Syrien:An Tisch und Boden

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Während in Genf die Syrien-Gespräche unter Einbeziehung von Regierung und Opposition neu beginnen, versucht Machthaber Assad seine Position militärisch zu stärken.

Von Paul-Anton Krüger, Kairo

Staffan de Mistura ist ein erfahrener Diplomat, mehr als vier Jahrzehnte steht er im Dienst der Vereinten Nationen. In seinem Job als Sondergesandter des UN-Generalsekretärs für Syrien operiert er immer im Spannungsfeld, in der Tragödie Raum für verhaltenen Optimismus und den Sinn seiner Arbeit sehen zu müssen. Bevor de Mistura am Donnerstag in Genf Delegationen der Regierung aus Damaskus und der Opposition zu getrennten Gesprächen im Palais des Nations empfing, dämpfte er also Erwartungen. Mit einem Durchbruch rechne er nicht. Zugleich versprach der 70-Jährige, einen "sehr ernsthaften Versuch" zu unternehmen, einer politischen Lösung des Konfliktes näherzukommen.

Was de Mistura treibt, ist die Verbindung zwischen der von Russland und der Türkei garantierten Waffenruhe in Syrien und dem politischen Prozess - ohne Fortschritte, so die Logik, habe die Feuerpause keine "Raison d'être", wie de Mistura sagte, und umgekehrt auch nicht. Der UN-Vermittler konstatierte immerhin, dass die Waffenruhe zwar brüchig sei, "im Großen und Ganzen" aber immerhin noch halte.

"Die Regierung nutzt die Waffenruhe, um die moderate Opposition zu besiegen"

Betrachtet man unabhängig erhobene Daten über die Verstöße seit Inkrafttreten der Feuerpause am 30. Dezember, hat de Mistura nur zum Teil Recht: Um 62 Prozent sind die von der Beratungsfirma IHS Markit registrierten Gefechte zwischen regierungstreuen Einheiten und Rebellen im Nordwesten des Landes zurückgegangen. Am stärksten abgeflaut ist die Gewalt in Aleppo und Umgebung. Zugleich gibt es im Süden des Landes aber einen deutlichen Anstieg, vor allem in der Umgebung von Damaskus, einer der letzten Hochburgen moderater und islamistischer Rebellen. Dort haben die Kämpfe um 87 Prozent zugenommen mit mehr als 450 Zwischenfällen in den ersten 30 Tagen der Waffenruhe.

In diesen Zeitraum fällt bereits die Offensive der Regierung zur Eroberung des Barada-Tals 15 Kilometer nordwestlich von Damaskus, dessen strategischer Wert in der Kontrolle über die wichtigsten Trinkwasserreserven für mehr als fünf Millionen Menschen liegt. Die Daten zeigen aber eine Entwicklung, die weit darüber hinaus geht. Während der Waffenstillstand im Norden Syriens halte, versuche die Regierung "ihre Kontrolle im Süden auszudehnen und die verbliebenen Rebellen-Gebiete in der Umgebung von Damaskus zu eliminieren", heißt es in dem der Süddeutschen Zeitung vorliegenden IHS-Bericht. Die Regierung "nutzt die Waffenruhe aus, um die moderaten Opposition zu besiegen", wie es IHS-Analyst Columb Strack formuliert - darunter solche Gruppen, die bei den Verhandlungen im kasachischen Astana über die Feuerpause und nun auch in Genf vertreten sind. Übrig bleiben dann in absehbarer Zeit von der Türkei kontrollierte Gruppen im Grenzgebiet - und Gebiete, die von Gruppen dominiert werden, die dem dschihadistischen Spektrum zuzurechnen sind.

Gegen den IS gilt keine Waffenruhe: Von der Türkei unterstütze Rebellen rücken bei Al-Bab gegen die Dschihadisten-Miliz vor. (Foto: Nazeer al-Khatib/AFP)

Die geografischen Unterschiede bei der Einhaltung der Waffenruhe decken sich zugleich mit den Einflussgebieten externer Akteure, wie ein westlicher Diplomat erläutert, der die Gespräche in Genf beobachtet: Dort wo die Türkei und Russland stark seien, halte die Feuerpause weitgehend. Dort wo Iran, schiitische Milizen und das Regime das Sagen hätten, gebe es zahlreiche Verstöße. Es ist ein Muster, das schon länger auffällt: Präsident Baschar al-Assad spielt seine beiden Verbündeten immer dann gegeneinander aus, wenn sich deren Interessen widersprechen. Moskau richtet nun einen Appell an Assad, seine Luftwaffe während der Gespräche in Genf am Boden zu lassen - offenbar vergebens. Die Rebellen allerdings verlangen von der Garantiemacht Russland ohnehin, dass sie die Feuerpause durchsetzt - ebenfalls vergeblich.

Auch am Donnerstag wurde aus Vororten im Norden und Osten von Damaskus von Luftangriffen berichtet; die mit Assad verbündete Hisbollah-Miliz bestätigte die Einnahme eines Ortes. Beschossen wurden auch ein von Rebellen gehaltenes Viertel bei Homs, Gebiete im Umland von Aleppo und Hama sowie die Region Deraa im Süden, die wie das benachbarte Gouvernorat Quneitra laut den IHS-Daten ebenfalls seit Jahreswechsel einen deutlichen Anstieg der Gefechte zu verzeichnet.

Die Opposition wirft deswegen Syriens Regierung und Iran vor, die Friedensgespräche in Genf mit Militäraktionen zum Scheitern bringen zu wollen. "Es gibt einen vom Regime unterstützten Plan Irans, die Verhandlungen durch eine Eskalation der Gewalt zu untergraben", sagte Oppositionssprecher Ahmed Ramadan. Dasselbe Szenario habe es bei den Friedensgesprächen im vergangenen Jahr gegeben.

Zugleich erklärte sich die Oppositionsdelegation zu direkten Verhandlungen mit der Regierung bereit - mehr ein verzweifelter Versuch, die "politische Schlacht" zu gewinnen, von denen Vertreter der meist im Exil lebenden politischen Opposition gern sprechen. Allerdings hat de Mistura dafür gesorgt, dass die bewaffneten Gruppen, Russlands ausschließliche Gesprächspartner in Astana, diesmal auch in der Genfer Delegation stark vertreten sind. Die Frage, wie lange sie dem Druck der Feldkommandeure standhalten können, wenn die Bombardements weitergehen, dürfte de Mistura im Hinterkopf gehabt haben, als er von der verwobenen "Raison d'être" von Feuerpause und politischem Prozess philosophierte.

© SZ vom 24.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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