Sunniten gegen Schiiten:Nahöstlicher Weltkrieg

Damaged mosque is seen in Qusair village, where forces of Syrian President Bashar al-Assad and rebel forces have been fighting

Der Konflikt in Syrien ist auch einer zwischen Schiiten und Sunniten. Eine zerstörte Moschee im syrischen Kusair. 

(Foto: REUTERS)

Unter entsetzlichen Verwerfungen treten in Syrien die Bruchlinien eines 1400 Jahre alten und äußerst komplexen Konflikts zu Tage. Er kann Ländergrenzen einreißen und hat das Zeug zu einem nahöstlichen Weltkrieg: der Antagonismus zwischen den islamischen Glaubensanhängern, den Sunniten und Schiiten.

Ein Kommentar von Sonja Zekri, Kairo

Mancher Hass wirkt ewig im Nahen Osten, dabei ist er keine 30 Jahre alt. Andere Feindschaften, scheinbar längst überwunden, können jederzeit so folgenschwer ausbrechen wie einst vor 1400 Jahren. Als Israel 1982 in den Süden Libanons einmarschierte, begrüßten die Schiiten dort die fremden Soldaten mit offenen Armen, mit Blumen. Jahrzehnte hatten die Palästinenser Israel aus Südlibanon angegriffen und so Vergeltungsschläge provoziert. Nun hofften die libanesischen Schiiten, das politisch marginalisierte Prekariat des Landes, ausgerechnet auf den jüdischen Staat.

Die Schiiten waren damals tief enttäuscht vom Versprechen des arabischen Nationalismus, das sie aus Kairo und Beirut, Bagdad und Amman hörten - das aber doch nur der Hegemonie sunnitischer Herrscher diente. Sie hatten Kriege geführt im Namen der arabischen Sache, doch alle Loyalitätsanstrengungen milderten nicht das Misstrauen seitens der Sunniten und die Zurücksetzung, die sich von den grausamen Omaijaden bis zu den Osmanen und den europäischen Kolonialmächten fortsetzte.

In Iran und Aserbaidschan mochten die Schiiten die Mehrheit stellen. In der arabischen Welt blieben sie Muslime zweiter Klasse. Erst in den Achtzigerjahren, erst in Libanon änderte sich dies, verschmolzen die Sehnsucht nach sozialem Aufstieg, politische Fortune und religiöses Sendungsbewusstsein zu jener Kraft, die die ganze Region verändert hat. Die Schia war erwacht.

Bruderkampf in Syrien

In diesen Tagen nun kämpft die libanesische Schiitenmiliz Hisbollah in einer syrischen Kleinstadt an der Seite des Assad-Regimes - Alawiten mit schiitischen Wurzeln - gegen vornehmlich sunnitische Aufständische. Der Bruderkampf zwischen Sunniten und Schiiten, so versucht die Hisbollah ihren Anhängern weiszumachen, sei in Wahrheit eine Art verlagerte Vorwärtsverteidigung gegen fremdfinanzierte sunnitische Extremisten, kurz: gegen Amerika und Israel.

Nicht nur in Libanon, auch in Iran versuchen Schiitenführer, mit überschnappender Hetze gegen die gängigen Feinde USA und Israel die Kluft zu den Sunniten zu schließen, wollen sie ihren Machtgewinn weniger bedrohlich erscheinen lassen. Und zumindest für die libanesischen Militanten ging diese Taktik bisher auf: Lange Zeit wurde die Hisbollah für ihre Israelfeindschaft auch von Millionen Sunniten wenn nicht geliebt, so doch bewundert.

In Syrien funktioniert dieser Trick nicht mehr. Im dritten Jahr des Bürgerkriegs hat die Hisbollah alle überkonfessionelle Anziehungskraft verloren und ist schiitischer denn je. Mehr noch, unter entsetzlichen Verwerfungen treten in Syrien die Bruchlinien eines Konflikts zu Tage, der älter ist als Amerika, komplexer als der Streit zwischen Demokratie und Tyrannei, der Ländergrenzen einreißen kann und das Zeug zu jenem kathartischen nahöstlichen Weltkrieg hat, den manche fürchten und manche als notwendige Reifephase erhoffen: der Antagonismus zwischen Sunna und Schia.

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Wer will was in Syrien?

Ein großer, unberechenbarer Konflikt

Im Irak hat die Gewalt zwischen Sunniten und Schiiten den höchsten Stand seit Jahren erreicht. In Bahrain unterdrückt das sunnitische Herrscherhaus die schiitische Mehrheit. In Syrien stehen sich erstmals schiitische Militante aus Libanon und sunnitische Dschihadisten gegenüber. Angesichts der Wahl zwischen Pest und Cholera, so raten manche, könne der Westen entspannt abwarten, welche Verbrechertruppe übrig bleibe; dann habe sich immerhin ein Problem erledigt.

Als wäre es so leicht. Als wäre der Konflikt nicht längst größer, unberechenbarer, schwerer zu durchschauen. Sunnitische Salafisten in Libanon haben jahrelang in den Gassen von Tripoli und Sidon gehetzt. Jetzt schlägt ihre Stunde, jetzt schicken sie ihre Jünger in den Dschihad nach Syrien - gegen die eigenen schiitischen Landsleute.

Selbst in Ägypten, einem sunnitischen Schwergewicht, sind sich die Salafisten nicht zu schade, iranische Touristen zu verschrecken. Als hätte, wie der ägyptische Tourismusminister verzweifelt mahnte, je ein Schiit seine Lehre in Badehose am Strand verbreitet.

Es gibt Millionen Beispiele für Toleranz und Koexistenz

Oft wird der Konflikt zwischen den islamischen Konfessionen mit jenem zwischen Katholiken und Protestanten verglichen, der vom Dreißigjährigen Krieg bis Nordirland auch immer wieder mit Gewalt ausgetragen wurde, bis die Europäer andere Methoden für erfolgreicher hielten.

Richtig daran ist, dass ein theologisches Schisma dem Konflikt zugrunde liegt, aber auch Machtfragen verhandelt wurden, soziale Aufstiegschancen, kulturelle Gewohnheiten, kurz: Rivalitäten zwischen Gemeinschaften, deren Identität durch Religion geprägt ist. Es gibt Millionen Beispiele der Toleranz und Koexistenz. Aber so, wie bestimmte Umstände die Kluft mildern können, lassen andere den Konflikt ausbrechen.

Der Streit der islamischen Ur-Gemeinde im 7. Jahrhundert über den Nachfolger des Propheten - die Schiiten favorisierten seinen Schwiegersohn und Cousin Ali, die Sunniten Abu Bakr, einen Freund Mohammeds - mündete in Schlachten, die neue Rituale, neue Legenden, weitere theologische Entfremdung mit sich brachten. Die Schiiten wurden dabei zu einer Art Fremdkörper in der arabischen Welt.

Die USA haben Irans schlimmste Feinde beseitigt

In Saudi-Arabien und Libanon gilt die Schia als Unterschichtenreligion, abstoßend in ihren rituellen Exzessen wie den Selbstgeißelungen zum Aschura-Fest, exotisch in ihren vergangenheitsseligen Heiligenfestspielen, ketzerisch in ihrem bilderfreudigen Märtyrerkult. Manche Sunniten glauben, Schiiten spuckten in ihr Essen. Andere sind überzeugt, dass Schiiten Schwänze hätten.

Nicht einmal Ayatollah Chomeini, der iranische Revolutionär, vermochte die sunnitischen Massen zu begeistern. Statt-dessen wurde die Schia zum Inbegriff für islamischen Fanatismus. Eine seltsame Entwicklung, schickte damals doch Saudi-Arabien schon Wahhabi-Prediger nach Zentralasien und Malaysia, um seinen Steinzeit-Islam zu verbreiten.

Aber es war Amerika, der Trampel im Nahen Osten, der die schlimmsten Feinde der schiitischen Führungsmacht Iran beseitigt hat - die Taliban in Afghanistan, und Saddam Hussein im Irak. Seitdem ringt Washington um die Eindämmung des iranischen Machtanspruchs. Dass Teheran nach der Atombombe greift, ist ein Albtraum für Israel, aber ebenso für die sunnitischen Herrscher am Golf, allen voran in Saudi-Arabien.

Syrien - der Kampf gegen das mit Iran verbündete Regime von Baschar al-Assad - ist ihre Chance, die Schiiten zu schlagen. Syrien könnte jener Auslöser sein, der nach einem kurzen schiitischen Frühling den Status quo ante wiederherstellt: sunnitische Hegemonie im Nahen Osten. Zumindest ziehen dafür die Sunniten in den Kampf.

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