Südkorea:Einfach aussitzen

A protester holds a flower in front of riot police who block protesters on a road near the presidential Blue House during the protesters' march calling South Korean President Park to step down in Seoul

In der Nähe des Blauen Hauses in Seoul, wo Südkoreas umstrittene Präsidentin residiert, hält ein Demonstrant der Polizei eine Blume entgegen.

(Foto: Kim Kyung-Hoon/Reuters)

Erst Zeugin, jetzt selbst Verdächtige: Südkoreas Präsidentin Park wird der Korruptionsskandal um ihre dubiose Vertraute immer gefährlicher. Sie versucht, auf Zeit zu spielen.

Von Christoph Neidhart, Tokio

Die südkoreanische Präsidentin Park Geun-hye ist jetzt eine Verdächtige. Zu diesem Schluss kommt die Staatsanwaltschaft Seoul, die gegen Parks Freundin Choi Soon-sil wegen Machtmissbrauchs, Erpressung und Korruption ermittelt. Die Anklagebehörde verdächtigt die 64-jährige Staatspräsidentin seit Neuestem der Komplizenschaft mit einem Trio, zum dem neben ihrer Vertrauten Choi auch Parks eigener politischer Sekretär Ahn Jong-beom und ihr Büroleiter Jeong Ho-seong gehören.

Die drei sitzen in Untersuchungshaft. Sie werden beschuldigt, mit aktiver Hilfe der Präsidentin den 52 Mitgliedsfirmen des koreanischen Industrieverbands in mindestens sieben Fällen Spenden in der Höhe von 77,4 Milliarden Won abgepresst zu haben, etwa 62 Millionen Euro. Das Geld war für einen von Choi geleiteten Sporthilfe-Fonds und andere scheinbar gemeinnützige Institutionen bestimmt. Doch es sei nie für gemeinnützige Zwecke vorgesehen gewesen, so Chef-Staatsanwalt Lee Young-ryul am Sonntag, sondern für Chois Privatgeschäfte. Park habe das genau gewusst. Sie habe die Bosse großer Konzerne privat zu sich bestellt und zur "Zusammenarbeit" mit Choi aufgefordert. Die Unternehmer hätten keine Wahl gehabt.

Einige koreanische Medien vergleichen die Methoden der Präsidentin mit Schutzgelderpressungen der Mafia. Andere fragen sich, ob die Konzerne aktiver beteiligt waren, als es nun erscheint. In einigen Fällen seien ihnen Gegenleistungen versprochen worden, etwa eine Strafuntersuchung einzustellen. Außerdem soll Park einige Konzerne gedrängt haben, ihre Werbeaufträge an Agenturen zu vergeben, die Choi kontrollierte. Die Tageszeitung Hankyoreh kommt gar zu dem Schluss, Park sei nicht die Komplizin des Trios, sondern die Haupttäterin. Allerdings kann die Anklage nicht gegen Park ermitteln, die Verfassung gewährt der Präsidentin Immunität. Die drei Oppositionsparteien haben deshalb am Montag formell beschlossen, Parks Amtsenthebung einzuleiten. Bisher wollten sie das vermeiden und Park zum Rücktritt bewegen.

Das Blaue Haus, der Amtssitz der Präsidentin, fand es "äußerst bedauerlich", dass Staatsanwalt Lee die Presse darüber informiert hatte, dass Park nun der Komplizenschaft verdächtigt werde. An "seinem Kartenhaus der Anschuldigungen" sei "nichts Wahres, es wird in sich zusammenbrechen". Park, die nur noch fünf Prozent der Koreaner hinter sich weiß, ist entschlossen, den Skandal auszusitzen, ihre Amtszeit dauert nur noch 15 Monate. Sie werde, so das Blaue Haus weiter, nicht mehr mit der Staatsanwaltschaft Seoul reden, sondern nur noch mit einem Sonderstaatsanwalt, den das Parlament als Leiter einer Untersuchung zur Amtsenthebung erst bestimmen muss. Park ließ auch wissen, sie werde Südkorea beim Dreiergipfel mit China und Japan Ende Dezember vertreten. Demnach denkt sie nicht an Rücktritt.

Das Land steckt wirtschaftlich und politisch in der Krise. Nordkorea könnte das ausnutzen

Ein Amtsenthebungsverfahren ist langwierig, sein Ausgang unklar. Die Absetzung der Präsidentin muss nicht nur vom Parlament, sondern auch vom Obersten Gericht bejaht werden. Seine Mechanismen sind nicht alle genau definiert. Zwar waren bisher alle Präsidenten Südkoreas seit der Demokratisierung 1987 korrupt, aber sie wurden erst nach dem Ende ihrer Amtszeit strafverfolgt. Einen Präsidenten hat Südkorea noch nie abgesetzt.

Die Summen, um die es beim "Choi-gate" geht, wie die Südkoreaner den Skandal nennen, beeindrucken die Menschen in Seoul kaum - frühere Präsidenten haben sich mit ganz anderen Beträgen bestechen lassen oder sie veruntreut. Schockiert sind die Menschen ob der Irrationalität ihrer Präsidentin, die "sauber" sein wollte, ihrer schamanischen Sektenpredigerin Choi aber offenbar so hörig war, dass sie sich für sie zu Verbrechen habe hinreißen lassen. Und das noch immer nicht einsehe. Medienberichten zufolge hat Park in ihrer Entschuldigungsansprache gelogen, in der sie Chois Einfluss herunterspielte. Die Schamanin mischte sich in zahlreiche politische Entscheidungen ein.

Die Wirtschaft Südkoreas steckt in einer Krise, die Lage Nordostasiens ist fragil. Der junge Diktator in Nordkorea könnte versuchen, Seouls politische Lähmung auszunützen. Südkorea braucht dringend eine Regierung, die entschieden handeln kann. Während eines Amtsenthebungsverfahren, das sechs Monate oder länger dauern würde, kann es eine solche nicht geben.

Südkorea hat keinen Vizepräsidenten, der an Parks Stelle treten würde. Gemäß Verfassung übernimmt der Premier die Pflichten der Präsidentin, wenn diese nicht mehr in der Lage ist, ihr Amt auszuüben. Seine zentrale Aufgabe ist es, binnen 60 Tagen Neuwahlen abzuhalten. Aber Südkorea hat derzeit auch keinen Premier. Anfang November hat Park ihren Regierungschef als Sündenbock für Choi-gate abgesetzt, sein Nachfolger ist noch nicht bestätigt. Parlament und Präsidentin können sich nicht einigen. Manche Politiker fordern deshalb, bevor Parks Amtsenthebung eingeleitet werde, müsse Südkorea einen Premier haben. Doch dazu braucht es die Kooperation der Präsidentin. Und die scheint nur noch auf Zeit zu spielen.

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