Stuttgart 21: Erster Schlichtungstag:Der Schlichter und die Prediger

Heiner Geißler will am ersten Tag der Schlichtung von Stuttgart-21-Gegnern und -Befürwortern keine "Predigten" und "historische Seminare" hören. Die Teilnehmer halten sich nur bedingt daran. Zumindest in der Frage des Güterverkehrs gibt es Aufklärung - ein bisschen.

Michael König

Die Tafelrunde hatte kaum Platz genommen, da gab es im Streit um Stuttgart 21 eine Neuerung: Stefan Mappus hatte Spaß. Der CDU-Ministerpräsident lachte herzlich, weil er vergessen worden war. Vermittler Heiner Geißler hatte mehrfach betont, sich bei der Vorstellung der Teilnehmer streng an das Alphabet zu halten. Landesvater Mappus ließ er aus, was Geißler später "blitzartig" auffiel - und was die Stimmung in der Runde deutlich anhob.

Ernster wurde es nach Geißlers Ermahnung, er wolle "keine Predigten, keine Glaubensbekenntnisse und auch kein historisches Seminar" hören. Weder Kritiker noch Befürworter sollten ständig darauf verweisen, was in der Vergangenheit von der Gegenseite gesagt worden sei. "Wenn wir uns darauf einlassen, ist die Schlichtung zum Scheitern verurteilt."

Appell an das Publikum

An die Zuschauer, die das erste Schlichtungsgespräch im Stuttgarter Rathaus im Fernsehen oder im Internet-Livestream verfolgen konnten, appellierte Geißler: "Sie sollten nicht denjenigen, dessen Meinung Sie sind, für den einzigen Intelligenten halten. Öffnen Sie sich für neue Argumente."

Allein: Es kamen zunächst keine Argumente. In zwei 45-minütigen Vorträgen wurden beinahe ausschließlich jene Argumente wiederholt, Kritiker würden sagen: gebetsmühlenartig, die ohnehin seit Wochen im Umlauf sind. Mit dem Unterschied, dass sie mit Powerpoint-Folien hinterlegt wurden. Auch einige Rückgriffe auf die Historie waren vertreten. Und besonders die Stuttgart-21-Gegner arbeiteten sich lange daran ab, Zitate der Pro-Seite zu zitieren und zu widerlegen.

Kefer betonte in seinem Vortrag den Nutzen, den das Projekt Stuttgart 21 für die Umwelt haben könnte: mehr Grünflächen in der Stadt, weniger Verkehr auf der Straße, mehr Konkurrenz für den Flugverkehr. Der Bahn-Vorständler räumte ein, das Projekt sei nicht ausreichend kommuniziert und erklärt worden.

"30 Jahre Wartezeit"

Eine Umkehr sei jedoch nicht möglich: "Jetzt stoppen und neu aufsetzen würde 30 Jahre weitere Wartezeit bedeuten." Er verwies auf andere Großprojekte, beispielsweise am Berliner Ostkreuz: "Solche Projekte dauern nun einmal lange, und wenn man jedes Mal anschließend einen Neustart machen müsste, könnten sie alle nicht realisiert werden", sagte Kefer. Angesichts der Anforderungen an den Verkehr rund um Stuttgart sei der Bahnhofsumbau die einzige Möglichkeit.

Die Gegner, darunter der grüne Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer, SÖS-Stadtrat Hannes Rockenbauch und Klaus Arnoldi vom Verkehrsclub Deutschland, blieben davon erwartungsgemäß unbeeindruckt. Für sie trat zunächst Palmer ans Mikrofon. Er übergab später das Wort an Gangolf Stocker von der Initiative "Leben in Stuttgart - kein Stuttgart 21". Auf Seiten der Befürworter waren neben Mappus und Kefer auch Verkehrs- und Umweltministerin Tanja Gönner, Johannes Bräuchle von der Initiative "Pro Stuttgart 21" sowie Stuttgarts Oberbürgermeister Wolfgang Schuster vertreten.

Anders als Bahn-Vorstand Kefer bemühte sich Palmer nicht darum, den Eindruck eines freundschaftlichen Dialogs herzustellen, und lederte direkt los: "Wenn man die Prämissen so setzt, wie Sie das getan haben, kann nur diese Planung dabei herauskommen", kritisierte Palmer. Auch das Argument der langen Wartezeit ziehe nicht: "Wenn die Bahn in München keinen Transrapid will, kann sie in viereinhalb Jahren ein Alternativprojekt anbieten."

"Bahnhof interessiert Europa nicht"

Anschließend sezierte Palmer verschiedene Aussagen der Pro-Seite, darunter von Bundeskanzlerin Angela Merkel sowie Ministerpräsident Mappus, und versuchte sie zu widerlegen. Stuttgart 21 sei nicht wirtschaftlich und auch für die Umwelt nicht hilfreich: "Durch Ihr Projekt bringen Sie 1,3 Prozent Verkehrskilometer vom Auto auf die Schiene. Davon kann die Zukunft des Landes nicht abhängen", sagte Palmer. Anders als von Merkel behauptet, sei Stuttgart 21 kein wichtiges Verkehrsprojekt für Europa: "Die EU beteiligt sich nur am Neubau der Strecke Stuttgart-Ulm. Der Bahnhof interessiert Europa nicht." Auch bringe das Projekt dem Güterverkehr keinen Nutzen.

Geißler nahm die Vorträge beider Seiten ungerührt zur Kenntnis und wollte anschließend zum Dialog übergehen - was sich schwierig gestaltete. Ob das Projekt tatsächlich unwirtschaftlich sei, wie von den Gegnern behauptet, wollte er von der Befürworterseite wissen. Verkehrsministerin Gönner vertröstete ihn: Um das zu erklären, brauche es weitere Unterlagen, die in der Mittagspause angefordert werden müssten.

Der Vermittler zeigte dafür Verständnis, ließ aber nicht locker: Ob der Güterverkehr tatsächlich keinen Nutzen habe, fragte er als Nächstes. Darauf konnte Bahn-Vorstand Kefer antworten - allerdings nie so, dass es die Gegnerseite überzeugt hätte. Die Wortbeiträge von beiden Seiten ließen Vermittler Geißler in der Mitte aussehen wie ein Schiedsrichter bei einem Tennis-Match: Er bewegte fortwährend den Kopf von links nach rechts.

Die hauptsächliche Erkenntnis

Sechs weitere Matches sind angesetzt, in allen soll es um Detailfragen gehen. "Die Fakten müssen auf den Tisch", hatte Geißler gefordert. Dass Fakten allerdings nicht eindeutig sein müssen, ist womöglich die hauptsächliche Erkenntnis der ersten Schlichtungsrunde.

Nach etwa 35 Minuten Güterverkehrsdiskussion schaltete sich Geißler ein und sagte, er müsse sich auch in die Rolle der Zuschauer versetzen, die mit all den Details womöglich nichts anfangen könnten. "Also frage ich Sie: Die neue Strecke ist also nicht für alle Güterzüge geeignet?"

Bahnvorstand Kefer sagte anschließend nur: "Ja." Viele Gegner nickten zufrieden, Palmer lächelte. Ministerpräsident Mappus nicht. Seine Umwelt- und Verkehrsministerin griff zum Mikrofon und fügte schnell hinzu: "Das war aber auch nie die Prämisse des Projekts."

Und die Diskussion ging weiter.

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