Suche nach einem Atom-Endlager:Das Prinzip Gorleben

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Kanzlerin Merkel und ihr Umweltminister Röttgen steuern in eine Sackgasse: Gorleben kann man nicht dauerhaft durch den Einsatz Tausender Polizisten verteidigen. Ein Endlager dort wird am Protest oder den Gerichten scheitern.

Michael Bauchmüller

Im Wendland kehrt nun wieder Ruhe ein. Demonstranten lösen ihre Camps auf, die Landwirte widmen sich wieder ihren Äckern. Tief unten im Salzstock kehren Bergleute derweil an ihre Arbeit zurück. Nach zehn Jahren Pause treiben sie wieder Bohrungen ins Salz und bereiten neue Stollen vor.

Gesellschaftliche Akzeptanz für Großprojekte lässt sich nicht erkaufen: Erkundung im Salzstock Gorleben. (Archivbild aus dem Jahr 2003) (Foto: dpa)

Sie verrichten unermüdlich ein Werk, das sie wohl kaum werden vollenden können. Wenn das Endlager-Projekt Gorleben überhaupt eine Zukunft hat, dann als Mahnmal für ein kollektives Politikversagen. Ein Ort, an dem die Bundesrepublik sich "entsorgen", sich das Mehrgenerationen-Problem Atommüll guten Gewissens vom Halse schaffen kann, wird Gorleben wohl kaum mehr.

Seit 30 Jahren hat sich keine Regierung um die Lösung des Problems verdient gemacht. Bundeskanzler Helmut Schmidt hatte zwar Vorbehalte gegen Gorleben, willigte aber doch ein: Die niedersächsische Landesregierung ließ ihm keine Wahl, und er verlangte auch keine.

Die Regierung von Helmut Kohl trieb die Erkundung voran und machte Pläne und Vorgaben so lang passend, bis nichts mehr dem Projekt entgegenstand. Erst die rot-grüne Koalition unter dem Niedersachsen Gerhard Schröder äußerte Zweifel am Salzstock. Doch ließ sie sich so viel Zeit für Studien und Expertisen, dass sie für die Schlüsse daraus keine mehr hatte.

Und Kanzlerin Angela Merkel? Deren große Koalition trat auf der Stelle - und ihre schwarz-gelbe Koalition macht da weiter, wo jene von Helmut Kohl aufhörte. Sie treibt das Endlager-Projekt Gorleben gegen alle Widerstände weiter und feiert das noch als mutigen Kampf im Interesse künftiger Generationen. In Wirklichkeit steuert sie unverdrossen in die Sackgasse.

Die Entsorgung von Atommüll ist ein undankbares, schmutziges Geschäft. Keine Wahl lässt sich damit gewinnen, das Problem endgültig lösen zu wollen. Wohl aber kann die Suche nach dem richtigen Standort, die Suche überall in der Republik, wertvolle Stimmen kosten. Gorleben war deshalb immer die bequeme Lösung für ein unbequemes Problem. Wenig besiedelt, nahe der einstigen DDR-Grenze, strukturschwach. Und dann noch ein Salzstock untendrunter. Wer wollte da nicht zugreifen?

Diese Art Pragmatismus prägt seit Jahrzehnten den Umgang des Bundes mit Atommüll. Als die Zwischenlager für Forschungsmüll an ihre Grenzen gelangten, musste rasch das Atommülllager Asse her; Forscher erklärten den Salzstock für zuverlässig auf Jahrhunderte hinaus. Später sickerte Wasser ein, der Salzstock Asse wurde zum Problem. Als sich der Müll irgendwann wieder türmte, machte eine Umweltministerin namens Angela Merkel den Weg ins marode DDR-Atommülllager Morsleben frei - bis Gerichte den Klagen von Umweltschützern stattgaben. Heute wird Morsleben mit Milliardenaufwand verschlossen. Entsorgung? Beim Atommüll galt in diesem Land stets als entsorgt, was nirgends mehr störte.

Protest gegen Castor-Transport
:Meckern gegen den Atommüll

Eine Ziegen- und Schafsherde, ein umgebauter Brauerei-Lkw und eine Blockade-Pyramide: Die Anti-Atom-Aktivisten haben sich bei ihren Protesten viel einfallen lassen. Genutzt hat es wenig: Der Atommüll ist nun im Zwischenlager Gorleben eingetroffen.

Bildern.

Dieser Logik folgt auch der Umgang mit dem riskantesten deutschen Atommüll, den hochradioaktiven Abfällen aus deutschen Kernkraftwerken. Anstatt erst Kriterien für ein Endlager festzulegen und dann eines zu suchen, verfuhren die Freunde Gorlebens stets andersherum. Erst legten sie den Ort fest, dann die Regeln. Erst vergruben sie Milliarden, irgendwann später wollen sie Einwände und Umweltwirkungen prüfen. Für ein Bauvorhaben ein eher unübliches Verfahren, aber in diesem Fall geht es wohl um eine höhere Sache: Der Müll muss weg.

An dieses Prinzip knüpft die jetzige Bundesregierung nahtlos an. Für die weiteren Arbeiten unter Tage greift sie auf ein altes, längst novelliertes Bergrecht zurück und spart sich so die Beteiligung der Öffentlichkeit; an der wichtigen vorläufigen Sicherheitsanalyse dürfen Experten mitwirken, die sich seit Jahren für Gorleben verkämpfen; Mahner auch innerhalb des Regierungsapparates werden ausgebootet. Nur begreift anscheinend auch Bundesumweltminister Norbert Röttgen die Paradoxie seines Handelns nicht. Je eiliger er die Erkundung Gorlebens durchzieht, desto berechtigter werden die Vorbehalte dagegen. Röttgen will den Fortschritt und vereitelt ihn zugleich.

Atommüll ist ein Problem für Generationen. Im konkreten Fall heißt das: Die nächste Generation wird sich damit beschäftigen dürfen, dass die vorvorletzte die Atomenergie wollte und die vorletzte auf ein Endlager setzte, das mit hoher Wahrscheinlichkeit entweder am öffentlichen Widerstand oder an Gerichten scheitern wird.

Das Projekt Gorleben wird sich nicht dauerhaft durch den Einsatz Tausender Polizisten verteidigen lassen. Es lässt sich auch nicht dadurch legitimieren, dass Staat und Atomwirtschaft bald noch ein paar hundert Millionen Euro dort investieren werden. Gesellschaftliche Akzeptanz für Großprojekte lässt sich nicht erkaufen. Sie lässt sich nur erwerben durch volle Information und Beteiligung. Die Währung ist Vertrauen.

Kein Zweifel, die Bundesrepublik muss ihr Atomproblem im eigenen Land lösen. Und wo immer ein Endlager entstehen soll, wird es auf Widerstände treffen. Aber überzeugen können dann nur geologische, fachliche Argumente und ein ordentliches Verfahren - nicht Sachzwänge und Opportunitäten.

Das Prinzip Gorleben wird nicht mehr funktionieren.

© SZ vom 10.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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