. In Syrien scheint das ganz besonders zu gelten.

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