Syrien:"Barbarische Attacken"

Im Bemühen, das Sterben in der syrischen Stadt Aleppo zu stoppen, hat der amerikanische Außenminister John Kerry zu seinem wohl letzten diplomatischen Mittel gegriffen: Er hat Moskau endgültig mit dem Abbruch aller Gespräche gedroht.

Von Stefan Braun, Washington/Berlin

Im Bemühen, das Sterben im syrischen Aleppo zu stoppen, hat US-Außenminister John Kerry zu seinem wohl letzten diplomatischen Mittel gegriffen: Er hat Moskau mit dem Abbruch aller Gespräche gedroht. Kerry sagte in der Nacht auf Freitag, angesichts der anhaltenden Bombenangriffe auf Aleppo sei es "irrational" und sinnlos zu versuchen, immer weiter zu reden, solange es in Moskau keine Einsicht und in Syrien keine neue Waffenruhe gebe.

Kerry hatte seinen russischen Kollegen Sergey Lawrow schon am Mittwoch vor einem Ende der Gespräche gewarnt, sollten die Bombenangriffe auf die Stadt nicht gestoppt werden. Noch immer harren Hunderttausende dort aus, die Hälfte davon sind Kinder. Die humanitäre Lage wird immer verheerender, seitdem Hilfsorganisationen ihre Leute abziehen und Krankenhäuser schließen mussten.

Kerrys Vorgehen in der Syrien-Krise wird von konservativen Hardlinern in den USA seit Wochen als viel zu milde kritisiert. Entsprechend gab es auch dieses Mal wieder ätzende Kommentare. US-Präsident Barack Obama lehnt nach wie vor jeden weitergehenden Einsatz von Soldaten ab. Gleichwohl gab es am Donnerstag und Freitag zahlreiche diplomatische Kontakte, um Wege aus dieser Krise zu suchen - und sich im Kreis der westlichen Verbündeten abzustimmen. Wie das Weiße Haus berichtete, telefonierte Obama mit Bundeskanzlerin Angela Merkel. Anschließend hieß es, beide hätten die "barbarischen Attacken" auf die Stadt verurteilt und betont, dass die Verantwortung für ein Ende der Kämpfe bei den Regierungen in Damaskus und Moskau liege. Merkel hatte zuvor bereits mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan telefoniert und die Offensive der syrischen und russischen Soldaten scharf kritisiert.

Einen direkten Versuch, Moskau zum Einlenken zu bewegen, unternahm Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier. Anschließend hieß es aus dem Auswärtigen Amt, im Gespräch mit Lawrow habe Steinmeier erklärt, die täglichen Bombardierungen von Kindern, Frauen und Männern müssten endlich aufhören. Moskau und Washington müssten sofort mit Gesprächen über eine neue Waffenruhe beginnen. Ansonsten entferne man sich immer weiter von der Chance "auf ein Ende der entgrenzten Gewalt", so der deutsche Außenminister.

Syrien: Bomben auf Helfer: ein zerstörtes Ambulanz-Fahrzeug im Osten Aleppos zeugt von der Härte des Krieges.

Bomben auf Helfer: ein zerstörtes Ambulanz-Fahrzeug im Osten Aleppos zeugt von der Härte des Krieges.

(Foto: Syrian Civil Defense White Helmets/AP)

Er übte in dem Gespräch direkte Kritik am Verhalten Moskaus. "Wer Terroristen bekämpfen will, greift keine Krankenhäuser an", sagte Steinmeier. Der SPD-Politiker mahnte auch die anderen Regionalmächte wie den Iran, Saudi-Arabien, die Türkei oder Katar, sie sollten auf die von ihnen gestützten Milizen einwirken, sich an die Waffenruhe zu halten. Letzteres ist deshalb interessant, weil es seit langem die Sorge gibt, dass sich ebendiese Milizen angesichts der tagelangen Attacken nicht mehr an die Waffenruhe halten könnten. Diese Gefahr steigt noch durch Berichte aus den Vereinigten Staaten, wonach mancher in Washington nun überlegt, die Milizen wieder mit stärkeren Waffen zu beliefern, weil Moskau und Damaskus ohnehin nicht bereit seien, auf eine dauerhafte Waffenruhe einzuschwenken.

Bestätigt wird dieser Eindruck durch harsche Töne aus Moskau. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow hatte jüngst erklärt, Moskau werde seine Lufteinsätze fortsetzen, "um den Anti-Terror-Kampf der syrischen Armee zu unterstützen". Peskow kritisierte die "nicht konstruktive Rhetorik aus Washington", sagte aber, grundsätzlich sei man weiteren Gesprächen gegenüber aufgeschlossen. Lawrows Sprecherin Maria Sacharowa erklärte, Kerrys Warnung sei "ein Geschenk für die Terroristen".

Für Moskau sind in diesem Krieg alle Gegner "Terroristen".

Wie verheerend die Lage in Aleppo ist, zeigte sich Ende dieser Woche bei einem Treffen von Vertretern der Hilfsorganisationen mit Bundestagsabgeordneten in Berlin. In einem Gespräch hinter verschlossenen Türen erklärten Vertreter des Welternährungsprogramms und von den "Ärzten ohne Grenzen", ihnen sei immer klar gewesen, dass Einsätze in Kriegsgebieten gefährlich seien. Entsprechend müsse man leider auch mit Kollateralschäden rechnen. Inzwischen aber sei in diesem Krieg eine völlig neue, ungekannte Stufe der Gewalt erreicht. "Wir sind selbst zum Target, zum Ziel, geworden", klagte ein Helfer. In Syrien werde das humanitäre Völkerrecht mit Füßen getreten, hieß es.

Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen zur Lage in Aleppo

"Die Bomben prasseln wie Regen aus den Flugzeugen der Militärkoalition der syrischen Regierung auf die Menschen herunter."

Wie Teilnehmer anschließend berichteten, verschärft sich angesichts dieser Lage die Kritik der Hilfsorganisationen an den westlichen Regierungen, die zu wenig täten, um das Morden zu beenden.

Wie bedrohlich die Lage für Hunderttausende Menschen im eingekesselten Ostteil der früheren Handelsmetropole Aleppo ist, unterstrich am Freitag auch die Weltgesundheitsorganisation in Genf. Ihre Generaldirektorin Margaret Chan rief die Kampfparteien auf, dringend benötigte medizinische Hilfen endlich zu den bedrohten Menschen durchzulassen. "Die Lage ist herzzerreißend und macht wütend", sagte Chan in Genf. Helfer können derzeit nicht mehr zu den Eingeschlossenen gelangen, weil sie das in Lebensgefahr bringen würde. Unbedingt nötig sei ein "sicheres Geleit" für Kranke und Verwundete, um sie aus den Kampfgebieten herausholen zu können, verlangte Chan.

Besonders verheerend wirkt sich aus, dass zuletzt zwei Krankenhäuser beschossen wurden und die Hilfsorganisationen ihre Leute dort abgezogen haben. Wie die Weltgesundheitsorganisation WHO berichtete, sind im Osten Aleppos nicht mal mehr 30 Ärzte tätig - für 250 000 Menschen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: