Syrien-Konflikt:Hoffen und bangen

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Reden über Syrien: Die Außenminister Frank-Walter Steinmeier und John Kerry (rechts) in der Villa Borsig in Berlin. (Foto: Miriam May/Getty Images)

In den Hauptstädten der USA und Europas arbeitet man wieder an einer politischen Lösung des Syrien-Konflikts. Aber was plant eigentlich Russlands Präsident Wladimir Putin?

Von Stefan Braun und Nicolas Richter, Berlin/Washington

Mehr als vier Jahre nach dem Beginn des syrischen Bürgerkriegs gedeiht die Hoffnung, dass neue diplomatische Initiativen den Konflikt doch noch politisch lösen könnten. US-Außenminister John Kerry erklärte am Wochenende, die Länder der Welt müssten dringend zusammenarbeiten, "um diesen Krieg zu beenden, der schon viel zu lange dauert". Insbesondere wolle er "diesen Moment ausnutzen", da Russland mehr als bisher gegen die Terroristen des Islamischen Staats in Syrien unternimmt, "um Wege hin zu einer politischen Lösung zu finden".

Auslöser für die neue diplomatische Bewegung ist ein Angebot Moskaus an die US-Regierung, bei der Bekämpfung der IS-Terroristen in Syrien zusammenzuarbeiten. Russland ist dabei, einen Stützpunkt in der Nähe der syrischen Stadt Latakia auszubauen, um die Terroristen anzugreifen, die Teile Syriens kontrollieren. Allerdings hat die Aufrüstung auch neues Misstrauen gegen Moskau geschürt. Kerry sagte am Wochenende, Russland habe Boden-Luft-Raketen nach Syrien geschafft sowie Flugzeuge mit der Fähigkeit, andere Flugzeuge anzugreifen. Da der Islamische Staat keine Flugzeuge besitzt, rätselt die US-Regierung, was Russlands Präsident Wladimir Putin eigentlich vorhat. "Dies wirft ernste Fragen auf", sagte Kerry. Außerdem befürchtet das Pentagon, dass sich russische und amerikanische Kräfte in Syrien versehentlich gegenseitig angreifen könnten.

Amerikaner und Europäer sind bereit, Putins Absichten in Syrien zumindest zu prüfen

Putin genießt im Westen kaum noch Vertrauen. Er hat Syriens Diktator Baschar al-Assad - trotz der Gewaltexzesse syrischer Sicherheitskräfte gegen die Opposition - vor jeglicher Kritik des UN-Sicherheitsrats geschützt, und seit dem vergangenen Jahr hat er sich zudem als Aggressor der Ukraine bei den Regierungen der USA und der Europäischen Union diskreditiert. Doch angesichts von mehr als 200 000 Toten in Syrien und einer massiven Flüchtlingskrise sind Amerikaner und Europäer bereit, die neuen Absichten Putins in Syrien zumindest zu prüfen.

Bisher sind sie ein Rätsel: Will Putin tatsächlich den IS bekämpfen, gegen den die USA seit einem Jahr mit einer Koalition von 60 Ländern vorgehen, oder möchte er in Wahrheit Assad stützen und Russlands Einfluss in Nahost ausbauen? Das Weiße Haus erklärte jüngst, es wolle Russland jedenfalls ermutigen, sich "konstruktiv" in den Kampf gegen den IS einzubringen.

Auch die Bundesregierung setzt immer größere Hoffnungen in die diplomatische Bewegung, die durch die russischen Aktivitäten in Syrien, aber auch durch das Iran-Abkommen ausgelöst wurden. Auch wenn Außenminister Frank-Walter Steinmeier am Sonntagabend zu einer Reise nach Bangladesch und Sri Lanka aufbrach - längst sind die Bemühungen, den verheerenden Bürgerkrieg endlich zu beenden, ins Zentrum von Steinmeiers Arbeit gerückt. Seine Mitarbeiter bereisen seit Tagen den Nahen Osten, um in den Nachbarstaaten Syriens und in den Golfstaaten für eine neue gemeinsame Initiative zu werben. Seit Langem unterstützt Berlin mit Vehemenz den UN-Sondervermittler Staffan de Mistura. Jetzt aber sieht man in Berlin eine neue Chance, dessen Bemühungen mit einer gemeinsamen Initiative Washingtons und Moskaus unter Beteiligung der großen Europäer, Irans, Saudi-Arabiens und anderer Staaten der Region zu verknüpfen.

Aufmerksam verfolgt Berlin, wie Putin Kontakt zur Türkei sucht. Jetzt reist Erdoğan nach Sotschi

Wie in Washington herrscht auch in Berlin Misstrauen, was der Kreml mit den Waffenlieferungen und Truppenstationierungen bezweckt. Aber neben der Sorge, dass Moskau damit eigene Interessen verfolgt, um das Regime zu stützen und die einzige russische Marine-Basis im Mittelmeer zu schützen, wächst auch die Hoffnung, dass es gelingen könnte, die Interessen des Westens und Russlands für eine echte Initiative zu nutzen. Aufmerksam verfolgt man in Berlin, wie Putin zuletzt mit den Führungen der Golfstaaten gesprochen hat und offenkundig auch Kontakt zur Türkei sucht. Letzteres ist bemerkenswert, weil Ankara und Moskau bislang im Umgang mit dem Regime in Damaskus weit auseinander gelegen haben. Während Putin das Regime stützt, vertrat der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan von Anfang an die Position, dass Assad vor jedem weiteren politischen Schritt gestürzt werden müsse. Offenbar scheinen beide Seiten nun leise von ihren Maximalpositionen abzurücken. Dafür spricht auch, dass Erdoğan Anfang dieser Woche Putin in Sotschi treffen wird. Zentrales Thema: Syrien. Auch Kerry bekräftigte am Wochenende, dass er in der Frage nach der Zukunft Assads flexibel ist: "Ich habe immer gesagt, dass Assad gehen muss, aber es muss nicht an einem speziellen Tag oder Monat geschehen. Dies ist ein Prozess."

Eines der Motive Putins ist es zweifellos, sich aus der Isolation zu befreien, in die er wegen seiner Rolle in der Ukraine-Krise geraten ist. Offenbar strebt der russische Staatschef nun sogar ein Treffen mit US-Präsident Barack Obama an; es könnte am Rande der bevorstehenden UN-Generaldebatte in New York stattfinden. Das Weiße Haus hat sich dazu noch nicht geäußert, es ist ein offenes Geheimnis, dass Obama Putin verachtet. Aber es ist nicht zu übersehen, dass Putins Syrien-Initiative beide Seiten wieder ins Gespräch bringt. Am Freitag telefonierten US-Verteidigungsminister Ashton Carter und sein russischer Kollege Sergej Schoigu, wobei es zunächst nur darum ging, dass sich amerikanische und russische Flugzeuge bei Operationen in Syrien nicht in die Quere kommen. Doch im Lichte der desaströsen Lage in Syrien ist Obama offenbar bereit, der russischen Regierung zumindest Interesse zu signalisieren. Die Syrien-Krise nährt auch immer neue innenpolitische Kritik an Obama, dem Tatenlosigkeit vorgeworfen wird.

Die Bundesregierung sieht sich in dieser möglichen Annäherung als Vermittlerin zwischen Washington, Moskau, Ankara, Iran und Saudi-Arabien. Das zeigt sich nicht nur in einer Vielzahl von Telefonaten. Steinmeier hat jüngst auch Russlands Außenminister Sergej Lawrow in Berlin empfangen, am Sonntag kam Kerry in die deutsche Hauptstadt. Und zwei Tage zuvor, am Freitag, hatte Steinmeier in Ankara für eine neue Initiative ohne Maximalforderungen geworben. Dabei geht es Berlin nicht nur um eine bitter nötige Beendigung des Krieges. Angesichts der Flüchtlingskrise versucht die Bundesregierung auch, den Millionen Flüchtlingen im Nahen Osten neue Hoffnung auf eine Rückkehr in ihre Heimat zu geben. Sonst dürften sich noch viel mehr Syrer auf den Weg nach Europa machen.

© SZ vom 21.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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