Südkorea:Alles auf Anfang

Die junge südkoreanische Demokratie steht vor einer entscheidenden Wendung zum Besseren: Die Justiz zerschneidet die Bande der Korruption zwischen der Politik und den mächtigen Familienkonzernen. Die alte Elite, die noch aus der Zeit der Diktatur Park Chung-hees stammt, geht unter.

Von Christoph Neidhart

Die Verhaftung von Samsungs Kronprinz Lee Jae-yong ist ein Meilenstein in der Geschichte der jungen südkoreanischen Demokratie. Die Bande der Korruption zwischen der Politik und den Spitzen der Chaebol - jener Familienkonzerne, die Südkoreas Wirtschaft bisher dominieren - werden von der Justiz freigelegt und hoffentlich gekappt. Die Kungelei geht auf Park Chung-hee zurück, den Vater der heutigen Präsidentin, der Korea zwischen 1960 und 1979 als Diktator regierte. In seiner gelenkten Wirtschaft lieferten ihm die Chaebol Wachstum. Dafür setzte er den Wettbewerb für sie aus und meist auch Gesetze und Menschenrechte.

Samsung ist korrupt, das hat ein Gericht bereits 2010 festgestellt. Es verurteilte Konzernchef Lee Kun-hee zu drei Jahren Haft auf Bewährung. Lee hatte Einnahmen unterschlagen, Steuern hinterzogen und schwarze Kassen geführt, um Politiker, Staatsanwälte und Richter zu bestechen. Doch der Vater des jetzt verhafteten Lee ignorierte sein Urteil. Er zählte auf den damaligen Präsidenten Lee Myung-bak, der ihn begnadigte.

Der alte Lee war nicht der einzige: Auch Hyundai-Chef Chung Mong-koo wurde verurteilt und begnadigt. Darauf kann Lee Jae-yong, der Samsung als Vize führt, seit sein Vater im Koma liegt, nicht mehr hoffen. Seine Partnerin in dem korrupten Geschäft, für das er in Untersuchungshaft sitzt, ist zwar die derzeitige Präsidentin Park Geun-hye. Aber sie ist vom Amt suspendiert. Der junge Lee hatte noch versucht, sie zu decken. Implizit ist seine Verhaftung auch die ihre.

Park, die vom Parlament im Dezember wegen Korruption, Machtmissbrauch und Vernachlässigung ihrer Pflichten suspendiert wurde, beteuert weiterhin ihre Unschuld. Ihre Anwälte setzen alle juristischen Finten ein, damit die Gesetze für sie keine Geltung erlangen. Dem Sonderstaatsanwalt, der den Korruptionsskandal um sie und ihre Freundin Choi Soon-sil aufklären soll, hat sie mit Ausreden jedes Verhör und auch eine Hausdurchsuchung verweigert. Doch Lees Verhaftung schränkt den Spielraum des Verfassungsgerichts weiter ein, das ihre Amtsenthebung bestätigen muss.

In ihrer Antrittsrede 2013 versprach Park, die Wirtschaft zu "demokratisieren". Die Chaebol sollten ihre Übermacht abgeben. Park argumentierte, da sie selber keine Kinder habe, sich also nicht bereichern wolle, könne sie nicht korrupt sein. Mit ihrem kaum mehr abwendbaren Sturz scheint sich ihr Versprechen auf paradoxe Weise zu erfüllen. Das Band zwischen dem Präsidentensitz und dem mächtigsten Chaebol ist gerissen. Künftig werden sich beide Seiten eher an die Gesetze halten müssen. Zumal die Politik darüber diskutiert, die Macht des Präsidenten einzuschränken und die von Parlament und Regierung auszuweiten.

In den 1980er-Jahren kämpften die Südkoreaner jahrelang auf der Straße für die Demokratie, bis die Diktatur 1987 zusammenbrach. Vergangenen Herbst gingen die Bürger wieder auf die Straße, an einigen Samstagen mehr als drei Millionen, um die Absetzung der Präsidentin und die Aufklärung der Korruption zu erzwingen. 1987 verwandelten sich die Eliten der Diktatur in aller Eile in Demokraten. Sie formierten sich zu Parks Partei. Mit einer Unterbrechung hat sich diese Partei bis heute die Macht erhalten. Jetzt geht die alte Elite mit Park unter. Der einzige Politiker, der sie noch hätte retten können, Ex-UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon, gab nach drei Wochen Vorwahlkampf entnervt auf. Er sah keine Chance mehr. Südkorea steht vor einem demokratischeren Neuanfang.

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