Stuttgart 21:Polizei: Alle Gewalt ging vom Volk aus

Wasserwerfer? Waren nur zur Verteidigung vor Ort. Pfefferspray? Die Demonstranten nutzten es zuerst: Die Stuttgarter Polizei wehrt sich gegen den Vorwurf der Stuttgart-21-Gegner, sie habe den Konflikt eskalieren lassen. Schuld seien die Demonstranten selbst. Doch Ministerpräsident Mappus kündigt "neue Signale" an.

Michael König

Sie sitzen aufgereiht vor einer weißen Wand, weiß wie die Unschuld, und genau die wollen sie jetzt beweisen. "Die Ereignisse vom Donnerstag hat niemand erwartet und erst recht niemand gewollt", sagt Wolf Hammann, der Landespolizeipräsident von Baden-Württemberg. "Es gab einen schwierigen Einsatz mit Verletzten, das hat auch die Polizisten erschüttert. Kein Polizist wendet gerne Gewalt an."

Hammanns Statement ist der Auftakt zu einer 40-minütigen Pressekonferenz der Polizei Baden-Württemberg, bei der klargestellt werden soll, wie es am vorigen Donnerstag dazu kam, dass der Konflikt um den milliardenschweren Bahnhofsumbau Stuttgart 21 eskalierte. Von einer "Objektivierung im Sinne der Bürger und der Polizei" spricht Hammann. Was folgt, könnte allerdings auch als Schuldzuweisung verstanden werden: Die haben angefangen, nicht wir, das ist die Botschaft, die die Polizei an diesem Vormittag sendet.

Allen voran Siegfried Stumpf, der Stuttgarter Polizeipräsident, gegen den am Montag eine Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft eingegangen ist. Der Vorwurf lautet: Körperverletzung im Amt. Der von Stumpf angeordnete Einsatz von Wasserwerfern und Pfefferspray sei "unzulässig" gewesen und habe die Gesundheit der Demonstranten teilweise stark gefährdet, heißt es. So, wie es Stumpf auf der Pressekonferenz darstellt, kann davon keine Rede sein.

"Es tut uns leid, dass das so gelaufen ist", sagt der Polizeipräsident zwar. Die Polizei wolle alles dafür tun, "dass dies ein einmaliges Ereignis bleibt." Im Anschluss macht er aber klar, dass er nicht anders konnte - dass die Eskalation wegen des Verhaltens der Demonstranten unausweichlich war.

Die "Freihaltung des Arbeitsfeldes für Baumfällarbeiten" sei der Auftrag der Polizei gewesen, betont Stumpf. Es habe eine "Gitterlinie" aufgebaut werden sollen rings um die Baustelle. "Innerhalb befindliche Personen" habe die Polizei wegtragen wollen. "Die Wasserwerfer waren nicht vorgesehen, um das Baufeld freizubekommen", sagt Stumpf. Sie seien zur Verteidigung der Absperrung vor Ort gewesen, für eine Situation, "wo Druck auf die Gitterlinie erzeugt wird, zum Halten der Linie bei Gewalttätigkeiten, zum Schutz der eigenen Kräfte".

Soweit der Plan, doch der Polizeipräsident räumt ein: "Die Dinge kamen anders." Die Polizei sei "von vorneherein behindert worden", der Konvoi mit den Transport-Lkw, Wasserwerfern und Baufahrzeugen sei frühzeitig gestoppt worden. "Jugendliche, aber auch Erwachsene" hätten die Lkw mit den Gittern gestürmt, immer mehr Menschen seien in das Einsatzgebiet geströmt. "Etwa um zwölf Uhr stellte sich die Frage, ob man unmittelbaren Zwang einsetzen muss. Ich habe dem zugestimmt", sagt Stumpf.

Wie "unmittelbarer Zwang" aussehen kann, bekamen 130 Demonstranten zu spüren, die von Pfefferspray und Wasserwerfern verletzt wurden. Die Stuttgart-21-Gegner sprechen gar von mindestens 400 Verletzten. Stumpf betont jedoch, die Polizei habe "Maßnahmen" in mehreren Stufen eingesetzt - ganz nach Plan.

Die Wasserwerfer? "Es gibt Wasserregen, dabei wird nur über die Demonstranten hinweg gespritzt, um sie nass zu machen. Ferner gibt es die Wassersperre, um Demonstranten am Weitergehen zu hindern. Und im Extremfall gibt es den Wasserstoß, dabei wird beispielsweise auf die Beine von Demonstranten gespritzt", erläutert der Polizeipräsident. Der Stoß sei jedoch "in aller Regel die Ausnahme".

Das Pfefferspray? Stumpf weist hier jede Schuld von sich. "Zu mir kam eine Durchsage, wonach die Demonstranten Pfefferspray einsetzten", sagt er. Dann habe sich die Frage gestellt, ob auch die Polizei dieses Mittel einsetzen dürfe. "Ich habe gesagt: generell ja, aber es kommt auf die Situation an", berichtet Stumpf.

Weitere Angaben macht er nicht, sondern fährt fort: "So haben sich die Dinge entwickelt. Es hat nahezu fünf Stunden gedauert, bis die polizeiliche Absperrung stand."

Bei Dieter Schneider, der Uniform trägt und neben Stumpf sitzt, hatte sich das zuvor noch etwas anders angehört. Der Inspekteur der Polizei hatte gesagt: "Massiver Widerstand hat dazu geführt, dass Wasserwerfer, Pfefferspray und vereinzelt auch Schlagstöcke eingesetzt wurden. Wir hätten gerne darauf verzichtet."

Von Schlagstöcken ist bei Stumpf anschließend keine Rede. Stattdessen verweist der unter Druck geratene Polizeipräsident auf Videoaufnahmen, die von einem Beamer an die weiße Wand geworfen werden.

Auf der nächsten Seite: Aufnahmen der Polizei sollen belegen, dass Demonstranten Feuerwerkskörper und andere Gegenstände in Richtung der Polizisten warfen. Ministerpräsident Stefan Mappus kündigt "neue Signale" an, FDP-Chef Guido Westerwelle stellt sich gegen die Stuttgart-21-Gegner.

Kritik von Westerwelle

Es handelt sich um polizeiliche Aufnahmen, gefilmt zum Teil aus dem Inneren des Wasserwerfers, zum Teil von Polizisten mit tragbaren Kameras. Es seien ausgewählte Szenen, räumt Polizei-Inspekteur Schneider ein, aber sie würden helfen, zu verstehen, dass die Gewalt nicht von der Polizei ausgegangen sei.

Stuttgart 21 - Proteste

Die Stuttgarter Polizei verteidigt den Einsatz von Wasserwerfern, Schlagstöcken und Pfefferspray gegen Gegner des Bahnprojekts Stuttgart 21. Der Innenausschuss des Landtags von Baden-Württemberg berät heute über das umstrittene Vorgehen der Ordnungskräfte.

(Foto: dpa)

Es sind aneinandergereihte Szenen, zum Teil wenige Sekunden kurz: Demonstranten, die den Gitterwagen besteigen, Schnitt. Ein Demonstrant, der sich unter einen Wasserwerfer legt und von Polizisten weggetragen wird, Schnitt. Tumultartige Szenen, Gerangel mit Polizisten, Schnitt. Beleidigungen, Schubsereien der Aktivisten, Schnitt.

Von wem die Gewalt ausgeht, ist auf vielen Bildern nicht zu erkennen. Schneider präsentiert allerdings auch Aufzeichnungen, auf denen zu sehen ist, wie Gegenstände in Richtung der Wasserwerfer geworfen wurden und wie bengalische Feuer gezündet und in die Polizeimenge geschleudert werden.

Dem Vorwurf der Stuttgart-21-Gegner, die Polizei habe Kinder und Frauen brutal behandelt, begegnet Schneider mit einer gesonderten Aufzeichnung: Darauf ist zu sehen, wie ein Wasserwerfer über eine Frau und mehrere Kinder hinweg spritzt, ohne sie zu treffen, während Polizisten versuchen, die Demonstranten wegzutragen.

Ob sich die Gegner von diesen Bildern jedoch überzeugen lassen, ist mehr als fraglich. Der Protest gegen den Bahnhofsumbau hatte am Montag erneut zahlreiche Menschen auf die Straße gelockt, laut den Veranstaltern demonstrierten am Abend 55.000 Stuttgarter in der Innenstadt.

Die Landesregierung reagierte mit einer Ankündigung: Ministerpräsident Stefan Mappus und Umwelt- und Verkehrsministerin Tanja Gönner (beide CDU) erklärten, bis zur Landtagswahl im März sollten keine weiteren Abrissarbeiten stattfinden.

Auf einer Pressekonferenz am Dienstagmittag betont Mappus, dies sei "ein gutes Signal" an die Gegner des Umbaus. Man befinde sich "in einem Stadium, wo es nicht mehr so sehr um den Bahnhof geht, sondern darum, die Lage zu befrieden und Gesprächsbereitschaft wiederherzustellen".

Der Ministerpräsident kündigt ferner an, er werde in seiner Regierungserklärung am Mittwoch "noch einige Signale mehr" senden, die dafür sorgen werden, "dass solche Bilder wie am Donnerstag gar nicht mehr entstehen werden".

Im Hinblick auf den umstrittenen Polizeieinsatz sagt Mappus, ihm lägen "keine Erkenntnisse" vor, die für unverhältnismäßig harte Maßnahmen sprechen würden. Eine Entschuldigung lehnt er deshalb ab: "Entschuldigen muss man sich, wenn man einen Fehler gemacht hat. Bis dato gibt es aber keinen Hinweis darauf, dass es bei der Vorgehensweise der Polizei Fehler gab."

Es sei jedoch "klar", dass "jeder bei der Polizei und in der Politik ein Bedauern hat, wenn Menschen zu Schaden gekommen sind, die friedlich und mit guter Absicht demonstriert haben." Das Bedauern gelte auch für "verletzte Polizisten", sagt der Ministerpräsident. "Niemand will, dass Menschen zu Schaden kommen."

In der Vergangenheit hatte sich Mappus den Stuttgart-21-Gegnern gegenüber unversöhnlich gezeigt. Dass er nun die Annäherung sucht, reicht den Aktivisten bislang nicht. Sie fordern einen sofortigen und vollständigen Baustopp sowie eine Volksabstimmung über den Bau. Beides lehnt die Regierung bislang allerdings ab - weshalb die Gegner zu härteren Bandagen greifen und den Landtag mit Hilfe eines Volksbegehrens vorzeitig auflösen wollen.

Unterdessen haben sich SPD, Grüne und FDP dafür ausgesprochen, einen Streitschlichter einzusetzen, um den Konflikt zu entschärfen. Die Grünen brachten CDU-Veteran Heiner Geißler ins Gespräch, der zu dem Angebot bislang nicht Stellung bezog.

FDP-Chef Guido Westerwelle hatte am Montag hingegen den früheren Bundespräsidentschaftskandidaten Joachim Gauck ins Spiel gebracht, der jedoch umgehend ablehnte.

Am Dienstag übte Westerwelle erneut scharfe Kritik an den Stuttgart-21-Gegnern: "Auch wenn mehrere zehntausend Menschen auf die Straße gehen, ist nicht gesagt, dass das auch die Mehrheit der Bevölkerung ist", sagte er im Hessischen Rundfunk. "Es ist wichtig, dass Deutschland keine Rien-ne-va-plus-Republik wird, in der nichts mehr geht. Ein Land, in dem keine Hochspannungsleitungen, Straßen, Flughäfen oder Bahnhöfe mehr gebaut werden, verliert seinen Wohlstand."

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