Stuttgart 21:Der kleine Befreiungsschlag des Stefan Mappus

Signal oder Signälchen? Baden-Württembergs Ministerpräsident Mappus beruft im Konflikt um Stuttgart 21 Heiner Geißler als Vermittler - und empfiehlt dem CDU-Veteran sogleich, worüber er zu diskutieren hat. Ein Baustopp oder eine Volksabstimmung sind nicht dabei. Die Opposition buht.

Michael König, Stuttgart

Stefan Mappus hält sein Versprechen. Er hatte "neue Signale" angekündigt. Um 12:38 Uhr hebt der CDU-Ministerpräsident im Plenum des baden-württembergischen Landtags erst den einen Arm, dann den anderen, und dreht sich in Richtung der Grünen-Fraktion.

Stuttgart 21 - Regierungserklärung im Landtag

Er ist erst seit einem halben Jahr im Amt, doch wegen Stuttgart 21 steht er unter Beschuss: CDU-Ministerpräsident Stefan Mappus.

(Foto: dpa)

Er steht da wie ein Verkehrspolizist, der Signale gibt, weil an einer Kreuzung die Ampel ausgefallen ist.

"Herr Kretschmann, ich nehme Ihren Vorschlag auf", sagt Mappus und blickt den Vorsitzenden der Grünen-Fraktion an. "Ich habe Herrn Dr. Heiner Geißler gebeten, Fachleute, Projektgegner und -befürworter an einen Tisch zu bringen. Herr Geißler ist bereit, als Vermittler aufzutreten. Ich danke ihm, dass er dieses schwere Amt übernimmt."

Im Plenum brandet Applaus auf, besonders laut ist er bei der CDU. Mappus' Parteifreunde wirken gut vorbereitet, ihre Arme sind beim Klatschen angewinkelt, die Finger liegen dicht aneinander. Sie verleihen dem Moment Lautstärke, denn aus Sicht der Union ist es der wichtigste Moment seit langem. Die Regierungserklärung, die Mappus an diesem Mittwoch hält, soll nicht weniger als ein Befreiungsschlag sein in der Debatte um Stuttgart 21, die der CDU seit Wochen schlechte Presse beschert.

Noch am Morgen war Mappus im ZDF-Morgenmagazin in die Defensive geraten. Sichtlich nervös hatte er bekräftigt, "alles unter einem Baustopp" sei denkbar, um den Konflikt zu entschärfen. Mittags saß er gedankenversunken im ersten Stock des Landtagsgebäudes, wo eine junge Frau im grünen Blazer von bürgerlichem Protest und der Freiheit des Volkes sprach.

Es war eine Feierstunde zur deutschen Einheit, die Rednerin meinte die Menschen in der DDR. Aber die Sitze ihrer Zuhörer waren so platziert, dass sie unweigerlich durch die großen Fenster auf den Schlossgarten blickten. In Richtung des Ortes, wo vor sechs Tagen der Konflikt gegen Stuttgart 21 eskalierte. Wo Stroh auf dem Boden liegt, um die Schlammwüste zu bedecken, die der Kampf zwischen Wasserwerfern und Demonstranten hinterlassen hat. Wo schon mittags ein Dutzend Polizisten postiert ist, um ein Absperrgitter vor der Baustelle zu beschützen.

Der Mittelpunkt Deutschlands

Auch am Landtag stehen Absperrgitter, doch Demonstranten sind zur Mittagszeit nicht zu sehen. Stattdessen: Heerscharen von Journalisten. "Mir send heid dr Middlpungt von Deidschland", schwäbelt ein Saaldiener. "So voll ischs do zum letschda Mal gwäsa, als dr Mappus zum Minischdrpräsidend gwehld worra isch." Das war im März 2010, und nur ein Jahr später könnte seine Amtszeit schon wieder zuende sein.

Dieser Mittwoch ist ein Schicksalstag für Mappus, das merkt man ihm an. In seiner Rede hält er sich penibel an sein Manuskript. Um 12:38 Uhr sieht es so aus, als könne Mappus auf diesem Weg die Debatte wieder in den Griff bekommen.

Die Berufung Geißlers erntet auch bei der Opposition Applaus, auf ihn als Vermittler können sich alle Parteien einigen. Der CDU-Veteran ist ein erfahrener Schlichter. Anders als der frühere Bundespräsidentschaftskandidat Joachim Gauck, den FDP-Chef Guido Westerwelle vorgeschlagen hatte, hat sich das Attac-Mitglied Geißler noch nicht in der Sache geäußert. Gauck ist pro Stuttgart 21 - auch deshalb hatten die Grünen Geißler als Vermittler empfohlen.

Für Mappus ist es einigermaßen unproblematisch, den ehemaligen CDU-Generalsekretär zu berufen - schließlich ist Geißler ein Mann seiner Partei. Weil Geißler aber auch als Querkopf gilt, der die Linien der CDU gerne einmal sprengt, schickt Mappus drei Minuten später gleich hinterher, worüber Geißler mit den Konflikparteien sprechen soll - über Details, aber nicht über das Projekt an sich. Das passt zu Mappus' bisheriger Linie, aber nicht zu einer Wende. Um 12:41 Uhr sieht es nicht mehr so aus, als könne der Konflikt rasch gelöst werden.

Mappus sagt zunächst, sein Angebot "ist und bleibt". Und das heißt: "Lassen Sie uns über alle offenen Fragen diskutieren!" Was dann folgt, erntet Buhrufe und Kopfschütteln bei der Opposition.

"Sprechen wir ganz konkret über die Architektur im Rosensteinviertel", ruft Mappus. "Sprechen wir ganz konkret über die neuen Bäume im vergrößerten Schlossgarten! Sprechen wir ganz konkret über die Nutzerfreundlichkeit des Bahnhofs!" Auch über die "Gestaltung des Schlossgartens, technische Fragen, Optimierungen im Nahverkehr, Baustellenmanagement sowie Barrierefreiheit an Bahnsteigen und Gebäuden", darüber wolle er diskutieren, sagt der Ministerpräsident.

Die Gegner des Bahnprojekts Stuttgart 21 haben bereits angekündigt, auch bei Geißler-Gesprächen ihren Protest und zivilen Ungehorsam nicht zu beenden. Im Interview mit Maybrit Illner für ZDFonline sagte "Parkschützer"-Sprecher Fritz Mielert, "dass wir unsere Blockade- und Behinderungsmaßnahmen einstellen, wenn das Projekt beendet ist". Heiner Geißler sei als Vermittler zwar "auf jeden Fall akzeptabel" - auf den Forderungen nach sofortigem Baustopp, Abrissstopp und Vergabestopp werde man jedoch bestehen.

Sein Wunsch: "Und wir hoffen, dass sich Herr Geißler diese Forderungen zu Eigen macht." Eine Kompromisslösung sei ausgeschlossen. "Es gibt hier nur Schwarz oder Weiß. Es gibt keinen halben Tiefbahnhof, es gibt keinen halben Kopfbahnhof", so Stuttgart-21-Gegner Mielert.

Was Geißler machen wird, ob er sich an Mappus' Vorgaben hält, all das ist ungewiss. Die Opposition im Stuttgarter Landtag jedenfalls schäumt vor Wut: Die Kommunikationspolitik des Ministerpräsidenten erinnere an den Schulunterricht der fünfziger Jahre, wird Grünen-Fraktionschef Winfried Kretschmann später schimpfen: "Gerade sitzen, brav melden, und wer Kritik übt, der bekommt was auf die Finger!"

Mappus darf dennoch behaupten, das versprochene Signal gegeben zu haben. Er kündigt an, er werde sich mit Schülern treffen, die am Donnerstag auf der Demonstration waren. Solche Szenen dürften sich nicht wiederholen. Er bitte alle Akteure um ihre Mitarbeit: "Protestaktionen müssen friedlich und legal sein. Sie dürfen keine Bühne für Rechtsbrüche bilden. Beleidigungen und Drohungen keine Mittel der demokratischen Auseinandersetzung."

Was folgt, ist eine Wiederholung der bekannten Argumente pro Stuttgart 21: Geringere Fahrzeiten, Zukunftssicherheit, Arbeitsplätze, Umweltverträglichkeit durch die Vergrößerung des Schlossgartens. Hinzu kommen "städtebauliche Chancen, die es im Umfeld einer Großstadt zuletzt in Berlin nach der Wende" gegeben habe. Das Projekt sei nicht überteuert, betont Mappus. Das Land habe jahrelang in den Länderfinanzausgleich gezahlt. "Und jetzt, wo Geld zurückkkommt, lehnen wir höflich ab. Das ist typisch Baden-Württemberg. Die anderen Länder werden sich bedanken."

"Jahrhundertchance nutzen"

Mappus watscht die SPD ab und erinnert sie daran, dass sie lange für Stuttgart 21 war. Er appelliert an die Grünen, nicht dem Populismus zu verfallen und das Projekt mitzutragen. Er ruft das Parlament dazu auf, die "Jahrhundertchance" zu nutzen. SPD-Chef Nils Schmid antwortet später, seine Partei stehe grundsätzlich weiter hinter dem Projekt Stuttgart 21. Es müsse aber zunächst eine Volksabstimmung her, um den Konflikt zu entschärfen. "Kein Strukturprojekt ist es wert, dass eine Gesellschaft ihren inneren Zusammenhalt verliert", ruft Schmid.

Der Ministerpräsident sitzt zu diesem Zeitpunkt schon wieder auf seinem Stuhl. Er hat sein Mobiltelefon gezückt, während die Opposition die ebenso bekannten Contra-Argumente aufzählt und Mappus heftig kritisiert, wie sie das schon in den vergangenen Tagen gemacht hat.

Die Berufung Heiner Geißlers bleibt das einzige Signal. Es sei denn, die Demonstranten setzen neue Zeichen.

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