Syrien:Islamischer Staat verschleppt Hunderte Christen

Syrien: In der syrischen Provinz Homs feuern Angehörige der Terrormiliz Islamischer Staat auf syrische Regierungstruppen

In der syrischen Provinz Homs feuern Angehörige der Terrormiliz Islamischer Staat auf syrische Regierungstruppen

(Foto: AP)

Obwohl die Terrormiliz unter Druck ist, rückt sie in der syrischen Provinz Homs vor. Die Luftangriffe, die die USA seit genau einem Jahr fliegen, haben den IS nicht entscheidend schwächen können.

Von Paul-Anton Krüger, Kairo

Ein Jahr ist es her, dass die Luftangriffe der von den USA angeführten internationalen Koalition gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) begonnen haben. Ein Auslöser war damals das Schicksal der Jesiden, einer religiösen Minderheit im Nordirak. Die Dschihadisten kesselten Tausende Angehörige der Volksgruppe in den Sindschar-Bergen nahe der Grenze zu Syrien ein, nachdem sie vor IS-Angriffen geflohen waren. Abgeschnitten von jeder Versorgung drohte ihnen ein Völkermord. Jesiden, die dem IS in die Hände fielen, wurden ermordet, Frauen versklavt und verkauft.

Christen in der syrischen Provinz Homs befürchten, dass ihnen ein ähnliches Schicksal droht: Der IS hat in den vergangenen Tagen mehrere von assyrischen Christen bewohnte Orte eingenommen und Hunderte Bewohner verschleppt, wie die in London ansässige Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte und die syrisch-orthodoxe Kirche melden. So eroberte die Miliz am Donnerstag den Ort Qariyatain mit etwa 40 000 Einwohnern von der Armee und stieß weiter vor auf die Dörfer Mhin und Sadad. Der letztgenannte Ort liegt nur etwa 20 Kilometer von der für das Regime von Baschar al-Assad extrem wichtigen Hauptverbindungsstraße zwischen Damaskus und Homs entfernt - sie dürfte das eigentliche Ziel des Angriffs sein.

Flucht als einzige Option für syrische Christen

Christen gelten in der fundamentalistischen Ideologie des IS nicht wie die Jesiden als Ungläubige. Laut der Propaganda des IS werden sie daher vor die Wahl gestellt, zum Islam zu konvertieren oder eine Kopfsteuer zu zahlen, Dschiziya genannt, und sich als Schutzbefohlene den Regeln des Kalifats zu unterwerfen. Allerdings werden ihre Kirchen zerstört, oft werden sie ausgeplündert, auch werden sie verschleppt oder ermordet. Den Menschen bleibt meist nichts als die Flucht. Wie es aus Kirchenkreisen hieß, haben IS-Kämpfer Hunderte Familien verschleppt. Von mindestens 230 Menschen fehlte auch am Sonntag noch jede Spur. Ebenso wenig ist über das Schicksal von mehr als 200 weiteren Christen bekannt, die der IS Ende Juli bei Hasakah im Nordosten Syriens verschleppt hatte.

Das US-Verteidigungsministerium betonte am Wochenende, dass der Islamische Staat ein Jahr nach Beginn der Luftangriffe "an allen Fronten unter Druck" sei, doch waren jüngst die US-Geheimdienste DIA, CIA und andere zur Einschätzung gelangt, die Terrormiliz sei nicht entscheidend geschwächt; sie beschrieben die Situation in Syrien und Irak als "strategisches Patt".

Die USA alleine haben bislang 3,5 Milliarden Dollar in den Krieg gegen den IS investiert, zusammen mit ihren Verbündeten flogen sie fast 6000 Luftangriffe. Obwohl dabei etwa 10 000 Kämpfer des IS getötet wurden, sehen die Geheimdienste "keine zahlenmäßige Schwächung"; der IS habe nach wie vor 20 000 bis 30 000 Mann. Die Miliz konnte ihre - relativ gesehen immensen - Verluste durch neue Rekruten ausgleichen, viele von ihnen aus dem Ausland. Auch verfüge die Miliz und ihr Protostaat weiter über genügend Geld aus geplünderten Banken und Ölverkäufen; dazu kommen Schutzgelder, Steuern und Raubgut.

Nach US-Angaben wurde der IS in Nordsyrien aus einem 17 000 Quadratkilometer großen Gebiet verdrängt - maßgeblich mit Hilfe kurdischer Milizen, die der PKK nahe stehen und nun von der türkischen Luftwaffe bombardiert werden. Sie hatten mit massiver Luftunterstützung die Grenzstadt Kobanê gehalten und dann umliegende Gebiete vom IS zurückerobert. Von der Grenze der Türkei mit Syrien kontrolliert der IS nur noch 110 der einst fast 300 Kilometer. Eine Schutzzone auf syrischem Gebiet soll dazu beitragen, die Dschihadisten weiter zurückzudrängen.

Die USA wollen in Syrien Rebellen gegen die Terrormiliz einsetzen - bislang ohne Erfolg

Allerdings hatten die USA jüngst Rückschläge beim Versuch hinnehmen müssen, eine neue Gruppe syrischer Rebellen gegen den IS in Stellung zu bringen. Die ersten Rekruten eines vom Pentagon betriebenen Ausbildungsprogramms waren in Syrien von der mit dem IS konkurrierenden Nusra-Front attackiert worden. Auch sind bislang nur 54 Syrer ausgebildet worden. Die Zielmarke von 3000 Mann bis Jahresende ist kaum noch zu erreichen.

Im Irak können die Dschihadisten laut dem Pentagon in etwa "25 bis 30 Prozent der einst von ihnen kontrollierten bewohnten Gebiete nicht mehr ungehindert agieren". Allerdings war es dem IS gelungen, die strategisch wichtige Stadt Ramadi zu erobern. Auch verübt der IS in befreiten Gebieten schwere Terroranschläge - zuletzt starben zum Ende des Ramadan zwischen 120 und 130 Menschen bei einem Selbstmordanschlag auf einem Markt der überwiegend von Schiiten bewohnten Kleinstadt Khan Bani Saad. Die Miliz hat ihre Taktik angepasst, um durch Luftschläge weniger verwundbar zu sein.

Mit Blick auf Syrien gibt es verstärkte diplomatische Bemühungen, eine politische Lösung des Bürgerkriegs auszuloten. Ein Indiz dafür war ein Treffen von US-Außenminister John Kerry mit seinen Kollegen aus Russland und Saudi-Arabien vergangene Woche in Katar; Sergej Lawrow und Adel al-Jubair werden ihre Diskussion über Syrien an diesem Dienstag in Moskau fortsetzen. Eine neue Friedenskonferenz im bislang wenig erfolgreichen Genfer Format ist noch nicht absehbar. Immerhin hat Russland im UN-Sicherheitsrat aber auf ein Veto gegen eine Resolution verzichtet, die der Organisation für das Verbot chemischer Waffen ein Mandat gibt, Angriffe mit Chlorgas in Syrien zu untersuchen - und anders als bisher Schuldige zu benennen.

Es sind an die 40 Angriffe mit Fassbomben dokumentiert, die Chlor enthalten haben sollen - sie wurden von Hubschraubern abgeworfen, über die, nach allem was bekannt ist, nur das Regime verfügt. Auch dem IS wird vorgeworfen, Chlor mit selbstgebauten Raketen verschossen zu haben. Chlor ist eine verbreitete Chemikalie und in der Chemiewaffenkonvention nicht als Kampfstoff eingestuft. Daher hatte das Regime seine Vorräte nicht aufgeben müssen, als es der Konvention beitrat. Der Einsatz von Chemikalien als Waffen ist aber verboten und erfüllt den Tatbestand eines Kriegsverbrechens.

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