Syrien nach Assad:Zeit der Abrechnung

Der Kampf um Syrien tritt in die entscheidende Phase. Doch ein Sturz von Machthaber Assad wird der Region nicht den ersehnten Frieden bringen. Ganz im Gegenteil: Zu rechnen ist mit noch chaotischeren Zuständen, das Blutvergießen wird weitergehen. Denn die Clans und Religionsgemeinschaften haben noch viele Rechnungen offen. Der Ausgang des Bürgerkriegs hat Einfluss auch auf die Weltpolitik.

Joschka Fischer

Wie wird der Nahe Osten aussehen, wenn der syrische Bürgerkrieg zum Sturz des Regimes von Präsident Assad geführt hat, dessen Clan seit mehr als vier Jahrzehnten dieses zentrale Land der Region beherrscht hat? Diese Frage drängt sich angesichts der dramatischen Ereignisse auf. Mit dem Attentat auf den innersten Machtzirkel um Präsident Assad, den Kämpfen in der Hauptstadt Damaskus und der Millionenstadt Aleppo, mit der immer besseren Bewaffnung der Aufständischen tritt der Kampf um die Macht in seine entscheidende Phase.

A handout  picture released by Syrian Arab News Agency shows dama

Ein zerstörtes Gebäude in der Provinz Homs.

(Foto: dpa)

Freilich sollte man sich keine falschen Hoffnungen auf die Qualität der Veränderung machen. An die Stelle von Assad und seiner Diktatur wird keine westlich geprägte Demokratie mit Rechtsstaat treten, sondern es ist mit noch chaotischeren und innenpolitisch gewalttätigeren Zuständen zu rechnen. Mit dem Sturz des Regimes von Assad wird das Blutvergießen kein Ende haben. Es ist vielmehr zu befürchten, dass dann die Zeit der Abrechnung mit den Stützen des Regimes und ihren Anhängern beginnen wird. Und dabei werden nicht nur die offenen Rechnungen zwischen den Anhängern und Gegnern des Regimes beglichen werden, sondern auch die zwischen den unterschiedlichen Clans und Religionsgemeinschaften.

Eine laizistische Gewaltherrschaft wird, wie in anderen arabischen Ländern auch, durch die sunnitischen Muslimbrüder abgelöst werden, die in Syrien ebenso wie in Ägypten und Tunesien die Mehrheit repräsentieren. Anders aber als in Tunesien und Ägypten wird der Regimewechsel durch einen Bürgerkrieg erzwungen; deshalb bleibt die bange Frage unbeantwortbar, wie gewalttätig, chaotisch, autokratisch er verlaufen wird. Die Einflussmöglichkeiten von außen auf diesen Prozess dürften denkbar gering bleiben.

Der Sturz des Regimes in Damaskus wird weitgehende Auswirkungen auf die Region und damit auf die regionale Machtverteilung zwischen der Türkei, Iran und Saudi-Arabien haben und auch auf die regionalen Konflikte sowie den Nahostkonflikt. Weil Russland und Syrien faktisch Verbündete waren, werden die Konsequenzen weltweit spürbar sein.

Syrien war und ist unter der Herrschaft von Sohn und Vater Assad das Rückgrat der radikalen Ablehnungsfront gegen Israel. Deshalb haben die Assads immer mit der libanesischen Schiitenmiliz Hisbollah kooperiert, dem engsten Verbündeten Teherans in diesem Teil des Nahen Ostens. Mit einem Regimewechsel in Damaskus werden sich die Grundparameter des israelisch-arabischen Konflikts nicht ändern, nämlich die Verteilung des Landes in Palästina und dahinter die grundsätzliche Frage nach der Akzeptanz Israels. Trotz aller Gegnerschaft war das Assad-Regime für Israel berechenbar. Assad wusste um die Grenzen des eigenen Handelns und er akzeptierte sie, solange sich die Waage nicht zu Israels Gunsten neigte.

Unvorhersehbare Zukunft

Wie die Zukunft aussehen wird, ist dagegen kaum vorhersagbar. In dieser Ungewissheit liegt eine regionale Kriegsgefahr, schon wegen der Chemiewaffen des Landes. Klar scheint aber erstens zu sein, dass Israel zukünftig verstärkt mit den Muslimbrüdern im Besonderen und mit dem politischen (sunnitischen) Islam im Allgemeinen zu tun haben wird. Der Nahostkonflikt wird mehr und mehr religiös aufgeladen werden. Kompromisse werden dadurch schwieriger; und die Hamas, die palästinensischen Islamisten, werden dadurch erheblich gestärkt werden.

Unrest in Syria

Ein syrischer Rebell patroulliert in den Straßen in der Nähe von Aleppo.

(Foto: dpa)

Ein Regimewechsel in Damaskus wird eindeutig zu Lasten Teherans und seines politisch-militärischen Arms in Libanon, der Hisbollah, gehen. Er könnte also den iranischen Einfluss auf den Nahostkonflikt erheblich reduzieren. Der Sturz Assads bedeutet für den Nahen Osten nicht nur Risiken, er bietet auch Chancen für die Lösung des bitteren Konflikts in der Region. Es wäre töricht, diese nicht ausloten und nutzen zu wollen. Allerdings bleiben die Risiken ganz erheblich.

Jenseits davon wird ein Regimewechsel in Damaskus weitreichende Auswirkungen auf die Rolle und strategische Lage Irans haben. Teheran verliert seinen wichtigsten Verbündeten in der arabischen Welt und wäre somit nahezu isoliert. Und in der hegemonialen Auseinandersetzung mit den beiden sunnitischen Führungsmächten um die Vorherrschaft in der Region - mit der Türkei und Saudi-Arabien - wie auch mit deren Schutzmacht USA, hätte Iran eine kaum noch gutzumachende strategische Niederlage erlitten.

Diese absehbare Niederlage und Isolation in der Region wird auch Teherans Haltung in der Nuklearfrage beeinflussen. Rein rational betrachtet wäre es klug, wenn das Regime in Iran nunmehr ernsthaft eine Verhandlungslösung anstreben würde. Aber es ist eher anzunehmen, dass sich die konservativ-radikalen Kräfte im Land umso mehr an das Nuklearprogramm klammern werden, je stärker es sich durch die Veränderungen in Syrien und durch die wirksamen Wirtschaftssanktionen der UN in die Ecke gedrängt sieht.

Wer ist der Gewinner der "Arabellion"?

Die Befürchtung des Westens, dass Iran sich als der große Gewinner der "Arabellion" erweisen würde, weil durch sie reihenweise prowestliche Diktatoren gestürzt würden, dürfte sich als Fehleinschätzung erweisen. Auch Teheran wird von den Folgen dieses Aufbruchs der Völker im Nahen und Mittleren Osten eingeholt werden. Und eine letzte Hoffnung manches Autokraten wird ebenfalls gegenwärtig in Syrien erledigt. Ein Bündnis mit Russland reicht ganz offensichtlich nicht mehr aus, um das politische Überleben zu sichern.

Man darf daher auch gespannt sein, welche Folgen das syrische Abenteuer der russischen Außenpolitik in Moskau haben wird. Denn die neue, auf die Restauration russischer globaler Macht und Einflusses zielende Außenpolitik des neuen und alten Präsidenten Wladimir Putin scheint gleich zu ihrem Beginn zum Scheitern verurteilt zu sein.

Der Ausgang des syrischen Bürgerkriegs hat also weitreichende Auswirkungen: für das Land und seine Menschen, für die Region und ihre Konflikte und darüber hinaus für die Weltpolitik. International aber wird Iran am meisten von den Auswirkungen dieser Entwicklung betroffen sein.

Nur dank George W. Bush, Dick Cheney, David Rumsfeld und ihrem neokonservativen Gefolge bleibt Iran auf absehbare Zeit ein letzter Freund in der Region - ausgerechnet Irak. Am Ende wird man in Teheran vielleicht sogar alten Feinden Denkmäler errichten. Aber das ist eine andere Geschichte.

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