Syrien:Was an Kobanê deutsch ist

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Seltene Stille: Die syrische Stadt Kobanê heute. (Foto: Getty Images)

Nicht nur Kobanê selbst ist umkämpft, sondern auch der Name der syrischen Stadt: Es geht um die Frage nach der kurdischen oder arabischen Identität. Dabei ist der Ortsname deutschen Ursprungs.

Von Ronen Steinke

Die umkämpfte Stadt Kobanê, die an der syrisch-türkischen Grenze liegt, hat viele Namen. Auf Arabisch heißt sie Ain al-Arab. "Arabische Quelle". Auf Türkisch heißt sie Arap Punarı, was dasselbe bedeutet. Da lebt die gute Erinnerung an das Trinkwasser fort, das hier einst oasenhaft sprudelte: Große Feldherren wie Saladin, kurdischstämmiger Emir von Damaskus, führten ihre Truppen schon im 12. Jahrhundert in diese Landschaft, die für ihren Erholungswert bekannt war.

Auf Kurdisch heißt die Stadt Kobanê, und das ist heute nicht nur die Sprache der Kämpfer, die sie seit Wochen gegen den Ansturm der Terrormiliz IS verteidigen. Sondern vor allem der größten, wenngleich inzwischen großteils vertriebenen Bevölkerungsgruppe der Stadt.

Dass mit Namen Politik gemacht wird, daran hat jetzt der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan erinnert. "Ich will mich nicht in den Streit einmischen, ob die Stadt den Arabern gehört oder den Kurden", sagte er jüngst vor Journalisten. "Aber Fakt ist, die Stadt heißt Ain al-Arab. Dieser Name wurde erst später in Kobanê umgewandelt."

Der Name stammt aus einer Zeit, als die Deutschen die Bagdad-Bahn bauten

Die Botschaft ist genau gehört worden: Erdoğan, der sich nur mit zusammengebissenen Zähnen Solidarität mit den Kurden abringen kann - zu sehr fürchtet er das Entstehen eines Kurdenstaats an seiner Grenze -, spricht ihnen die historische Legitimität ab.

Dabei weisen kurdische Historiker auf eine Ironie hin: Der Ortsname Kobanê ist gar nicht ursprünglich kurdisch. Sondern vielmehr deutsch. Und er verweist keineswegs auf kurdische Eroberer. Sondern auf die deutsch-türkische Zusammenarbeit im Ersten Weltkrieg.

"Die Deutschen setzten hier 1912 einen kleinen Bahnhof hin, als sie die Bagdad-Bahn bauten", erklärt der kurdische Schriftsteller Muhsin Kızılkaya. Es waren kaiserlich-deutsche Eisenbahn-Barone, schneidige Adelige, die herkamen und das Kommando führten; der Gleisbau sollte ihren imperialen Traum einer Verbindung zwischen Berlin und Bagdad erfüllen, die geplante Strecke führte über Aleppo und Mossul.

Die örtlichen Arbeiter mit Spitzhacke und Hammer - es waren Kurden - verballhornten ein deutsches Wort: "Kompanie". Es bürgerte sich als Bezeichnung für ihre Arbeitersiedlung ein. Mit den Jahren wurde "Kobanê" daraus (mit einem "e" wie in Beet). Der Ort wuchs. Der heutige Anführer der syrischen Kurdenpartei PYD, Salih Muslim Muhammad, der selbst aus Kobanê stammt, erzählt diese Historie gern.

Heute markiert der Gleisverlauf die Grenze zwischen der Türkei und Syrien

Im Ersten Weltkrieg spielte das Bahngleis eine düstere Rolle: Die Türken nutzten es, um Zehntausende Armenier in den sicheren Tod zu deportieren. Noch heute gehört das Gleis zum Stadtbild von Kobanê. Die Kurden haben es zuletzt mit mehreren Lastwagen blockiert, "damit der IS keine Waffen transportieren kann", wie sie sagten.

Der Gleisverlauf der einstigen Bagdad-Bahn markiert heute die Grenze zwischen Syrien und der Türkei. So wollten es die Siegermächte des Ersten Weltkriegs, Großbritannien und Frankreich, als sie das osmanische Großreich zerschnitten.

Und das heißt auch: Wenn die kurdischen Gleisarbeiter 1912 schlicht auf der anderen Seite dieser Baustelle im Niemandsland gesiedelt hätten, dann läge Kobanê heute nicht in Syrien, sondern in der Türkei.

© SZ vom 03.11.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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