Swiss-Leaks:Al-Qaida und das Geld auf Schweizer Konten

Swiss-Leaks: Schmutzige Kette: Mehrere Personen, die auf der "Golden Chain"-Liste zur Finanzierung Osama bin Ladens auftauchen, waren Kunden der HSBC-Bank.

Schmutzige Kette: Mehrere Personen, die auf der "Golden Chain"-Liste zur Finanzierung Osama bin Ladens auftauchen, waren Kunden der HSBC-Bank.

(Foto: Illustration: Stefan Dimitrov)
  • Die Swiss-Leaks-Dokumente zur Schweizer HSBC-Bank zeigen, dass zahlreiche Personen und Organisatoren, die Osama bin Laden und al-Qaida finanziell unterstützt haben sollen, zu den Kunden der Bank gehörten.
  • Es gibt mehrere Übereinstimmungen zur "Golden Chain"-Liste, auf der die wichtigsten Finanziers der Terrororganisation stehen sollen.
  • Obwohl die HSBC-Bank sich nach den Anschlägen von 9/11 verpflichtet hatte, gegen die Finanziers des Terrors vorzugehen, finden sich auch in den Folgejahren zahlreiche Personen mit dubiosen Verbindungen unter den Kunden.

Von Georg Mascolo, Frederik Obermaier und Tanjev Schultz

Als bosnische Spezialeinheiten im Jahr 2002 die Büros einer geheimnisvollen Stiftung in Sarajevo stürmten, fanden sie außer Waffen und Sprengstoff eine Festplatte mit brisantem Inhalt. Ein Dateiordner hieß in arabischer Sprache: "Osamas Geschichte". Er enthielt diverse, zum Teil eingescannte Schriftstücke, von denen einige die Handschrift von Osama bin Laden trugen. Unter den Dateien befand sich eine Liste mit 20 Namen, die Ermittler und Geheimdienste elektrisierte. Ein übergelaufener Al-Qaida-Mann bezeugte später, es handle sich um die Topfinanziers der Terrororganisation. Die "Golden Chain" - so soll Osama bin Laden diesen Kreis von Leuten selbst genannt haben: die "Goldene Kette".

Die Swiss-Leaks-Dokumente aus dem Fundus des Whistleblowers Hervé Falciani, die Süddeutsche Zeitung, NDR und WDR einsehen konnten, zeigen nun: Mehrere dieser Männer aus Saudi-Arabien waren offenbar Kunden der HSBC Private Bank in der Schweiz.

Lange Zeit war die HSBC "eine der aktivsten globalen Banken in Saudi-Arabien", heißt es in einem Report des US-Senats aus dem Jahr 2012. In Amerika musste sich die HSBC deshalb immer wieder rechtfertigen. Kritiker warfen ihr vor, Kunden zu wenig zu kontrollieren und zu lasch gegen Geldwäsche und Terrorverdächtige vorzugehen. Die Bank gelobte Besserung. Folgten auch Taten? Das Risiko, mit Hintermännern des Terrors Geschäfte zu machen, bestand jedenfalls auch in den folgenden Jahren.

Einer protegierte Bin Laden, ein anderer gründete eine dubiose Stiftung

Es ist eine illustre Runde, die in den Schweizer Kundendaten auftauchte: ein saudischer Prinz, der den Al-Qaida-Chef einst protegierte. Ein anderer Prinz, dessen Frau Geld an einen der Attentäter des 11. September 2001 schickte. Zudem der ehemalige Gründer und Schatzmeister einer mutmaßlichen Al-Qaida-Tarnorganisation. Und ein Mann, dessen Fabrik vom US-Militär bombardiert worden ist, weil dort angeblich Chemiewaffen hergestellt worden sein sollen.

Als die Fahnder in Bosnien die Liste mutmaßlicher Al-Qaida-Geldgeber fanden, waren die Terroranschläge in New York und Washington erst ein halbes Jahr her. US-Jets hatten bereits Afghanistan bombardiert, die Taliban flohen aus den Städten. Die US-Regierung blies nun auch zur Jagd auf die Hintermänner, auf die Finanziers. Dabei stießen sie auf undurchsichtige Netze reicher Saudis, auf Briefkastenfirmen und islamische Stiftungen.

Womit man wieder bei den 20 Namen auf der Golden-Chain-Liste wäre. "Diese Leute haben al-Qaida finanziert und damit die Grundlage für diese Terrororganisation gelegt", sagt der ehemalige CIA-Agent Michael Scheuer. Der Bericht der sogenannten 9/11-Kommission, die in den USA zu den Terroranschlägen eingesetzt wurde, beruft sich ebenfalls auf die Liste. Die Rede ist von einem "finanziellen Unterstützernetz" Osama bin Ladens, geknüpft aus Geldgebern in Saudi-Arabien und den Golf-Staaten.

2003 hätte die Compliance-Abteilung der HSBC hellhörig werden müssen

Die Presse berichtete erstmals 2003 über die Liste. Es wäre der Moment gewesen, in dem die Compliance-Abteilung der HSBC-Bank hätte hellhörig werden müssen - jene Abteilung, die eine Art Frühwarnsystem sein soll, um die Bank vor dubiosen Kunden zu schützen. Was auch immer die Bank intern diskutiert hat, die Geschäftsbeziehungen zu Saudis, die im Verdacht der Terrorfinanzierung standen, liefen offenbar weiter.

Die Namen mehrerer Männer, die zu Bin Ladens "Goldener Kette" gehört haben sollen, tauchen noch Jahre später in den Kundenunterlagen der Schweizer Bank auf, etwa der jenes saudischen Unternehmers, der demnach erst 2004 ein Konto eröffnete. Allein in den Jahren 2006/07 ist bei Firmen, die mit seinem Kundenprofil verknüpft sind, von Geldbewegungen in Höhe von 44 Millionen Dollar die Rede. Auf eine Anfrage der SZ antwortete er nicht.

Und dann ist da noch Ibrahim A., einstiges Vorstandsmitglied der "International Islamic Relief Organization", einer Organisation, die laut dem US-Finanzministerium ebenfalls al-Qaida nahestehen soll. Ibrahim A. hatte nach Angaben amerikanischer Medien angeblich auch Sana Bell mitgegründet, eine Organisation, die ebenfalls unter Terrorfinanzverdacht stand. Dies hinderte die HSBC offenbar nicht daran, mit ihm Geschäfte zu machen. Sein Kundenprofil wurde den Swiss-Leaks-Dokumenten zufolge 2002 angelegt, im selben Jahr, in dem die Golden-Chain-Liste gefunden wurde. Für eine Anfrage der SZ war A. bis Dienstag nicht zu erreichen.

Kenne deine Kunden, so das Motto einer Richtlinie der HSBC

Dass Kunden der HSBC auf der Liste mutmaßlicher Al-Qaida-Finanziers standen, soll laut dem Bericht der US-Senatskommission den Verantwortlichen der Bank schon bald nach der Razzia in Bosnien bekannt gewesen sein. Eine heikle Situation. Was sollte die Bank nun tun? Noch war da ja nur der bloße Verdacht. Andererseits: Es gab schon eine Art Handreichung für solche Fälle, sogar eine, die von der HSBC mitentwickelt worden war. Sie hieß: Kenne deine Kunden.

Nach der Jahrtausendwende hatten sich in der Schweizer Ortschaft Wolfsberg Vertreter großer internationaler Banken getroffen, um gemeinsam über Richtlinien gegen Geldwäsche zu beraten. In Reaktion auf die Terroranschläge vom 11. September veröffentlichte die "Wolfsberg-Gruppe" eine Erklärung. Darin verpflichteten sich die Banken, gegen die Finanziers des Terrors vorzugehen. Mit dabei: die HSBC. Eines der Prinzipien, das die Banken vertraten, lautete: "Know your customer". Aber wie gut kannte die HSBC ihre Kunden?

Banken sind angehalten einzuschreiten, wenn ihre Kunden auf einer offiziellen Sanktionsliste stehen, wie sie unter anderem von den UN geführt wird. Dort tauchen die reichen Saudis der "Goldenen Kette" allerdings nicht auf. Deren Anwälte weisen darauf hin, dass nicht bekannt sei, wer die "Golden-Chain"-Liste überhaupt geschrieben habe, wann und zu welchem Zweck. Zudem sei gar nicht erwiesen, dass tatsächlich ihre Mandanten gemeint gewesen seien. In mehreren Gerichtsentscheidungen ist diese Sichtweise bestätigt worden. Es ist nicht leicht, Beweise gegen mutmaßliche Finanziers des Terrors beizubringen, die den - zu Recht hohen - Standards vor Gericht standhalten.

Ließ man die Geschäfte im Zweifel lieber laufen?

Die Banken der "Wolfsberg-Gruppe" haben zudem erklärt, sie wollten den Kampf gegen den Terror so führen, dass er niemanden diskriminiert. Bedeutet das im Zweifel, dass man die Geschäfte lieber laufen lässt?

Da ist zum Beispiel dieser unglaublich reiche saudische Geschäftsmann, der offenbar früher, wie auch die Anwälte seiner Familie dem britischen Guardian mitteilten, ein Konto bei der HSBC hatte. Wusste die Bank, dass er Investor und zeitweise Direktor einer Großbank war, die später wegen Geldwäsche für Terroristen und Waffendealer Schlagzeilen machte? Dass er Bin Laden und dessen Mudschaheddin schon im Kampf gegen die Sowjets finanziell unterstützt hatte, konnte die Bank freilich nicht wissen. Das gab er erst später zu, wobei er betonte, dass das Geld für die "afghanische Widerstandsbewegung" bestimmt gewesen sei. Al-Qaida hingegen habe er niemals Spenden zukommen lassen - jedenfalls nicht "wissentlich".

Eine gute Adresse für diskrete Geschäfte

Was die Bank hätte wissen können: dass eine Betrugsanklage eines US-Gerichts gegen diesen Geschäftsmann erst fallen gelassen wurde, nachdem er eingewilligt hatte, mehr als 200 Millionen Dollar zu zahlen. Das war schon in den Neunzigerjahren in den Zeitungen zu lesen. Dennoch taucht er ausweislich der Falciani-Dokumente noch im Jahr 2000 in den Unterlagen der HSBC auf, und das ausgerechnet in Verbindung mit dem früheren Eigentümer jener Fabrik in Afrika, die für al-Qaida Chemiewaffen hergestellt haben soll - und deswegen von den USA bombardiert wurde. Diese Vorwürfe sind allerdings nie bewiesen worden, und der Besitzer bestreitet bis heute, dass seine Firma etwas mit al-Qaida zu tun habe. Und er teilt auch mit, dass er bei HSBC in der Schweiz nie ein Konto gehabt habe.

Trotz solcher Dementis ist auffällig, wie viele arabische Geschäftsleute, denen Sicherheitsbehörden eine Nähe zu al-Qaida unterstellen, Kunden der HSBC in der Schweiz waren - und möglicherweise noch heute sind. Für diskrete Geschäfte scheint das eine gute Adresse gewesen zu sein.

Nur eine allgemeine Erklärung von der HSBC

So hatte ausweislich der Falciani-Dokumente auch der saudische Bauunternehmer Mazin B. von 1997 an ein Konto bei der Bank. Er war bekannt und berüchtigt als Gründer und Schatzmeister der "Benevolence International Foundation", einer Stiftung, die 2002 vom UN-Sicherheitsrat wegen Terrorfinanzierung auf eine Sanktionsliste gesetzt wurde. Die verdächtige Organisation soll Geld an Osama bin Laden und an islamistische Kämpfer in Tschetschenien und Bosnien weitergeleitet haben. Mazin B. reagierte bis Dienstag nicht auf eine Anfrage der SZ.

Man würde von den Verantwortlichen der HSBC gerne mehr über die Kontakte zu ihm und den übrigen fragwürdigen Geschäftsleuten erfahren. Doch die Bank äußert sich nicht zu den einzelnen Kunden und antwortet auf einen detaillierten Fragenkatalog nur mit einer allgemeinen Erklärung. Demnach habe sich die HSBC weltweit und speziell in der Schweiz einer "radikalen Transformation" unterzogen und sich von problematischen Kunden getrennt. In der Vergangenheit seien die Prüfstandards und "die Compliance-Kultur" bei der Schweizer HSBC "deutlich niedriger als heute" gewesen.

US-Kommission kritisierte zu laxe Regeln bei der Bank

Deutlichere Worte fand 2012 eine Kommission des US-Senats mit Blick auf den amerikanischen Zweig der britischen Großbank. In ihrem Bericht kam sie zu dem Schluss, dass die HSBC es Terroristen und Drogenhändlern durch zu laxe Regeln und unzureichende Schutzvorkehrungen zu leicht gemacht habe, Geld über die Bank abzuwickeln.

Ein ganzes Kapitel des 334-Seiten-Reports befasst sich mit der saudischen Al-Rajhi-Bank. Der Name "Al-Rajhi" taucht auch an mehreren Stellen in den Swiss-Leaks-Unterlagen auf. In einem vertraulichen CIA-Bericht aus dem Jahr 2003, auf den sich später das Wall Street Journal und der amerikanische Senatsreport bezogen, hieß es, Mitglieder der Al-Rajhi-Familie hätten islamistische Extremisten unterstützt und vermutlich gewusst, dass Al-Qaida-Terroristen ihre Bank nutzten.

Auf Anfrage des International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) teilt die Al-Rajhi-Bank mit, sie verurteile Terrorismus. Die Kritik durch den US-Report sei unfair und unzutreffend. Zudem sei nicht klar, welcher Al Rajhi auf der Golden-Chain-Liste gemeint sei. Die Bank beruft sich auf Gerichtsentscheidungen, nach denen diese Liste keine Beweiskraft habe. Es sei nicht klar, ob darauf tatsächlich Geldgeber stünden oder nur Leute, die um Spenden ersucht werden sollten.

"Wir versuchen nicht mehr, überall zu sein", beteuert ein HSBC-Mitarbeiter

Die HSBC in den USA entschied 2005, die Geschäfte mit der Al-Rajhi-Bank zu beenden. Knapp zwei Jahre später nahm man sie nach internen Auseinandersetzungen wieder auf und führte sie bis 2010 fort. Nach Darstellung des Berichts vom US-Senat wurde die Al-Rajhi-Bank als besonders riskanter Kunde eingestuft.

Der Experte Stuart Levey, der im US-Finanzministerium jahrelang für den Kampf gegen Terrorfinanziers zuständig war, sagte 2007: "Könnte ich mit einem Fingerschnippen die Terrorfinanzierung aus einem Land stoppen, dann wäre das Saudi-Arabien." Ein Jahr später bekräftigte Levey vor einer Kommission des US-Senats: Aus keinem Land bekämen sunnitische Terroristen so viel Geld wie aus Saudi-Arabien.

Mittlerweile hat Levey einen neuen Arbeitgeber: die HSBC. Dort ist er Chef der Rechtsabteilung. Auch in dieser Funktion musste er vor einer Kommission des US-Senats aussagen - und nun die HSBC im Jahr 2012 gegen den Vorwurf verteidigen, zu lasche Kontrollen zu haben. Er gestand Defizite der Bank ein und beteuerte: "Wir haben daraus gelernt und unternehmen Schritte, uns zu ändern." Und: "Wir versuchen nicht mehr, überall zu sein und sämtliche Leistungen allen Kunden anzubieten."

Im Januar dieses Jahres übergab ein unabhängiger Gutachter dem US-Justizministerium einen neuen Report. Es ist eine Art Bestandsaufnahme, was sich bei HSBC getan hat, ob auf die Worte Taten folgten. Im April sollen Erkenntnisse daraus veröffentlicht werden. Schon jetzt sickerte durch: Die HSBC muss sich offenbar erneut vorhalten lassen, zu wenig über ihre Kunden zu wissen.

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