Syrien:Zwischenstopp in Afrin

Kurdische Milizen könnten im syrischen Afrin zur Guerillataktik greifen und damit die Türkei provozieren. Das ist gefährlich - wie es auch die Pläne der Türken für die Gegend um Afrin sind.

Von Moritz Baumstieger

Passend zum türkischen "Tag der Märtyrer" konnte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan die Einnahme des nordsyrischen Afrin am Sonntag vermelden; er tat das in gewohnt breitbeiniger Rhetorik: Die kurdischen Kämpfer hätten den Ort "mit eingezogenem Schwanz verlassen", sagte Erdoğan, die türkische Armee und die mit ihr verbündeten syrischen Milizen kontrollierten nun die Stadt.

Schon bald darauf bemühten sich türkische Meinungsmacher, die völkerrechtswidrige Invasion der kurdischen Enklave als Eingriff darzustellen, der präzisen, humanitären Kriterien folgt. Sie twitterten fleißig Bilder der einst vom sogenannten Islamischen Staat besetzten Städte Raqqa und Mossul, deren Zentren nach der Vertreibung der Dschihadisten weitgehend in Schutt und Asche lagen. Daneben sieht man das dank der Türkei von angeblichen PKK-Terroristen befreite Afrin - fast gänzlich unzerstört!

Die kurdische Seite stellt das Geschehen naturgemäß anders dar. Ihre Kämpfer hätten sich aus Afrin eben genau deshalb zurückgezogen, um der Stadt und ihren Bewohnern das Schicksal von Mossul und Raqqa zu ersparen: blutige Häuserkämpfe, bei denen Zivilisten unweigerlich zwischen die Fronten geraten, einen grausamen Bombenkrieg, der eine kaum zählbare Menge an Unschuldigen unter Trümmern begräbt. Denn dass die Türkei nicht davor zurückschreckt, Städte zu belagern und ganze Viertel dem Erdboden gleichzumachen, hat sie im vergangenen Jahr in den Kurdengebieten im eigenen Land bewiesen.

Doch nicht einmal die Nachricht, dass eine Stadt ihrer Zerstörung entgeht, ist eine uneingeschränkt gute in diesem Krieg. Kurz nach Erdoğans Siegesprahlerei kündigte die kurdische YPG-Miliz am Sonntag an, aus dem Untergrund weiter gegen die türkischen Truppen und ihre syrischen Söldner vorzugehen. Und bereits am Montagmorgen explodierte die erste Bombe in Afrin und tötete elf Menschen, die meisten von ihnen Zivilisten.

Es spricht vieles dafür, dass sich der Konflikt zwischen Türken und Kurden weiter aufschaukelt

Aus militärischer Sicht mag es nachvollziehbar sein, wenn sich die Kurden nun auf einen Guerilla-Krieg verlegen. Es ist jedoch auch eine ziemlich gefährliche Strategie - vor allem, wenn sich einige ihrer Kämpfer entscheiden sollten, den Konflikt über die Grenze auch in die Türkei zu tragen: Jeder Hinterhalt, in den türkische Soldaten und ihre Verbündeten geraten, wird von Ankara als Beleg dafür angeführt werden, dass die syrischen Kurdenorganisationen nur Ableger der Arbeiterpartei PKK sind - in ihren Augen also Terroristen, gegen die mit Härte vorgegangen werden muss. Und jede Bombe, die Unschuldige tötet, wird als Grund zitiert werden, die Offensive in Syrien noch weiter auszudehnen. Erst gegen die Stadt Manbidsch westlich des Euphrats, wie es Ankara bereits ankündigt. Dann vielleicht weiter "bis zur irakischen Grenze", wie es schon jetzt in hitzigen Reden heißt.

Und selbst, wenn die Türkei nun ankündigt, ihre Soldaten bald wieder aus Afrin zurückzuziehen, ist das keine rein positive Nachricht. Der Vizepremier sagt, man werde den Landstrich seinen "wirklichen Besitzern" zurückgeben. Damit sind wohl kaum die kurdischen Einwohner gemeint, die nun geflohen sind. Ankara plant wohl eher, in die Türkei geflüchtete syrische Araber hier anzusiedeln. Damit ist der nächste Konflikt programmiert - Frieden hat erzwungener Bevölkerungsaustausch noch nie gebracht.

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