Super Tuesday in den USA:Die Entschlüsselung der Wähler-DNS

Amerikanische Unternehmen und Parteien speichern private Informationen von 175 Millionen US-Bürgern - meist ohne deren Wissen. Diesen Daten kann im Präsidentschaftswahlkampf entscheidende Bedeutung zukommen.

Johannes Kuhn

Während seiner Zeit an der Universität Princeton verblüffte John Aristotle Phillips seinen Physikprofessor, als er in einer Seminararbeit den Bauplan für eine Atombombe vorlegte. Die Informationen dafür, erklärte er später dem FBI, habe er aus Büchern und öffentlich zugänglichen Dokumenten zusammengetragen.

Super Tuesday in den USA: Und, was denkt ihr so? Das Sammeln von Wählerdaten ist ein bedeutender Faktor im US-Wahlkampf.

Und, was denkt ihr so? Das Sammeln von Wählerdaten ist ein bedeutender Faktor im US-Wahlkampf.

(Foto: Foto: Reuters)

Phillips skandalträchtige Hausarbeit ist inzwischen 30 Jahre her - doch dem Zusammenpuzzeln von Informationen ist der heute 52-Jährige treu geblieben. Als Chef des Datensammler-Unternehmens Aristotle Inc. ist er längst zu einer äußerst einflussreichen Hintergrundfigur Washingtons geworden - und zum heimlichen Königsmacher, denn er hat genaue Informationen über 175 Millionen amerikanischen Wähler. Informationen, die für die Präsidentschaftskandidaten Gold wert sein könnten.

Wahlkampfmanager träumen schon lange davon, jeden einzelnen Wähler mit einer für ihn maßgeschneiderten Botschaft zu erreichen. In den Siebzigern rückte der Traum etwas näher, als Computer erstmals das massenhafte Versenden von personalisierten Wahlkampfbriefen ermöglichten. Doch während die amerikanische Wirtschaft in dieser Zeit begann, gezielt Kundendaten zu horten und elektronisch auszuwerten, hat sich das Sammeln von Wählerdaten erst um die Jahrtausendwende etabliert. Dabei herrschen dank laxer Datenschutzregelungen schon lange ideale Bedingungen zur Informationsbeschaffung.

"Wenn es um die Privatsphäre geht, ist die USA der Wilde Westen - das haben inzwischen auch die politischen Parteien erkannt.", sagt Gus Hosein von der Menschenrechtsorganisation Privacy International.

Tatsächlich geben die Amerikaner unfreiwillig zahlreiche Informationen von sich Preis: In Garantieschreiben geben sie Adressen und Telefonnummern an, mit denen ebenso gehandelt wird wie mit Informationen über Zeitschriftenabonnements oder Kreditkarten-Abrechnungen, die das Konsumverhalten eines Bürgers punktgenau auflisten. Selbst die Wählerdaten sind nicht mehr sicher: Im Jahr 2003 verabschiedete der US-Senat den "Help America Vote Act", der nach der kontroversen Präsidentschaftswahl im Jahr 2000 eigentlich für allgemeine Wahlstandards sorgen sollte.

Eine Regelung des Gesetzes: Die Bundesstaaten sind verpflichtet, eine zentrale Liste mit allen registrierten Wählern zu führen.

In knapp der Hälfte aller Staaten ist es allerdings unter bestimmten Bedingungen erlaubt, Inhalte dieses Registers zu verkaufen. So können komplette Datensätze mit Informationen über Telefonnummer, E-Mail, Anzahl der Wahlteilnahmen, Religion oder der Parteizugehörigkeit der Wähler kinderleicht erworben werden.

Dass die Angaben korrekt sind, gilt als sicher: Wer bei seiner Wahlregistrierung falsche Informationen angibt, muss mit Geld- oder gar Gefängnisstrafen rechnen.

Der Zugang und die Kombination solcher Informationen eröffnet Wahlkampfstrategen ungeahnte Möglichkeiten. Alex Gage, Berater des Präsidentschaftskandidaten Mitt Romney, jubilierte in einem Gespräch mit der Washington Post im vergangenen Jahr, man sei gerade dabei, die "politische DNS" der Wähler zu entschlüsseln. Er spielte dabei auf das sogenannte Microtargeting an, bei dem die Wahlkampfteams mittels Umfragen die Interessen und Eigenschaften der Bürger herausfinden, die zur Zielgruppe eines Kandidaten gehören.

Stimmen der Statistik zufolge beispielsweise diejenigen Bürger der Sicherheitspolitik John McCains zu, die Mitte 30 sind, zwei Kinder und ein eigenes Haus haben und regelmäßig Geld für Handfeuerwaffen ausgeben, können in der Wählerdatenbank Personen mit ähnlichen Eigenschaften lokalisiert werden. Per E-Mail, Telefon oder durch einen persönlichen Besuch können die Wahlkampfteams dann mit den potentiellen Wählern in Kontakt treten.

"Wenn Wahlkampfhelfer heutzutage von Tür zu Tür gehen, wissen sie genau, wie der Mensch dahinter lebt und was er hören möchte", glaubt Philip Howard von der University of Washington, der die aktuelle Entwicklung in seinem Buch "New Media Campaigns and the Managed Citizen" beschreibt. Der Umkehrschluss für Howard: Wer nicht zur Zielgruppe gehört, weil sein Profil nicht ins Raster passt, wird von den Kandidaten ignoriert.

Lesen Sie weiter, wie die Datenbanken den Republikanern bereits 2004 zum Sieg verhalfen.

Die Entschlüsselung der Wähler-DNS

Wie effektiv Informationen genutzt werden können, zeigten im Präsidentschaftswahlkampf 2004 die Republikaner, deren parteieigene Datenbank "Voter Vault" (sinngemäß "Wählertresor") maßgeblich zur Wiederwahl George W. Bushs beitrug. Mit ihrer Hilfe konnte Bush-Stratege Karl Rove im umkämpften Bundesstaat Ohio den Demokraten entscheidende Stimmen abnehmen.

So hatten Umfragen ergeben, dass für die dortigen afroamerikanischen Wähler die Themen Bildung und Gesundheit im Mittelpunkt standen. Rove ordnete daraufhin an, die schwarzen Wähler in Ohio mit gezielten Postsendungen und Anrufen von den Errungenschaften des Präsidenten in diesen Feldern zu überzeugen, während Bush auf nationaler Ebene vor allem die Sicherheitslage zum Thema machte.

Das Ergebnis: Der Republikaner legte bei den afroamerikanischen Wählern um fast 50 Prozent zu, gewann den wichtigen Bundesstaat und blieb Präsident.

Die großspurig "Demzilla" getaufte Datenbank der Demokraten erwies sich 2004 jedoch als unbrauchbar, weil in ihr nach Expertenansicht schlicht zu wenige Informationen gespeichert waren. Inzwischen hat die Partei mit dem "VoteBuilder" einen Informationspool aus dem Boden gestampft, der mit 165 Millionen Wählern eine ähnliche Datenmasse wie der "Voter Vault" beinhaltet.

Dennoch greifen beide Parteien zusätzlich auf die Datenbanken von Aristotle und kleinerer Konkurrenten zurück. Vor einiger Zeit zeigte Aristotle-Chef Phillips einem Reporter der amerikanischen Zeitschrift Vanity Fair, was das Unternehmen inzwischen alles über die US-Bürger weiß: In seinem Datenbankprogramm, so führte er vor, waren nicht nur Adresse, Alter, Telefonnummer und Beruf von Wählern, sondern auch deren geschätztes Einkommen, Foto, Summe der Parteispenden und die Namen der erwachsenen Verwandten gespeichert. Zudem zeigten Netzwerkmodelle die Beziehungen zu anderen Wählern und Parteispendern auf - nicht nur für das Sammeln von Wahlspenden eine äußerst hilfreiche Sache.

Während Aristotle vor allem für die Republikaner arbeitet, hat sich mit Catalist ein Privatunternehmen in den Markt gedrängt, das den Demokraten und anderen liberalen Organisationen Wählerdaten anbieten möchte. Mit Harold Ickes steht dem Unternehmen ein ehemaliger Vertrauter von Bill Clinton vor. Finanziert wird die Firma mehreren Medienberichten zufolge unter anderem von Investmentmilliardär George Soros.

Einen Eindruck von deren Arbeitsweise gibt die Seite VotePoke.org, die Catalist gemeinsam mit der linken Bewegung MoveOn.org betreibt. Hier können Wähler prüfen, ob sie für die Präsidentschaftswahl registriert sind; gleichzeitig können sie Freunde dazu auffordern, sich einzutragen.

Die schwammig formulierten Allgemeinen Geschäftsbedingungen lassen jedoch offen, ob die eingegebenen Informationen wie Name, Anschrift und E-Mail-Adresse in der Catalist-Wählerdatenbank gespeichert oder an Dritte weitergegeben werden. Vermutlich nicht ohne Grund: Ein Catalist-Manager lehnte es auf Nachfrage von sueddeutsche.de ab, sich zur Verwendung der Daten zu äußern.

Das Geschäft mit den Listen lohnt sich durchaus: Im ersten Halbjahr 2007, als der Wahlkampf gerade erst anlief, hatten die amerikanischen Präsidentschaftskandidaten bereits 4,8 Millionen Dollar für Wählerdaten ausgegeben. Spitzenreiterin war die demokratische Kandidatin Hillary Clinton mit 600.000 Dollar. Neben den professionellen Datensammlern profitierten auch die Lokalpolitiker in hart umkämpften Staaten: Diese konnten oft ihre eigenen Wahllisten für fünfstellige Beträge weiterverkaufen.

Von dem Handel mit ihren Daten wissen nur die wenigsten der 180 Millionen erfassten Wähler etwas. Selbst wenn, wäre Widerstand derzeit zwecklos. "Es gibt für den Bürger keine Möglichkeit, die Speicherung seiner Daten zu verhindern oder sie zu löschen", analysiert der Politologe Howard resignierend, "er hat nicht einmal die Möglichkeit zu erfahren, welche Informationen die Datensammler über ihn besitzen."

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