Syrien:Russen sind nicht gleich Russen

Syrien: Im Dezember verkündete er den Sieg über den IS und ordnete an, dass Einheiten abgezogen werden aus Syrien, nun sieht es so aus, als seien Kämpfer einer russischen Privatarmee dort umgekommen: Russlands Präsident Wladimir Putin auf der syrischen Luftwaffenbasis Hmeimim.

Im Dezember verkündete er den Sieg über den IS und ordnete an, dass Einheiten abgezogen werden aus Syrien, nun sieht es so aus, als seien Kämpfer einer russischen Privatarmee dort umgekommen: Russlands Präsident Wladimir Putin auf der syrischen Luftwaffenbasis Hmeimim.

(Foto: Mikhail Klimentyev/AP)

Bei einem US-Angriff sind offenbar Söldner getötet worden. Die Reaktion in Moskau ist auffällig zurückhaltend: Sollte der Einsatz der Kämpfer dort bekannt gewesen sein, wäre das sehr peinlich.

Von Julian Hans und Paul-Anton Krüger, Moskau/Kairo

Seit die russischen Streitkräfte im Herbst 2015 in den Syrien-Krieg eingriffen, war ein tödlicher Zusammenstoß von Amerikanern und Russen das Schreckensszenario schlechthin: Konfrontation der Supermächte. Doch seit vor einer Woche bei einem US-geführten Luftangriff auf eine mehrere Hundert Mann starke Milizen-Einheit nahe der Stadt Deir al-Sour russische Staatsbürger getötet wurden, bemüht sich Moskau nach Kräften, die Details des bisher schwersten Zwischenfalls zwischen Amerikanern und regimetreuen Einheiten unter der Decke zu halten - außer der üblichen Rhetorik gegen die US-Präsenz im Land.

Die Angaben über die Zahl der Opfer des Angriffs im Euphrat-Tal gehen weit auseinander. Während das russische Verteidigungsministerium betonte, dass die Streitkräfte keine Verluste erlitten, zitieren die Agentur Bloomberg und die New York Times russische Quellen, die von bis zu 200 Toten sprechen, die meisten Russen. Informanten in der Region berichteten erst von getöteten syrischen Stammeskämpfern und vielen Afghanen, möglicherweise waren aber auch Kämpfer aus Ex-Sowjetrepubliken in Zentralasien unter den Getöteten. US-Militärquellen meldeten zunächst etwa 100 Tote und doppelt so viele Verletzte.

Das Conflict Intelligence Team, eine Gruppe russischer Aktivisten, die sich auf die Recherche zu Militär-Operationen spezialisiert hat, veröffentlichte bis Mittwoch die Namen von acht Männern, deren Angehörige oder Bekannte bestätigten, dass sie bei dem Angriff am 7. Februar getötet wurden. Laut New York Times ist der Tod von mindestens vier Russen verifiziert.

Angeblich bestand nie Gefahr, dass Soldaten der beiden Großmächte aneinandergeraten

Der Sprecher von Präsident Wladimir Putin, Dmitrij Peskow, hatte zuvor gesagt, der Kreml befasse sich nur mit den russischen Streitkräften und verfüge über keine Informationen zu "anderen russischen Staatsbürgern, die sich in Syrien aufhalten könnten". Die Zurückhaltung fällt auf im Vergleich zu einem anderen Zwischenfall wenige Tage vor dem Gefecht: Am 3. Februar schossen radikale Gegner des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad bei Idlib einen russischen Su-25-Erdkampfjet mit einer schultergestützten Luftabwehrrakete ab. Der Pilot Roman Fillipow rettete sich mit dem Schleudersitz, zündete aber nach einer Schießerei mit Kämpfern des Al-Qaida-Ablegers Hayat Tahrir al-Scham eine Handgranate, offenbar um nicht in Gefangenschaft der Dschihadisten zu geraten.

Über Wochen war Fillipows Heldentod Hauptthema in russischen Nachrichten. Putin verlieh dem 33-Jährigen postum den Orden "Held Russlands", die höchste Auszeichnung, die der Staat vergibt. Sein Begräbnis wurde im Staatsfernsehen übertragen. In der Wochenschau legte der Moderator nahe, die Terroristen könnten die Rakete nur von Amerikanern bekommen haben.

Dass über den Tod russischer Kämpfer der Mantel des Schweigens gebreitet wird, die nachweislich Opfer eines Angriffes der US-geführten Koalition gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) wurden, hat zwei Gründe: Zunächst hatte Putin erst Ende vergangenen Jahres den Sieg über den Terrorismus in Syrien verkündet und den Abzug größerer Truppenteile angeordnet. Nicht weniger wichtig ist der rechtliche Aspekt: Anders als der Pilot Fillipow waren die am 7. Februar Getöteten als Kämpfer einer privaten russischen Söldnerarmee in Syrien.

Die als "Gruppe Wagner" bekannte Einheit wurde laut Recherchen unabhängiger russischer Medien in einer Frühphase des Ukraine-Kriegs gegründet und kämpfte seither in der Ostukraine und in Syrien, dort angeblich mit mehr als 2000 Mann. Dem russischen Verteidigungsministerium erlaubte das Konstrukt zu behaupten, in der Ukraine kämpften keine russischen Soldaten. Nach Recherchen des CIT hatten mehrere bei Deir al-Sour Getötete zuvor im Donbass gekämpft. Offiziell steht die Mitgliedschaft in privaten Söldnerarmeen in Russland unter Strafe. Anfang der Woche nahm das Parlament Pläne wieder auf, einen Rechtsrahmen für sie zu schaffen.

Auch sind die politischen Implikationen immens: Die Gruppe Wagner operiert in Syrien mit Wissen und unter Anleitung des russischen Militärgeheimdienstes GRU. Die Amerikaner hatten über eine permanente Verbindung mit dem russischen Hauptquartier in Syrien einen bevorstehenden Angriff auf das lokale Hauptquartier der mit ihnen verbündeten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) gemeldet, das acht Kilometer jenseits einer mit Moskau vereinbarten Demarkationslinie liegt. Ihnen wie dem kurdischen Kommandeur der SDF teilten russische Verbindungsoffiziere mit, es gebe keine ungewöhnlichen Truppenbewegungen in der Region, russische Soldaten seien dort nicht im Einsatz.

Nachdem laut den Amerikanern ein koordinierter Angriff mit Mörsergranaten und T-72-Kampfpanzern begonnen hatte und 30 Geschosse im Umkreis von 500 Metern um den Stützpunkt einschlugen, auf dem US-Militärberater stationiert sind, erwiderten sie das Feuer. Neben Artillerie kamen Kampfdrohnen und ein C-130-Gunship zum Einsatz, ein zur Bekämpfung von Bodentruppen umgebautes Transportflugzeug mit enormer Feuerkraft. Während des mehrstündigen Gefechts baten die Russen laut dem kurdischen Kommandeur um einer Feuerpause, um Tote und Verletzte zu bergen - nachdem sie zuvor bestritten hatten, dass russische Einheiten im Einsatz seien oder überhaupt ein Angriff in Gang sei.

Das US-Militär bemüht sich nach eigenen Angaben um eine Klärung mit der russischen Seite, hält sich aber mit Aussagen über eine russische Beteiligung auffällig zurück. Zu keiner Zeit habe die Gefahr eines direkten Zusammenstoßes zwischen US- und russischen Truppen bestanden. Die Bewertung des Zwischenfalls ist nicht abgeschlossen. Entscheidend dürfte sein, ob die russischen Söldner ohne Wissen der Streitkräfte an einer Operation regimetreuer Milizen beteiligt waren, an der laut kurdischen SDF-Quellen auch iranische und afghanische Kämpfer teilnahmen. Oder ob Russland aus politischen Gründen nur jedes Wissen über die Operation abstreitet.

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