Syriens Chemiewaffen:Assads Giftkammer beunruhigt die Welt

Syrien räumt erstmals ein, chemische Waffen zu besitzen - und wirft damit schwierige Fragen auf: Wie sicher sind die tödlichen Kampfmittel in Assads Händen und wer übernimmt die Kontrolle, wenn das Regime stürzt? Vor allem zwei Chaos-Szenarien machen der internationalen Gemeinschaft Sorgen.

Johannes Kuhn und Markus C. Schulte von Drach

Dschihad Makdissi war schwer beschäftigt: Noch spät in der Nacht versuchte der Sprecher des syrischen Außenministeriums am Montag via Twitter seine Äußerung zu relativieren. Er habe nicht bestätigt, dass seinem Land Chemiewaffen zur Verfügung stünden, vielmehr habe er auf falsche Vorwürfe in den Medien antworten wollen.

Syriens Chemiewaffen: Syriens neuer Verteidigungsminister Fahd al-Fredsch (links) mit Machthaber Baschar al-Assad: Chemiewaffen waren ein offenes Geheimnis.

Syriens neuer Verteidigungsminister Fahd al-Fredsch (links) mit Machthaber Baschar al-Assad: Chemiewaffen waren ein offenes Geheimnis.

(Foto: AFP)

Zu spät: Mit seiner Aussage, die Regierung würde "niemals" Chemiewaffen "gegen unsere eigenen Bürger" einsetzen, "nur im Fall einer ausländischen Aggression", hat Makdissi Syriens offenes Geheimnis ausgeplaudert. Das Land besitzt ABC-Waffen.

Die Weltgemeinschaft geht davon aus, dass sich folgende Chemiewaffen in syrischem Besitz befinden:

[] Senfgas

Das hochwirksame Hautgift dringt innerhalb von Minuten durch Kleidung und Haut in den Körper ein (Kontaktgift) und zerstört die Zellen. Häufig kommt es auch zu Schäden an Nerven und am Herzkreislauf-System, die tödlich sein können.Wird Senfgas eingeatmet, zerstört es das Lungengewebe. Saddam Hussein setzte es im Krieg zwischen Irak und Iran sowie beim Giftgasangriff auf die von Kurden bewohnte Stadt Halabdscha 1988 ein, bei dem mindestens 5000 Menschen starben.

[] Saringas

Dieser Nervenkampfstoff, den der irakische Diktator ebenfalls gegen Iran und die Kurden einsetzte, blockiert ein Enzym zur Weitergabe von Nervensignalen. Anfänglich zeigen Patienten verstärkten Speichefluss, dann Muskelzuckungen, Darmentleerung, Erbrechen, Krämpfe, schließlich kommt es zur Atemlähmung, so dass die Betroffenen qualvoll ersticken. 1995 verübte die japanische Aum-Sekte in der Tokioter U-Bahn einen Anschlag mit Sarin, bei dem 12 Menschen starben, über 1000 wurden verletzt.

[] VX

Das modernste dieser Art von Nervengasen gilt als etwa hundertmal giftiger als Sarin, obwohl es langsamer wirkt. Bereits ein kleiner Tropfen auf einer beliebigen Stelle des Körpers wirkt tödlich, an Gegenständen klebend bleibt der Kampfstoff über etliche Wochen gefährlich.

Wenig über syrische Produktion bekannt

Bereits seit langem vermuteten Fachleute, dass das Assad-Regime solche Kampfmittel in seinen Händen weiß. Zu Zeiten des Kalten Krieges startete Syrien mit Hilfe der Sowjetunion ein entsprechendes Programm, seit einigen Jahren soll Iran Damaskus logistisch unterstützen, Scud-Kurzstreckenraketen mit chemischen Sprengköpfen bestückbar zu machen.

Die Regierung hat auch nie bestritten, Chemiewaffen zu besitzen. Doch weil Syrien als eines der wenigen Länder weltweit die internationale Chemiewaffenkonvention von 1992 nicht unterzeichnet hat, gibt es keine verbrieften Informationen über mögliche Bestände.

Derzeit sind fünf bis sechs mögliche Fabriken für Chemiewaffen bekannt, die zum Großteil bereits seit den Achtzigern existieren. Es ist nicht klar, ob und in welchem Ausmaß dort derzeit produziert wird, allerdings soll Syrien Schätzungen zufolge einen der größten Bestände an unkonventionellen Waffen in der Region kontrollieren. Es existieren auch unbestätigte Berichte, wonach Syrien in den vergangenen Jahren Hunderte Tonnen von Chemikalien zur Herstellung von Nervengas aus Iran importiert habe.

Chemiewaffen wurden in der Geschichte der Menschheit bislang vergleichsweise selten eingesetzt - allerdings wohl weniger aus humanitären Gründen als vielmehr aus militärstrategischen Erwägungen. Die UN-Konvention zur Ächtung dieser Kampfstoffe fand vermutlich auch deshalb so viele Unterzeichner, weil die Mittel sich in modernen Konflikten sowieso nur eingeschränkt verwenden lassen.

Könnten die Waffen in falsche Hände fallen?

So wird die Wirksamkeit von Giftgas durch starken Wind, Kälte und Feuchtigkeit eingeschränkt, was eine gezielte Anwendung grundsätzlich schwierig macht.

Vor allem aber bietet sich der Einsatz nur bei einem klaren Frontverlauf an - der ist im syrischen Bürgerkrieg nicht vorhanden. Die Aufständischen kämpfen vor allem in den Straßen der syrischen Städte gegen Soldaten und regimetreue Milizen. Es dürfte Assad unmöglich sein, die Rebellen massiv zu treffen, ohne zugleich Zivilisten oder sogar eigene Truppen und Anhänger zu töten.

Zwar wäre ein Angriff auf Städte oder Dörfer denkbar, deren Bewohner sich geschlossen hinter die Rebellen gestellt haben. Ein solches Vorgehen aber würde vermutlich selbst die hartnäckigen Gegner härterer Maßnahmen gegen Syriens Regierung- vor allem Russland und China - gegen Assad aufbringen.

Was passiert, wenn Assad stürzt?

Die Drohung des Regimes bezieht sich deshalb vermutlich eher auf mögliche Angriffe auf andere Staaten - etwa Israel. Mit chemischen Kampfstoffen ausgestattete Scud-Raketen könnten dort etliche Menschen töten. Da Israel und seine Verbündeten allerdings kaum darauf verzichten dürften, Vergeltung zu üben, dürfte die Ankündigung des Außenministeriums eher einen psychologischen Zweck erfüllt haben.

Einem Bericht des Wall Street Journal zufolge hat die Armee vor einigen Tagen begonnen, die Chemiewaffen aus den im ganzen Land verteilten Lagerhallen abzutransportieren. Regierungsoffizielle in Israel und den USA gehen Medienberichten zufolge bislang davon aus, dass Assad das Material sichern und auf Militärstützpunkten weit weg von den Kampfzonen lagern möchte. Die Freie Syrische Armee (FSA) behauptet, die Waffen seien zu Flughäfen in Grenznähe gebracht worden.

Politisch wäre der Einsatz chemischer Kampfstoffe für Präsident Assad fatal. Die USA und Israel fürchten deshalb vor allem, dass die chemischen Kampfmittel in die falschen Hände gelangen könnten. Der weitere Zerfall des Regimes könnte einzelne Einheiten dazu bringen, die Lagerbestände auf dem Schwarzmarkt an islamistische Rebellengruppen, die Hisbollah oder al-Qaida zu verkaufen - oder die Aufsicht über die Waffen schlicht aufzugeben, um zu desertieren oder auf Anweisung Assads in den Krieg zu ziehen.

Die FSA hat bereits angekündigt, "innerhalb von Stunden" einige tausend Soldaten zur Sicherung der Chemiewaffenbestände bereitstellen zu können, sollte Assads Regime fallen. Doch längst ist nicht klar, wo sich alle Lager befinden. Im Februar zitierte CNN aus amerikanischen Militärplanungen, dass bei der geographischen Verteilung von Produktionsstätten und Depots bis zu 70.000 Soldaten nötig wären, um die Chemiewaffen zu bewachen.

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