Syrien:Die glücklichen Menschen von Manbidsch

Syrische Stadt Manbidsch nach Abzug des IS

Ein Screenshot aus einem Video, das vom Sender Kurdistan 24 veröffentlicht wurde, zeigt Frauen, die am Straßenrand Niqabs, schwarze Gesichtsschleier, verbrennen. Das Video soll am 14.08.2016 in der syrischen Stadt Manbidsch nach dem Abzug der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) entstanden sein.

(Foto: dpa)

Vor Freude weinende Männer stecken sich Zigaretten an, Frauen verbrennen unter Jubel ihre Schleier: Fast 31 Monate IS-Herrschaft haben ein Ende. Die Niederlage in der nordsyrischen Stadt trifft die Terrormiliz hart.

Von Moritz Baumstieger

Gesundheitsexperten mögen Einwände gegen den Tabakkonsum haben, doch selbst die größten Anti-Raucher werden den Bewohnern der nordsyrischen Stadt Manbidsch an diesem Wochenende ihre Zigaretten gegönnt haben. Es waren die ersten seit Anfang 2014, die ersten, seit der sogenannte Islamische Staat (IS) die Stadt gewaltsam unter seine Kontrolle gebracht und begonnen hatte, den Menschen mit einem absurden Verbotskatalog das Leben zur Hölle zu machen.

Am Wochenende wurde bekannt, dass am Freitag kurdische Kämpfer der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) die letzten in der Stadt verbliebenen Dschihadisten verjagten. Kurz darauf gingen Bilder um die Welt, bei deren Anblick nicht nur der Tabaklobby warm ums Herz geworden sein dürfte: Vor Glück weinende Männer steckten sich Zigaretten an, verschleierte Frauen grinsten mit Glimmstengel im Mund in die Kameras und spreizten die Finger zum Victory-Zeichen, sogar alte Frauen dampften vor Glück. Die Zigarette als kleines Symbol der großen Freiheit und der Lebensfreude - für Menschen, die fast 31 Monate unter dem Terrorregime der Islamisten litten, stimmt das noch.

Männer rasierten sich die Bärte ab

Doch nicht nur die Kioskbesitzer feierten, die in Windeseile wieder Ware in den Regalen hatten. Frauen verbrannten unter Jubeltrillern die Gesichtsschleier, die sie unter dem Zwang des IS-Regimes tragen mussten. Junge Männer, die sich auf Anordnung der Islamisten fromme Bärte wachsen lassen mussten, rasierten sich auf offener Straße, alte Männer bedeckten aus Dankbarkeit kurdische Perschmerga-Kämpferinnen über und über mit Küssen. "Die Geschäfte öffnen wieder. Heute ist der erste Tag, an dem das Leben wieder zur Normalität zurückkehrt", sagte Schafan Darwisch, Sprecher der SDF.

Und schließlich kehrten auch die ersten Menschen zurück, die vor dem IS geflohen waren. Auf Videoaufnahmen sah man Konvois aus Autos, Pick-ups und Kleinlastern, die langsam im Slalom um auf der Straße liegende Trümmerteile zurück in die Stadt fuhren. Am Samstagnachmittag folgten dann auch die ersten der knapp 2000 Einwohner, die von den aus Manbidsch fliehenden IS-Kämpfern zum Mitkommen gezwungen worden waren, um ihnen als menschliche Schutzschilde zu dienen. In der Nähe der 40 Kilometer nördlich gelegenen Stadt Dscharablus aber hatten die Dschihadisten die Geiseln freigelassen, wie die in London ansässige syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte berichtete, deren Angaben nicht überprüft werden können, aber meist zutreffend sind.

Die Bewohner von Manbidsch sind nie große Unterstützer des IS gewesen, im Gegenteil: Im Sommer 2013 versuchten sie mit einer Revolte, den IS aus ihrer Stadt zu vertreiben. Damals kontrollierte die Terrormiliz den Ort noch nicht vollständig, doch den Menschen war klar geworden, dass die Bärtigen nicht so harmlos waren, wie sie taten - zunächst hatten die vorgegeben, nur den wahren Islam lehren zu wollen. Die Dschihadisten wehrten sich mit Waffengewalt, der Aufstand schlug fehl, in den folgenden Monaten gelang es dem IS sogar, seinen Griff auf Manbidsch zu verfestigen. Die Dschihadisten vertrieben und töteten nach und nach die Anhänger anderer Rebellengruppen und beherrschten die Stadt von Januar 2014 an vollends.

Der Verlust der 65 000-Einwohner-Stadt trifft die Dschihadisten hart

Manbidsch diente dem IS als wichtige Logistikstation auf seiner Nachschubroute: Es liegt nahe der Türkei, auf dem Weg nach Raqqa, der faktischen Hauptstadt des IS in Syrien. Der Verlust der 65 000-Einwohner-Stadt trifft die Dschihadisten deshalb hart, sie drohen bald von ihrer Versorgung abgeschnitten zu werden. Über die Grenze zur Türkei werden nicht nur Waren in das IS-Gebiet geschmuggelt, sondern auch Freiwillige aus dem Ausland, die sich dem IS als Kämpfer anschließen wollen.

Nun bleibt der Terrormiliz nur noch ein zirka 50 Kilometer breiter Korridor westlich von Manbidsch rund um die Stadt al-Bab, über den sie Zugang zur türkischen Grenze hat. Doch auch dort gerät der IS in Bedrängnis: Die SDF, denen neben kurdischen Kämpfern auch arabische Verbände angehören, haben am Sonntag die Gründung eines "Al-Bab Militärrats" bekannt gegeben. Schon die Rückeroberung von Manbidsch hatten die aus vielen unterschiedlichen Milizen bestehenden SDF mit solch einem Gremium koordiniert, was zum Erfolg der Kämpfer erheblich beitrug. An die US-geführte internationale Militärallianz gegen den IS richtete das Bündnis den Appell, "uns in unserem Kampf zur Befreiung unseres Bodens und unserer Brüder zu unterstützen". Damit sind wohl vor allem Schläge gegen IS-Stellungen aus der Luft gemeint.

Doch nicht nur in Syrien, auch im Irak feierten kurdische Einheiten Erfolge gegen die Islamisten: Im Großraum Mossul eroberten Peschmerga sechs Dörfer zurück, die Großstadt soll nach Willen des irakischen Premiers noch in diesem Jahr von IS befreit werden. Gegen Bilder von glücklichen Rauchern hätte der in seinem Land teilweise umstrittene Haider al-Abadi sicher nichts, im Gegenteil.

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