Stuttgart 21: Ergebnis der Schlichtung:Ein Mann, ein Schlusswort

Heiner Geißler verkündet seinen Schiedsspruch, es ist ein "Ja, aber..."-Urteil: Stuttgart 21 darf gebaut werden - jedoch nur, wenn umfangreiche Nachbesserungen erfolgt sind. Sieger gibt es in diesem Sinne keine. Aber auch keine Verlierer.

Sebastian Beck

Vor dem Schlichterspruch hielt Heiner Geißler erst einmal eine lange Vorrede. Er lobte die Projektgegner, tadelte ein wenig die Bahn. Danach streifte er kurz Immanuel Kant und die Schlichtung als Musterbeispiel für moderne Aufklärung. Dann sah es kurz so aus, als würde Geißler sich am liebsten selbst gratulieren für seine Altersweisheit und die gelungene Moderation in den vergangenen Wochen. Irgendwie schaffte er es aber, diese Passage zu vermeiden.

CDU-Veteran Heiner Geißler

Er hat es sich nicht leicht gemacht, pendelte noch bis zum Schluss zwischen Gegnern und Befürwortern des umstrittenen Bahnprojekts: Schlichter Heiner Geißler.

(Foto: Reuters)

Schließlich näherte er sich - nach einem Plädoyer für direkte Demokratie - dem eigentlichen Schlichterspruch. Der lässt sich in einem Satz zusammenfassen: Trotz aller Bedenken hält er die Entscheidung, Stuttgart 21 fortzuführen, für richtig.

Das klang zunächst nach einer Niederlage für die Gegner des Projekts, war es aber nicht. Im Gegenteil: Geißler verband sein prinzipielles Ja zu Stuttgart 21 und dem Neubau der ICE-Strecke nach Ulm mit einer Reihe von Einschränkungen und Auflagen. Diese werden gravierende Folgen für das Projekt haben. Es könnte noch teuerer werden und sich um Jahre verzögern.

Die Vorbehalte gelten vor allem der Leistungsfähigkeit des Tunnelbahnhofs. Er ist das Herzstück des gesamten Projekts. Der Bahn gelang es in der Schlichtung aber nicht, die Zweifel an seiner Leistungsfähigkeit auszuräumen. Nun soll Stuttgart 21 in einer Computersimulation einem Stresstest unterzogen werden, den die Schweizer Firma SMA vornehmen soll.

Die Frage lautet: Kann der neue Bahnhof einen Verkehrszuwachs von 30 Prozent bewältigen? Falls nicht, könnte es für die Bahn richtig teuer werden: Geißlers Vorschläge zur Beseitigung des Engpasses reichen von zwei weiteren Gleisen im Tiefbahnhof bis hin zur zweigleisigen Anbindung des Flughafens an die Neubaustrecke und zusätzlichen Signalanlagen.

Aber nicht nur das: Der Brandschutz muss verbessert werden, außerdem soll der Bahnhof für Behinderte barrierefrei ausgebaut werden. Die Gäubahn, die eigentlich stillgelegt werden sollte, wird nun doch erhalten bleiben und in das System der Neubaustrecken eingebunden.

Der Erfolg der Parkschützer

Die Parkschützer haben ebenfalls einen Erfolg errungen: Das Fällen von Bäumen habe zu unterbleiben, beschied Geißler im Einvernehmen mit den Konfliktparteien. Statt dessen werden die teilweise Jahrhunderte alten Bäume nun verpflanzt. Wie dies geschehen soll, das sagte Geißler allerdings nicht.

Großen Raum nahm auch die künftige Bebauung des heutigen Gleisareals ein. "Die durch den Gleisabbau frei werdenden Grundstücke werden der Grundstücksspekulation entzogen und daher in einer Stiftung überführt", heißt es im Schlichterspruch.

Diese Lösung hatte sich bereits am Vormittag abgezeichnet. Nach den Plänen der Bahn sollen die Gleise ganz aus dem Stuttgarter Talkessel verschwinden. Auf diese Weise entstünde zwischen dem Bahnhofsturm mit dem Mercedes-Stern und dem Naturkundemuseum Schloss Rosenstein ein kilometerlanger Grünzug.

Außerdem würden große Flächen zur Bebauung frei. Nach Ansicht des Düsseldorfer Bahnhofsarchitekten Christoph Ingenhoven entsteht hier nach 2020 eine der besten Wohnlagen Baden-Württembergs - aber zugleich auch eine der teuersten. Die Gewinne aus den Immobiliengeschäften sind zur Finanzierung des Projekts eingeplant.

Bei den Gegnern von Stuttgart 21 weckte genau dies Befürchtungen: Eine investorenfreundliche Bebauung stehe im Gegensatz zur Stadtentwicklung. Diese Bedenken schienen auch bei den Befürwortern von Stuttgart 21 Eindruck zu hinterlassen.

In der Frage hatten sie vor dem Schlichtungsspruch Bereitschaft zum Entgegenkommen gezeigt. Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus sagte, die Chancen, die die geplante unterirdische Verlegung des Hauptbahnhofs durch die frei werdenden Flächen im bisherigen Gleisbett biete, seien nur mit den Chancen Berlins nach dem Fall der Mauer vergleichbar.

Zugleich aber machte er Einschränkungen: Keinesfalls wolle man "Gigantomanie", sondern ein familienfreundliches Quartier mitten in der Stadt. "Lassen sie uns eine neue Weißenhofsiedlung bauen", sagte Mappus in Anspielung auf das weltberühmte Quartier in Stuttgart, das 1927 unter Federführung von Mies van der Rohe entstand - und anfangs unter Bürgern wie Fachleuten ebenfalls heftig umstritten war.

Aus Stuttgart 21 wird "Stuttgart 21 Plus"

Die erste Friedensbotschaft des Tages an die Adresse der Gegner überbrachte dann Stuttgarts Oberbürgermeister Wolfgang Schuster: Er kündigte die Einrichtung einer Stiftung Rosenstein an, die sich um die Planung und Bebauung des insgesamt 100 Hektar großen Geländes kümmern soll.

Diese Stiftung soll auch Grundstücke der Stadt übernehmen, um sie so vor dem Zugriff von Spekulanten zu schützen. "Diese historische städtebauliche Chance gilt es zu nutzen", bekräftigte Schuster und legte einmal mehr seine Vision von nachhaltiger, umweltfreundlicher Stadtentwicklung dar: Mit Stuttgart 21 sei es möglich, die Parkanlagen zu erweitern und den Stuttgarter Osten und Norden wieder zu vereinen. "In rund zehn Jahren, wenn unser neuer Bahnhof gebaut ist, wird die Bahn über 100 Hektar Fläche von den riesigen Gleisanlagen freiräumen", sagte Schuster.

Auf dem heutigen Gleisareal solle ein komplett CO2-freies Quartier entstehen, sozial vielfältig und demokratisch legitimiert. Im Schlichterspruch heißt es dazu ergänzend, die Stiftung solle für die Erhaltung der Frischluftschneise im Tal sorgen.

Außerdem will Schuster bereits jetzt Jugendliche in die Planung einbinden - denn sie werden irgendwann nach dem Jahr 2020 in der neuen City wohnen und arbeiten. Auch dies war zumindest indirekt das Eingeständnis eines Fehlers: Das Verfahren zur Genehmigung von Stuttgart 21 habe sich viel zu lange hingezogen, räumte Schuster ein - auch Geißler bemängelte dies: Die Planer hätten es unterlassen, frühzeitig Alternativen zu untersuchen.

Ein echter Kompromiss, schränkte er ein, sei daher nicht mehr möglich. Nun soll die nachträgliche Bürgerbeteiligung Frieden bringen: Aus Stuttgart 21 werde "Stuttgart 21 Plus", sagte Geißler.

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