Syrien:Warum der Krieg in Syrien eskaliert

Syrien: Die Altstadt von Homs im Januar 2018.

Die Altstadt von Homs im Januar 2018.

(Foto: AP)
  • Die Lage im Krieg in Syrien verschärft sich zunehmend.
  • Die USA wollen mit kurdischer Hilfe einen Grenzschutz aufbauen. Das erzürnt die Türkei.
  • Auch die Spannungen zwischen Washington und Moskau nehmen zu.

Von Paul-Anton Krüger, Kairo

Kampfpanzer auf Tiefladern rauschen an der Kamera vorbei; das türkische Fernsehen überträgt von der Grenze zu Syrien. Präsident Recep Tayyip Erdoğan droht den syrischen Kurden mit Angriffen. In der syrischen Provinz Idlib wird seit Wochen heftig gekämpft: Dort attackieren syrische Truppen mit Unterstützung Russlands Rebellen und Dschihadisten, von denen einige von der Türkei unterstützt werden.

Überdies gibt es neue Spannungen zwischen den USA auf der einen Seite und Russland, Iran sowie dem syrischen Regime von Baschar al-Assad, aber auch der Türkei auf der anderen, seit die USA angekündigt haben, unter maßgeblicher Beteiligung der Kurden im Nordosten Syriens eine 30 000 Mann starke Truppe zum Grenzschutz aufzubauen.

Das Jahr 2018 beginnt mit Eskalation in dem Bürgerkriegsland; die Aussicht auf Frieden oder Verhandlungen schwinden. Die Zusammenarbeit zwischen Russland, Iran und der Türkei ist gefährdet, eine Auseinandersetzung zwischen den USA und Russland sowie Iran, indirekt ausgetragen durch von ihnen gestützten Milizen, wird wahrscheinlicher. Ein Krieg zwischen der Türkei und Syriens Kurden ist schon fast im Gange; ein Zerwürfnis zwischen den Nato-Partnern Türkei und USA die Folge.

Ein Einmarsch türkischer Truppen steht Erdoğan zufolge bevor

Seit Tagen beschießt die türkische Armee mit Artillerie den Kanton Afrîn, ein Gebiet mit 375 Orten und Dörfern, in denen 1,2 Millionen Menschen leben. Es ist eines von drei Kurdengebieten in Syrien, die sich offiziell selbst verwalten, militärisch aber von den YPG-Milizen kontrolliert werden. Diese gelten der Türkei als Ableger der auch in den USA und der EU als Terrorgruppe eingestuften PKK. Erdoğan hat nun angekündigt, sie zu vernichten.

Ein Einmarsch türkischer Truppen und von ihnen unterstützten Rebellen in Afrîn steht laut Erdoğan unmittelbar bevor. Auch einen Angriff auf die arabisch geprägte Stadt Manbij hat der Präsident angekündigt. Die YPG hatten den Ort als wichtigster Teil des von den USA unterstützten Milizen-Bündnisses Syrische Demokratische Kräfte (SDF) von der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) freigekämpft. Nach Ansicht Erdoğans haben sie sich aber nicht wie zugesagt von dort zurückgezogen.

Syrien drohte der Türkei mit dem Abschuss von Flugzeugen, sollten sie in den Luftraum im Nordwesten des Landes eindringen. Wenn die türkische Regierung einen Kampfeinsatz im Raum Afrîn anordne, werde dies als Aggression gewertet, sagte der stellvertretende Außenminister Faisal Mekdad am Donnerstag nach Berichten staatlicher Medien. Die syrische Luftabwehr sei wieder zu alter Stärke zurückgekehrt und könne türkische "Flugziele" zerstören. Syrien lehne jegliche Präsenz türkischer Truppen auf seinem Territorium ab.

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(Foto: SZ-Karte/Maps4News.com/HERE; Quelle: IHS Conflict Monitor)

Der Konflikt zwischen der Türkei und den kurdischen YPG-Milizen in Syrien zeichnet sich seit Monaten ab: Russland hatte auf Bitten der Kurden bereits im Sommer 100 Mann Militärpolizei nach Afrîn entsandt; ihre Präsenz sollte Erdoğan abschrecken. Mit Einverständnis Russlands rückte die Türkei 2017 über die Grenze nach Syrien vor; Truppen blieben dort um die Städte Jarabulus und al-Bab stationiert, die unter türkischer Verwaltung stehen. Zugleich besetzten die Soldaten Posten östlich von Afrîn. Offiziell diente der türkische Vormarsch der Grenzsicherung und dem Kampf gegen Extremisten, zentrales Ziel war aber schon damals, dass die Kurden keine Verbindung zwischen Afrîn und den weiter im Osten liegenden Kantonen schlagen können.

Neue Wut in Ankara hat nun die Ankündigung der US-geführten Anti-IS-Koalition entfacht, die geplante Grenzschutztruppe auch aus den YPG zu rekrutieren. US-Präsident Donald Trump hatte Erdoğan zugesagt, den Kurden keine Waffen mehr zu liefern. Einen Einmarsch der Türkei in Afrîn werden die USA zwar nicht verhindern. Das Pentagon hatte aber betont, die SDF auch nach dem Sieg über den IS zu unterstützen. Nun droht Erdoğan, die vom Nato-Partner geförderte Truppe zu vernichten.

Russlands Außenminister wirft den USA vor, Syrien spalten zu wollen

Zugleich zeichnet sich wegen der geplanten Einheit eine neue Konfrontation zwischen Washington und Moskau sowie Iran und dem Assad-Regime ab: Sie hatten Ende 2017 den IS in Syrien für besiegt erklärt. Das war die indirekte Aufforderung an die USA, ihre Truppen abzuziehen. US-Außenminister Rex Tillerson sagte am Mittwochabend jedoch in einer Rede, dass die USA nicht den Fehler eines verfrühten Abzuges wie im Irak 2011 wiederholen dürften. Er bestätigte, dass US-Truppen auf unbestimmte Zeit in Syrien stationiert bleiben sollen.

Sie sollten sicherstellen, dass die militärisch weitgehend besiegte Terrormiliz Islamischer Staat (IS) nicht wieder erstarke. Zugleich solle die US-Präsenz den Einfluss Irans in Syrien zurückdrängen und dazu beitragen, dass ein politischer Übergangsprozess unter Ägide der Vereinten Nationen zustande komme. Als weitere Ziele der neuen US-Syrien-Politik nannte Tillerson, die Bedingung für die Rückkehr von Flüchtlingen zu schaffen und sicherzustellen, dass es in Syrien keine Massenvernichtungswaffen mehr gebe. Im Bürgerkrieg haben nach Überzeugung der USA und anderer westlicher Staaten die Truppen des Regimes von Präsident Baschar al-Assad wiederholt Chemiewaffen eingesetzt, darunter den Nervenkampfstoff Sarin.

Tillerson versuchte zugleich, den Streit mit der Türkei zu beruhigen. Mann sei dem Nato-Partner "eine Erklärung schuldig", räumte er ein. Er bestritt, dass die USA eine Grenzschutztruppe unter Beteiligung der kurdischen YPG-Milizen aufbauen wolle; das sei falsch dargestellt worden. Ein Sprecher der von den USA geführten Internationalen Koalition gegen den IS hatte am Samstag angekündigt, "Syrischen Grenzsicherungskräfte" aufstellen zu wollen, an denen die kurdischen YPG-Milizen maßgeblich beteiligt sein würden. Diese würden weiter von US-Militärberatern unterstützt.

Offiziell hatten 2000 US-Soldaten die SDF im Kampf gegen den IS unterstützt, Insider in Washington vermuten, es seien bis zu 5000 Mann gewesen. Abgezogen wurden bisher einige Hundert Marines. Selbst hohe ehemalige US-Diplomaten räumen ein, dass nach Ansicht der Juristen im US-Außenministerium wie im Pentagon eine weitere Truppenpräsenz in Syrien zunehmend schwer zu rechtfertigen sei. Die Anti-IS-Koalition begründet die neue Truppe damit, dass ein Wiedererstarken des IS im Grenzgebiet zwischen dem Euphrat in Syrien und der Wüste im irakischen Gouvernement Anbar verhindert werden müsse. Hier zog sich schon al-Qaida im Irak zurück, die Vorläuferorganisation des IS. Hier hält der IS noch Gebiete, Tausende Kämpfer könnten abtauchen.

Gleichzeitig würde eine solche Grenztruppe die nördlichen Routen des von Iran angestrebten schiitischen Bogens blockieren, einer Landbrücke von Iran über den Irak nach Syrien und Libanon. Iran hätte damit eine Nachschubroute für die libanesische Hisbollah und andere Milizen und stünde an den Grenzen Israels, das mit einer zunehmenden Zahl von Luftangriffen in Syrien reagiert.

Überdies wollen die USA nun nach dem militärischen Sieg über den IS nun offenbar wieder versuchen, stärker Einfluss auf einen politischen Prozess auszuüben, der zu einer Nachkriegsordnung in Syrien führen soll. Tillerson schloss in seiner Rede aus, dass Assad eine Rolle in einem Syrien der Zukunft spielen könne.

Moskau wirft Ankara vor, nicht genug gegen Dschihadisten vorzugehen

Russlands Außenminister Sergej Lawrow warf den USA vor, es auf eine Spaltung Syriens anzulegen. Die syrische Armee und Iran kündigten an, alle US-Soldaten aus dem Land zu vertreiben.

So sehr sich Moskau, Teheran und Ankara einig sind in ihrer Ablehnung der US-Pläne - ihre Kooperation erfährt die schwerste Belastungsprobe, seit sich Erdoğan Ende 2016 auf den Vorschlag des russischen Präsidenten Wladimir Putin einließ, in Astana ohne die USA zu verhandeln. Die syrische Provinz Idlib ist eine der vier Deeskalationszonen, die dort später unter der Beteiligung Irans und syrischer Rebellen vereinbart wurden - im Vormarsch syrischer Truppen dort mit russischer Luftunterstützung sieht Ankara einen Bruch des Abkommens und hat deswegen die Botschafter Russlands und Irans einbestellt. Hunderttausende Syrer sind auf der Flucht, viele von ihnen in Richtung der türkischen Grenze.

Moskau dagegen hält Ankara vor, nicht entschieden gegen dschihadistische Gruppen wie den syrischen Al-Qaida-Ableger vorzugehen. Die einstige Nusra-Front ist nicht von der Waffenruhe umfasst. Die Türkei hat mit einigen radikalen Gruppen Deals gemacht - etwa um Truppen in der Nähe des Kurden-Kantons Afrîn stationieren zu können.

Der Generalstab in Moskau kündigte an, dass Russlands Priorität nun die Bekämpfung der Nusra-Front sei. Bei Luftangriffen macht das Militär wenig Anstrengungen, zwischen anderen Rebellen und der Nusra-Front zu unterscheiden - das Muster ist aus Aleppo und anderen Orten bekannt. Erdoğan steht so in Idlib in einer Machtprobe mit Assad, den Iranern und den Russen. Sie zu gewinnen wird schwierig. Auch deswegen sucht er einen leichteren Sieg - gegen Syriens Kurden.

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