Supreme Court:Stelle frei

A man holds a flag outside the U.S. Supreme Court, as the Trump v. Hawaii case regarding travel restrictions in the U.S. remains pending, in Washington

Tiefgreifende Veränderungen: Nach Kongress und Weißem Haus könnten die Republikaner nun auch im Supreme Court die Kontrolle erlangen.

(Foto: Toya Sarno Jordan/Reuters)

Neubesetzungen am Obersten Gericht haben Washington schon immer elektrisiert. Diesmal aber dürfte die Spannung noch einmal enorm nach oben schnellen: Denn die Entscheidung wird Amerika verändern.

Von Christian Zaschke

In seinem morgendlichen Rundumschlag auf Twitter beschäftigte sich US-Präsident Donald Trump am Donnerstag mal wieder mit Sonderermittler Robert Mueller, der untersucht, inwieweit es eine russische Einflussnahme auf die Wahl im Jahr 2016 gab. Das Thema ist Trump ein Dorn im Auge, weshalb er keine Gelegenheit auslässt, seinem Ärger über die Ermittlungen Luft zu machen. Zudem lobte er den Sender Fox News, weil dieser wiederum den Präsidenten gelobt hatte, was er allerdings täglich tut. Schließlich teilte Trump mit, dass er im Laufe des Tages einige großartige Meetings haben werde. Erstaunlichweise erwähnte er das wichtigste Thema des Tages mit keinem Wort. Das Thema, das das politische Amerika in den kommenden Monaten elektrisieren wird: Wer wird nach dem Rücktritt von Anthony Kennedy Richter am Supreme Court?

Diese Frage ist von enormer Tragweite, und wie sie beantwortet wird, könnte Amerika auf Jahre und Jahrzehnte verändern. Neun Richter sitzen am Obersten Gerichtshof. Derzeit sind vier von ihnen Konservative und entscheiden in aller Regel im Sinne der Republikaner. Vier sind Liberale und entscheiden meist im Sinne der Demokraten. Kennedy war bei fast jeder Entscheidung das Zünglein an der Waage, er war es, der in den allermeisten Fällen den Ausschlag gab. Manche Beobachter nannten den Supreme Court daher das "Kennedy-Gericht". Mehr als 30 Jahre lang war der heute 81 Jahre alte Kennedy Mitglied des Gremiums, er ist seinerzeit von Präsident Ronald Reagan ernannt worden.

Am Mittwoch hatte er seinen Rücktritt für Ende Juli angekündet, seither herrscht unter Republikanern Frohlocken. Für sie ergibt sich die historische Chance, die Balance im Gericht zu ihren Gunsten zu verändern. Es obliegt dem Präsidenten, einen neuen Kandidaten vorzuschlagen. Anschließend muss dieser vom Senat bestätigt werden. Dort haben die Republikaner die Mehrheit, 51 Sitze gegenüber 49 Sitzen der Demokraten. Zudem setzen sie darauf, dass einige Demokraten Trumps neuen Kandidaten unterstützen werden, und zwar jene, die bei den Kongresswahlen am 6. November in Staaten zur Wiederwahl stehen, die bei der Präsidentschaftswahl mehrheitlich für Trump votiert hatten. Republikanische Kampagnen, um just diese Demokraten zu beeinflussen, begannen umgehend nach Kennedys Ankündigung.

Trumps Wahlversprechen war es, das Gericht konservativer zu machen

Für Trump ist dieser Rücktritt die glücklichste Fügung. Eines seiner großen Wahlkampfversprechen war es, die Gerichte in den USA wieder konservativer zu machen. Bereits im vergangenen Jahr hat er einen Verfassungsrichter ernennen können. Neil Gorsuch ersetzte jedoch lediglich den im Jahr 2016 verstorbenen Antonin Scalia, der ebenfalls ein Konservativer war. Die Balance im Gericht wurde durch diese Entscheidung nicht verschoben. Das wird diesmal anders sein.

Vordergründig könnte das als nicht allzu wichtig erscheinen, da die Aufgabe des Supreme Court lediglich ist, Gesetze auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen. Diese Tätigkeit hat jedoch enorme politische Folgen. In den vergangenen Jahrzehnten musste das Gericht immer wieder gesellschaftliche Streitfragen entscheiden, die das notorisch zerstrittene Parlament nicht lösen konnte. Zu nennen wären zum Beispiel die Legalisierung der Abtreibung, die Homo-Ehe und die fast völlige Freigabe des Waffenbesitzes.

Kennedy war ein grundsätzlich eher konservativer Richter. Doch es kam regelmäßig vor, dass er mit seiner Stimme für eine liberale Mehrheit sorgte. Er war ein Befürworter der Homo-Ehe, er verteidigte das Recht auf Abtreibung, der Todesstrafe stand er skeptisch gegenüber. Hingegen war er auf der Seite der Konservativen, als es darum ging, Unternehmen zu erlauben, unbeschränkt Parteispenden verteilen zu dürfen, was in den Augen seiner Kritiker ein entscheidender Schritt dahin war, der Wirtschaft direkten und unziemlichen Einfluss auf die Politik zu verschaffen. Auch in einem zweiten berühmten Fall stand er auf der Seite der Republikaner: Im Jahr 2000 musste der Supreme Court darüber befinden, ob George W. Bush sich bei der Präsidentschaftswahl rechtmäßig gegen Al Gore durchgesetzt hatte. Hatte er, befand Kennedy.

Ein mehrheitlich konservatives Gericht könnte für tief greifende gesellschaftliche Veränderungen in den USA sorgen. Insbesondere das Recht auf Abtreibung dürfte im Fokus stehen. Trump hatte im Wahlkampf gesagt, er wolle Richter ernennen, die dieses Recht einschränken. Mit der Wahl von Neil Gorsuch hat er dieses Versprechen bereits einmal gehalten, und es ist davon auszugehen, dass er es ein zweites Mal halten wird. Abtreibungsgegner äußerten sich begeistert. "Wir haben seit mehr als 40 Jahren auf diesen Moment gewartet, seit 1973", sagte eine Aktivistin.

Die Demokraten hoffen darauf, dass Trumps Kandidat ihre Anhänger mobilisieren wird

Damals war im Fall "Roe v. Wade" das konstitutionelle Recht auf Abtreibung verankert worden. Diese Entscheidung wird nicht von heute auf morgen revidiert werden können, es ist jedoch fest davon auszugehen, dass ein mehrheitlich konservativer Supreme Court ganz erhebliche Einschränkungen einführt.

Die Republikaner sind entschlossen, die freie Stelle noch vor den Kongresswahlen im November zu besetzen. Es ist zwar nicht sehr wahrscheinlich, dass sie ihre Mehrheit im Senat verlieren, aber sie wollen auf Nummer sicher gehen. Zudem ist der Druck auf demokratische Senatoren in Trump-Staaten ungleich höher, wenn sie unmittelbar nach der Abstimmung über die neue Richterin oder den neuen Richter selbst zur Wiederwahl stehen. In Staaten wie Indiana, West Virginia und North Dakota stecken demokratische Senatoren in genau dieser Zwickmühle: Sie wollen jene Teile der wertkonservativen Wählerschaft, die in der Regel demokratisch wählen, aber trotzdem Trump unterstützt haben, nicht verärgern und zugleich die demokratische Basis nicht verlieren.

Diese ist in heller Aufregung. Ein erfahrener demokratischer Stratege sagte, es stehe die größte und erbittertste politische Schlacht seit Langem bevor. Die Demokraten hoffen darauf, mehr und mehr Menschen mit der Aussicht mobilisieren zu können, dass nach Senat und Repräsentantenhaus nun auch das Oberste Gericht in die Hände der Republikaner und damit in die Hände Trumps fallen könnte. Es ist tatsächlich wahrscheinlich, dass die bevorstehende Auseinandersetzung laut wird, mehr aber wohl nicht: Die Demokraten wissen, dass sie letztlich nur zusehen können, wie Trump diesen so eminent wichtigen Posten ganz nach seinem Gusto besetzt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: