Syrien:Waffenruhe mit Schießerlaubnis

Die Kämpfe sollen aufhören, doch "Terroristen" dürfen weiter bombardiert werden. Das lässt dem Assad-Regime jede Menge Möglichkeiten, die Waffenruhe zu brechen.

Von Tomas Avenarius

Wenn US-Präsident Barack Obama und Russlands Staatschef Wladimir Putin bekannt geben, dass sie sich auf eine Waffenruhe für Syrien verständigt haben und sich das Assad-Regime dem Friedensaufruf pflichtschuldig anschließt, sollte für die Kämpfer beider Seiten gelten: Von Samstag an wird nicht mehr geschossen. Allein: Das wird in diesem Falle kaum geschehen. Aller Voraussicht nach wird das Töten im levantinischen Stellvertreterkrieg weitergehen, die zehntausendfache Flucht in Richtung Europa übrigens auch.

Die Waffenruhe, die vor einigen Tagen schon auf der Sicherheitskonferenz in der bayerischen Hauptstadt mit viel Tätärä als "Münchner Vereinbarung" quasi fürs Geschichtsbuch vorformuliert worden war, erscheint als kaum umsetzbar. Die Koordinaten sind zu schwammig. Die ObamaPutin-Vereinbarung sieht nun vor, dass die Kämpfe am Boden und die Bombardements aus der Luft eingestellt werden - mit Ausnahmen, denn der sogenannte Islamische Staat (IS) und der syrische Ableger des Terrornetzwerks al-Qaida, die Al-Nusra-Front dürfen, ja sollen, weiter bekämpft und bombardiert werden.

Das ist der Schwachpunkt der Vereinbarung. Denn in Syrien lässt sich längst kein eindeutiger Unterschied mehr ausmachen zwischen Anti-Assad-Rebellen und denjenigen, die nach westlicher Schreibart Terroristen sind. Weshalb Putin lediglich sagen muss, dass er die Al-Nusra-Front (Terroristen!) meint, wenn er tatsächlich die Anti-Assad-Rebellen (irgendwie auch Terroristen) massakrieren lässt.

Wer sind die "Terroristen", gegen die weiter gekämpft werden darf?

Putins Kalkül im Syrien-Krieg bleibt das alte. Der russische Präsident will seinen Schützling Baschar al-Assad in eine Position der Stärke bomben, bevor ernsthaft über Frieden und die Machtfrage verhandelt wird. So weit ist es noch lange nicht. Der IS tut Assad derzeit aber nicht so weh wie die vielen anderen Rebellengruppen, die ihn seit 2011 bekriegen, zum Teil am Stadtrand der Hauptstadt Damaskus. Diese Milizen müssen besiegt werden, damit Assads Machterhalt garantiert ist.

Da viele dieser Gruppen mit al-Nusra verbündet sind, können Putin, Assad und ihre iranischen Verbündeten in Zukunft jeden Bruch der Waffenruhe rechtfertigen. Die Al-Nusra-Front, eindeutig eine Terrorgruppe, schließt ihre Zweckbündnisse mit anderen Rebellengruppen gezielt: Man kämpft gemeinsam, Grundsatzfragen werden später geklärt. Viele Rebellen haben auch keine Probleme mit al-Nusra. Auch sie sind Scharia-Apologeten, die sich der Westen in seiner Syrien-Not nur als "Moderate" zurechtschminken möchte.

Es scheint, als habe Obama beschlossen, Putin in Syrien machen zu lassen, die Rebellen zu opfern und Assads Überleben zu akzeptieren. Die Nebenwirkungen dieses Bürgerkriegs sind einfach zu groß. Am Ende können sich Obama und Putin unter dem Stichwort "Kampf gegen den IS und gegen al-Nusra" viel leichter auf eine Neuauflage des "Kriegs gegen den Terror" einigen, auf den sich schon immer alle Nahost-Strippenzieher verständigen konnten.

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