Susanne Osthoff:Die flambierende Frau

Heldin oder Hexe: Die ehemalige Irak-Geisel provoziert den Geschlechterkampf in deutschen Wohnzimmern.

Hans Leyendecker

Zum Terror unter Paaren kann gehören, dass sie alles, was sie jeweils denken, auch sagen. Die Konversation nimmt dann oft Wendungen wie beim Telemarkschwung im Skilauf, der Abgrund ist nah.

SZ-Collage: sted
(Foto: SZ-Collage: sted)

Experten für pauschale Aussagen heißen Meinungsforscher, und wenn die Deutschen von diesen Spezialisten über die 43-jährige Archäologin Susanne Osthoff befragt werden würden, fiele das Resultat recht interessant aus. Wenn die Eindrücke aus vielen Gesprächsrunden und Kommentaren in den Medien nicht täuschen, sähe das Ergebnis so aus, dass viele Frauen gewisse Sympathien für Frau Osthoff hegen - und viele Männer aber eher nicht.

Vom ersten Kanzler der Republik, Konrad Adenauer, stammt der schöne Satz, dass "die Frau manche Dinge eben anders sieht als der Mann." Damit, so Adenauer, "sage ich gar nicht, dass der Mann sie richtiger ansieht."

Erinnerung an die eigene Gattin

Frau Osthoff ist in diesen Tagen Projektionsfläche der Geschlechter für Sehnsüchte, Ängste und das sogenannte Genervtsein: Sie ist Hexe und Heldin, Zicke und Abenteuerin. Die einen - und meist sind es Frauen - bewundern die romantische Kompromisslosigkeit, mit der sie sich und auch ihre Rolle als Mutter erklärt.

Andere - und meist sind es Männer - bekommen Fleckenbefall, wenn sie die enervierende Stimme einer Frau hören, die sich weigert, in dem Oberflächenmedium Fernsehen, das jedes Zucken der Mundwinkel zu einem Popanz aufbaut, eine adäquate Figur abzugeben. Besonders geschlauchte Kerle erinnert Frau Osthoff sogar an die eigene Gattin, die sich ja auch Abend für Abend hartnäckig weigert, die Tonlage zu wechseln oder sogar bitte mal ganz still zu sein, denn wie oft hat man doch über dieses eine Thema schon ...

"Liebchen, sei doch bitte mal still"

Und Frau Osthoff weckt Erinnerungen: Es fällt einem ein Erlebnis mit einem berühmten Politiker in häuslicher Runde ein, an das sich alle Teilnehmer dieser Runde gerne erinnern. Die Frau des Politikers nervte ein wenig mit minutenlangen Welterklärungen.

Der Mann tat erst, als sei er von ihren Ausführungen so gebannt wie Parsifal von den drei Blutstropfen im Schnee. Weil ihm, trotz seiner Profession, Bosheit fremd war und das übliche Giftgrün im Spektrum seiner Seele fehlte, blieb er zunächst stumm. Endlich aber verfärbte sich sein Gesicht. Er biss auf seine erkaltete Dunhill-Pfeife und sagte den unvergesslichen Satz: "Liebchen, sei doch bitte mal still."

Die flambierende Frau

Das so feine Wort "Liebchen" hat für die, die dabei waren in jener Runde, bis heute seinen drohenden Klang nicht verloren. "Liebchen" sagte man danach nicht mehr einfach mal so.

Liebchen Osthoff?

Anfang der Woche tauchten Gerüchte auf, die Archäologin, die mehr als zwanzig Tage in der Hand von Kidnappern im Irak war, sei in die eigene Entführung verstrickt gewesen. Sie habe mit den Entführern unter einer Decke gesteckt. Mancher Stammtischler meinte das im doppelten Wortsinn. Das war nichts als das übliche und üble Gerede. Doch auch beim Berichterstatter meldeten sich scharenweise Männer: "Sind Sie sicher, dass die damit nichts zu tun hat?"

Ja.

Regalmeter von Ratgebern erklären Frauen und Männern, warum Beziehungen so schwierig sind. Nichts gewaltiger als der Mensch, der den Partner nach zig Jahren noch versteht. Wissenschaftler haben bei der Suche nach dem Fremdsein unsere Hirnhälften erforscht und dabei nicht nur festgestellt, dass die Männer schon in ein paar Millionen Jahren verschwinden werden, weil das Y-Chromosom, der Schlüssel zur Männlichkeit, immer kleiner wird. Sie haben auch entdeckt, dass die genetischen Unterschiede zwischen Männern und Frauen gewaltig sind und bleiben.

Gewaltiges Splenium

Die Gehirne von Jungen und Mädchen funktionieren, wie Forschungen beweisen, sehr unterschiedlich. Ohne auf die Besonderheiten - wie das Corpus callosum, das die Verbindung zwischen den beiden Hälften herstellt, oder das Splenium, in dem die Vernetzung der Sprachzentren stattfindet - genauer einzugehen, ist eine Verallgemeinerung erkennbar: Jungen sind in der Regel mehr räumlich orientiert, Mädchen sind verbaler. Die Sprachbereiche im weiblichen Hirn werden, so fanden Forscher der Yale-Universität heraus, stärker genutzt als dieselben Anteile beim männlichen Gehirn.

Frau Osthoff muss, um es vorsichtig zu formulieren, über ein gewaltiges Splenium verfügen!

Sie lässt sich nicht unterkriegen und ist definitiv kein Anhängsel von irgendeinem dahergelaufenen Y-Chromosomenträger, der abends gerne statt Diskussionen etwas zu essen hätte. Mehr noch als jene Geschlechtsgenossin, die es als bisher einzige Frau in den Vorstand eines Dax-30-Unternehmens brachte, regt sie die Phantasie an. Sie ist eine Abenteuerin, deren Leben nicht an Ketten hängt:

Mit 17 rückte sie daheim aus, zog zu einer Freundin, studierte später Vorderasiatische Archäologie, Semitistik, Hebräisch, Aramäisch, Keilschrift, fuhr mit dem Motorrad durch die Sahara, lebte fünf Jahre mit einem irakischen Archäologen zusammen, der ein Despot war und sie ins Gefängnis brachte, als sie nicht spurte. Sie kam frei, lebte mit einem gut aussehenden Beduinen zusammen, bekam 1993 eine Tochter und schickte den Erzeuger dieser Tochter dann mit einem One-Way-Ticket nach Hause.

Die flambierende Frau

Allein schlug sie sich durch, brachte Hilfsgüter in den Irak und versuchte, Grabungsstätten vor Plünderern zu schützen: "Ich schleppe Kisten von A nach B", hat sie ihre Arbeit mal umschrieben. "Ich bin mein eigener Herr", hat sie auch gesagt.

Wohin andere Frauen nicht einmal in der Phantasie reisen, sie ist dorthin gegangen. Die romantische Sehnsucht nach dem anderen Da-Sein, frei von Konventionen, beeindruckt vor allem Frauen. Leserbriefschreiberinnen verglichen in diesen Tagen Frau Osthoff mit der jungen Abenteuerin Isabelle Eberhardt, die einst die Wüste auf Kamel- und Pferderücken durchquerte.

Das 1877 geborene außereheliche Kind war ebenso Muslima, wie Frau Osthoff Muslima ist. Sie sprach schon in jungen Jahren den Koran im Originaltext, knüpfte früh Kontakte zu Arabisten, trug arabische Männerkleidung, schrieb über die Mondnächte in den Sandmeeren - eine leidenschaftliche Grenzgängerin. Immer schleppte auch sie irgendetwas durch die Gegend.

Eigene Attentäter in Schutz genommen

Sie hatte Liebesaffären und Prinzipien. Einen tunesischen Freund hat sie gefragt: "Glauben auch Sie, dass die Frau sich dem Willen des Mannes oder Geliebten aufgrund ihrer beider Verbindung notwendiger Weise unterwerfen muss? Das verstehe ich nicht und ich möchte es niemals zulassen. Das ist der einzige Punkt, in dem ich keferea (ungläubig) bin."

Isabelle Eberhardt war eine Nomadin, die in Zelten wohnte und sogar wilde Idiome verstand. Sie sympathisiere mit "arabischen Elementen", schrieb damals ein französischer Kolonialbeamter. Nachdem ein Attentat auf sie verübt worden war, musste sie "zu ihrem eigenen Schutz" 1901 Algerien verlassen.

Wer hinter dem Attentat steckte, konnte nie geklärt werden. Sie nahm dann in Zeitungsartikeln ihre Attentäter in Schutz, was für viel Ärger sorgte. Der Schriftsteller Robert Randau bewunderte ihre "einzigartige Gabe, Notare, Korporale, Philister jeglicher Schattierung aus der Fassung" zu bringen.

Die militante Frau aus Glonn

Auch Frau Osthoff hat über ihre Entführer freundlich gesprochen, der Irak sei ihre Heimat geworden, sagte sie in einer interessanten "Beckmann"-Sendung. Sie träume vom friedvollen Leben im Zelt. Von dieser Frau kann man in des Wortes rechtem Sinn sagen: Sie sucht das Weite. Sie hilft dabei den Armen und verkörpert gleichzeitig die Sehnsucht nach Abenteuern, die vielen Männern zu riskant wären. "Going native" - zum Eingeborenen werden, nennen Fachleute das Phänomen, wenn einer bei der Arbeit die Gebräuche der fremden Welt annimmt.

Manche Y-Chromosomenträger hören, wenn Frau Osthoff im Fernsehen redet, also einen Ton, der ihnen vertraut ist. Enervierend, immer gleich, egal, was sie sagt: vorwurfsvoll, belehrend. Die militante Frau aus Glonn, die in der Wüste bei den Ausgrabungen selbst arabische Männer auf Trab brachte, ist eine einzige Herausforderung.

Ältere Herrschaften wittern deshalb gar Gefahr. In Bild verlangten männliche Leserbriefschreiber die Aberkennung ihrer deutschen Staatsangehörigkeit, das Entziehen ihres deutschen Passes oder ein Einreiseverbot.

Erotisches Profipüppi Verona

Deutschlands sensibelster Kolumnist, Franz Josef Wagner, fragte bang und bibbernd, warum bloß diese Frau eigentlich "so kalt" sei: "Wenn sie Pech hat, bleibt sie Susanne Osthoff, die unbelehrbare Frau."

"Ich glaube, die Deutschen hassen mich", hat Frau Osthoff dem Stern-Reporter Christoph Reuter anvertraut. Das war übertrieben. Und ungenau war es auch. Die Deutschen hassen sie nicht. Die Deutschen, die sich gerne spiegeln, spiegeln sich nun in ihr.

Reinhold Beckmann hatte kurz nach Susanne Osthoff mal vorsichtshalber das erotische Profipüppi Verona Pooth zu Gast, das dort sogleich das eigene Kind zur Schau stellte.

Frau Pooth hatte, anders als Frau Osthoff, wenig zu sagen. Aber ihre Stimme nervt übrigens nach wie vor gewaltig.

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