Stuttgart:Bloß kein Pathos

Bundeskanzlerin Angela Merkel erhält für ihre Flüchtlingspolitik den Eugen-Bolz-Preis - und muss sich nach der Laudatio durch Kardinal Reinhard Marx erstmal sammeln. Dann fordert sie, nicht immer zu zweifeln: "einfach tun!"

Von Josef Kelnberger

"Tja", sagte die Kanzlerin, "was soll man da noch sagen?" Angela Merkel mag keine große Rednerin sein, aber sie versteht es, mit wenigen Worten Pathos aus einem Saal zu vertreiben. Das erschien ihr offenbar angebracht am Mittwoch im Neuen Schloss zu Stuttgart. Merkel erhielt als Anerkennung für ihre Flüchtlingspolitik den Eugen-Bolz-Preis, Erinnerung an den württembergischen Staatspräsidenten und Widerstandskämpfer, der 1945 von den Nazis hingerichtet wurde. Als Laudator versah Kardinal Reinhard Marx, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, Merkels Politik mit kirchlichen Weihen. Sie sei gewohnt, ihre Tage im Kampfmodus zu verbringen, sagte Merkel in ihrer Dankesrede. Und jetzt so viel Lob ..., damit müsse sie erst fertig werden.

Seit 1997 wird der mit 5000 Euro dotierte Preis für Zivilcourage vergeben. Die KZ-Überlebende Wanda Póltawska hat ihn schon erhalten, ebenso Charlotte Knobloch, ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden. Aber noch nie hat die Eugen-Bolz-Stiftung, getragen von der Stadt und der Diözese Rottenburg, so viel Aufmerksamkeit erregt wie mit der Personalie Merkel. Die Preisverleihung war durchaus auch als tagespolitische Botschaft zu verstehen.

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann saß bei dem Festakt neben der Kanzlerin, der Katholik neben der evangelischen Pastorentochter, der Grüne neben der Schwarzen. Nach der Bundestagswahl 2013 hätten die beiden gern jene Koalition geschmiedet, für die es im kommenden Herbst vermutlich keine Mehrheit mehr geben wird. In seinem Grußwort bescheinigte Kretschmann der Kanzlerin, sie habe im Sommer 2015 Tausenden Flüchtlingen aus einer menschenunwürdigen Lage geholfen. "Das war Ausdruck einer humanitären Haltung." Grüne Politik letztlich. Er werde ihre Flüchtlingspolitik weiter unterstützen. So viel Rückhalt hat die Kanzlerin in ihrer eigenen Partei nicht immer bei diesem Thema.

Kardinal Marx bescheinigte der Kanzlerin, sie betreibe ihre Politik auf der Grundlage ihres christlichen Glaubens. Sie habe in einer kritischen Phase Europas ein wichtiges Zeichen für Humanität gesetzt und in der Politik ein Beispiel christlicher Nächstenliebe gegeben. Einen großen Teil seiner Laudatio widmete er dem Phänomen des Rechtspopulismus, der das Projekt der westlichen Moderne gefährde. Merkel erschien in dem Zusammenhang als Anti-Trump, als Anti-Le-Pen, als Verteidigerin der westlichen Werte. Erst am Ende seiner Rede schien Marx die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass Merkel gerade wegen ihrer umstrittenen Flüchtlingspolitik im Herbst abgewählt werden könnte. "Gottes Segen für Ihr Wirken", wünschte er, "wo immer es auch sein mag."

Die Kanzlerin hielt, nachdem sie sich gesammelt hatte, eine sehr politische Rede. Für die europäische Einheit zu kämpfen, sei das Vermächtnis des Eugen Bolz, sagte Merkel. Nicht immer nur zweifeln, nicht immer nur reden, forderte sie, "einfach tun!" An der Stelle brandete spontaner Beifall auf.

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