Syrischer Diktator:Assad kämpft ums Überleben

Syrischer Diktator: Erstmals muss Baschar al-Assad einräumen, dass sich seine Armee mit "Personalengpässen" konfrontiert sehe.

Erstmals muss Baschar al-Assad einräumen, dass sich seine Armee mit "Personalengpässen" konfrontiert sehe.

(Foto: AFP)
  • Zum ersten Mal räumt Syriens Präsident Assad "Personalengpässe" in der Armee ein.
  • Die syrische Armee ist seit Beginn des Bürgerkriegs erheblich geschrumpft.
  • Inzwischen weigern sich religiöse und ethnische Minderheiten, ihre Söhne in den Kampf zu schicken.

Von Paul-Anton Krüger, Kairo

Syriens Präsident Baschar al-Assad gab sich siegessicher wie immer. "Das Wort Niederlage kommt im Vokabular der syrischen Armee nicht vor", versicherte er in einer vom Staatsfernsehen übertragenen Rede. Der Armee stehe alles zur Verfügung, was sie brauche, um "die Terroristen" zurückzuschlagen - die übliche Terminologie des Regimes für bewaffnete Gruppen von gemäßigten Rebellen bis zur Terrormiliz Islamischer Staat (IS).

Erstmals allerdings räumte der Machthaber dann ein, dass sich die Armee mit "Personalengpässen" konfrontiert sehe, die es erforderlich gemacht hätten, "einige Gebiete aufzugeben, um andere, bedeutendere Gebiete halten zu können".

Den Syrern und dem Rest der Welt war das nicht verborgen geblieben. Es war das Eingeständnis des Offensichtlichen. Bereits am Tag zuvor hatte Assad eine Amnestie für Deserteure und Wehrdienstverweigerer angeordnet, in der Hoffnung, die Reihen seiner Armee wieder zu füllen. Um in den Genuss der Straffreiheit zu kommen, müssen sie sich binnen eines Monats stellen, wenn sie sich in Syrien aufhalten, jene außerhalb des Landes haben zwei Monate Zeit. Die syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte schätzt, dass 70 000 Syrer vor dem Militärdienst geflohen sind.

Bislang haben religiöse und ethnische Minderheiten Assad gestützt

Die Stärke der Armee ist von 350 000 Mann bei Ausbruch des Bürgerkriegs vor mehr als vier Jahren auf etwa 200 000 Mann geschrumpft. Auf 50 000 wird die Zahl der getöteten Soldaten geschätzt, 30 000 regierungstreue Milizionäre sollen ebenfalls ihr Leben verloren haben. Syriens Premierminister Wael al-Halqi verriet viel über den Zustand der regulären Regierungstruppen, als er im Juni bessere Bezahlung und warme Mahlzeiten versprach.

Inzwischen weigern sich religiöse und ethnische Minderheiten, die bisher in Assad einen Beschützer sahen oder zumindest das geringere Übel als in radikalen sunnitischen Rebellen, ihre Söhne in den Kampf zu schicken. Der Anführer der Drusen, Wahid al-Balous, sagte, es sei jungen Männern "strikt verboten, Wehrdienst zu leisten", und stellte eine mehrere Tausend Mann starke Miliz auf, um die Siedlungsgebiete der Volksgruppe in dem an Jordanien grenzenden Gouvernement al-Suwaida zu schützen.

UN-Generalsekretär Ban: „Symbol unseres Versagens“

In Syrien sind seit Ausbruch der Gewalt vor gut vier Jahren nach Angaben der Vereinten Nationen mehr als 250 000 Menschen ums Leben gekommen. "Mindestens eine Viertelmillion Syrer wurde getötet", sagte UN-Generalsekretär Ban Ki Moon. "Nach mehr als vier Jahren des Tötens ist der Syrien-Konflikt ein beschämendes Symbol unserer Spaltung und unseres Versagens." Der Syrien-Konflikt begann im März 2011 mit der Niederschlagung friedlicher Proteste durch das Regime in Damaskus. "Fast die Hälfte der Syrer, zwölf Millionen Männer, Frauen und Kinder, wurden aus ihren Häusern vertrieben", sagte Ban.

Selbst im Kernland der Alawiten, jener schiitischen Sekte, der auch Assad entstammt, gibt es ähnliche Berichte. Die Regierung reagierte, indem sie eine neue Einheit namens "Schild der Küste" ins Leben rief und garantierte, dass die jungen Männer nur zur Verteidigung ihrer Heimat am Mittelmeer eingesetzt würden.

Assads Truppen kontrollieren de facto nur ein Viertel des Territoriums, mit der Regierung verbündete Milizen halten etwa 20 Prozent. In diesen Gebieten lebt aber noch immer mehr als die Hälfte der Bevölkerung. Insgesamt scheint das Regime sich - wie vom Präsidenten angedeutet - darauf zu konzentrieren, die für sein Überleben wichtigen Gebiete zu verteidigen, darunter Damaskus, Hama, Homs und die Küste.

Taktischer Rückzug in anderen Gebieten

In anderen Gegenden dagegen wählt die Armee den taktischen Rückzug. So haben die Regierungstruppen in der ersten Jahreshälfte große Teile der Provinz Idlib verloren, die gleichnamige Provinzhauptstadt inbegriffen. Nach anfänglich heftigen Gefechten mit einem Bündnis verschiedenster Rebellen-Gruppen unter Führung der mit al-Qaida verbündeten Nusra-Front zog die Armee dort ab, auch wenn daraus zumindest zeitweise eine direkte Bedrohung für die Alawiten-Gebiete erwuchs.

Das Zusammenwirken der zuvor teils verfeindeten Assad-Gegner führen Diplomaten auch auf eine engere Abstimmung zwischen Saudi-Arabien, Katar und der Türkei zurück, den wichtigsten Gegnern Assads in der Region, die in Syrien unterschiedliche Gruppen unterstützen.

Aus der zentralsyrischen Stadt Tadmur mit den Ruinen von Palmyra rückten die Armee und verbündete Milizen ab, noch bevor der Vorstoß des IS begonnen hatte. Auffällig war, dass in keiner dieser Schlachten die libanesische Hisbollah-Miliz oder andere von Iran kontrollierte schiitische Freiwilligen-Einheiten der Regierung zur Seite sprangen. Dagegen schlugen diese kampfstarken Kräfte einen Vorstoß von Rebellen in den Qalamun-Bergen nahe der libanesischen Grenze zurück.

Eine Schutzzone könnte die Kräfteverhältnisse in Syrien verändern

Diplomaten schließen daraus, dass auch Iran derzeit nur bereit sei, in die Verteidigung von Gebieten zu investieren, die für die Hisbollah strategische Bedeutung haben. Assad dagegen versuchte lange, eine Präsenz zumindest in den Bevölkerungszentren im ganzen Land zu wahren, etwa in Aleppo, das hohe symbolische Bedeutung hat. Ein Rückzug aus diesen Gebieten, so befürchtet er offenbar, würde einer Aufteilung Syriens den Boden bereiten.

In diesem Zusammenhang könnte auch die Einrichtung einer "Schutzzone" an der Grenze zur Türkei das Kräfteverhältnis in Syrien maßgeblich beeinflussen: Stand die Regierung vor einigen Monaten noch kurz davor, die verbliebenen Rebellen in Aleppo in die Kapitulation zu zwingen, könnten diese nun wieder ein Rückzugsgebiet bekommen und ihre Versorgungsrouten in die Türkei reaktivieren. Diese waren ihnen vom Islamischen Staat abgeschnitten worden - freilich ohne dass das Regime etwas dagegen unternommen hätte.

Angesichts der Verluste der Regierungstruppen machen wieder Prophezeiungen vom baldigen Sturz Assads die Runde. Die zerstrittenen Oppositionsgruppen der Koordinierungsräte und der Nationalen Koalition einigten sich auf einen Plan, der den Krieg beenden soll. Nach dem Atom-Deal mit Iran gibt es neue diplomatische Initiativen und Sondierungsgespräche zwischen Russen und Amerikanern. Dennoch spricht vieles für die Einschätzung des früheren US-Botschafters in Syrien, Robert Ford. Die Regierung Assad werde schwächer, schrieb er jüngst in einer Analyse. Aber sie werde nicht verschwinden. Unter den bewaffneten Assad-Gegnern sei die Konkurrenz scharf - und keine Gruppe sei stark genug, die anderen zu bezwingen.

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