Studie zu deutschen Abgeordneten:Machtlose Volksvertreter

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Etwas im Land verändern und gesellschaftlichen Wandel bewirken? Der Großteil der deutschen Abgeordneten fühlt sich dazu nicht in der Lage. Viele schieben die Verantwortung dem Bürger zu.

J. Bielicki

Deutschlands Politiker wollen vieles verändern - die meisten von ihnen fühlen sich aber zu machtlos, um solche Vorhaben anzustoßen. Nur eine Minderheit unter den Abgeordneten des Bundestags und der 16 Landtage glaubt, persönlich viel für einen gesellschaftlichen Wandel bewirken zu können. Laut einer am Mittwoch veröffentlichten Studie der Stiftung "Change Centre" und der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf meint zwar immerhin jeder dritte Parlamentarier, im Bereich Erziehung und Bildung "persönlich großen politischen Einfluss darauf" zu haben, "welche Veränderungen es hier geben wird". Auf allen anderen Politikfeldern schreibt sich aber höchstens jeder fünfte Volksvertreter eine wichtige Rolle zu.

Fast die Hälfte der deutschen Abgeordneten ist der Meinung, dass weniger sie, sondern vor allem die Bürger die Verantwortung für den gesellschaftlichen Wandel tragen. Klicken Sie auf die Grafik, um die Werte für die einzelnen Parteien zu sehen. (Foto: N/A)

Als möglichen Grund für dieses Gefühl der Machtlosigkeit unter deutschen Abgeordneten führen die Autoren der Studie unter Leitung der Professoren Ulrich von Alemann und Joachim Klewes "die vielfältigen Zwänge von Fraktionen und Parteiapparaten" an. Aus demokratietheoretischer Perspektive sei dieser Befund jedoch "bedenklich". Die Volksvertreter begegneten dem Volk "weniger offensiv und aktiv, sondern reaktiv" - so lesen die Wissenschaftler aus den Antworten auf ihre Befragung: "Sie verstecken sich fast vor den Bürgern."

Das könnte auch daran liegen, dass 46 Prozent der befragten Politiker die Verantwortung für gesellschaftlichen Wandel vor allem beim einzelnen Bürger selbst sehen. 34 Prozent machen dafür die Wirtschaft, aber nur 33 Prozent den Staat verantwortlich. Allerdings teilen sich die Politiker gerade in dieser Frage in zwei Lager - und zwar nach "dem klassischen Links-rechts-Schema", wie die Autoren schreiben. SPD, Linke und Grüne sehen in weit höherem Maß als auf der anderen Seite CDU, CSU und FDP den Staat für Veränderungen und Innovationen zuständig. Andererseits jedoch sehen die Grünen - wie sonst nur noch die Liberalen - auch den einzelnen Bürger als wichtigsten Motor gesellschaftlicher Veränderung.

Auch nach konkreten Themen befragt, lassen sich die Volksvertreter zwei Lagern zuordnen. So sind etwa gut 80 Prozent der Abgeordneten von CDU, CSU und FDP für eine Lockerung des Kündigungsschutzes, was ihre Kollegen von SPD, Grünen und Linken mit großer Mehrheit ablehnen. Umgekehrt wünschen sich fast alle rot-rot-grünen Politiker höhere Benzinpreise, um mit dem Geld den Nahverkehr zu fördern, was wiederum auf fast geschlossene Ablehnung des bürgerlichen Lagers stößt. Die Fragebögen beantworteten 876 der 2442 Abgeordneten aus dem Bundestag und den Landtagen. Dazu kamen 1114 Mitglieder von Kommunalparlamenten aus den 80 Städten. 85 Prozent der Stadträte klagten, den Kommunen fehle das Geld, Veränderungen zu bewirken.

© SZ vom 10.02.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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