Studie:EU-Bürger wollen mehr Europa

Initiative 'Pulse of Europe'

Die Europäische Union ist noch immer attraktiv. Das zeigen nicht nur Pro-Europa-Demos, sondern auch eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung.

(Foto: dpa)
  • Die Brexit-Entscheidung stärkt den Zusammenhalt der übrigen EU-Staaten, ergibt eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung.
  • Sechs von zehn befragten EU-Bürgern sind für eine engere Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten. In Deutschland sind es sogar acht von zehn.
  • Die Bereitschaft, nationale Kompetenzen an die EU abzugeben, ist gestiegen, vor allem in der Außen- und der Sicherheitspolitik.
  • Ob die Verteilung der Flüchtlinge europäisch geregelt werden soll, bleibt umstritten.

Von Veronika Wulf

Die Europäische Union (EU) hat es nicht leicht gehabt in den vergangenen Jahren: mehrere Staaten standen vor der Pleite, der Euro war in der Krise und die Reaktionen auf den großen Flüchtlingsandrang zeigten, dass doch nicht alle Mitglieder die gleichen Werte teilen. Als das Vereinigte Königreich dann auch noch entschied sich abzuseilen, schien die EU als Garant von Frieden, Demokratie und Wohlstand vollends versagt zu haben. Rechtspopulisten forderten weitere Austritte und das Ende der EU. Doch nun zeigt eine repräsentative Studie: So schlimm finden die Bürger ihre EU gar nicht. Sie finden sie sogar ziemlich gut.

Im Mai und Juni hat das Meinungsforschungsinstitut Policy Matters im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung mehr als 7000 Wahlberechtigte zu ihren Einstellungen zur EU befragt. Die Befragten kamen aus acht Ländern: Deutschland, Frankreich, Italien, den Niederlanden, Spanien, Schweden, Tschechien und der Slowakei. Vermutlich wären die Ergebnisse andere, wenn Staaten wie Polen, Ungarn und Griechenland miteinbezogen worden wären. Die Autoren der Studie begründen ihre Auswahl indirekt damit, dass sie vergleichbar mit einer ähnlichen Untersuchung der Stiftung aus dem Jahr 2015 sein sollte. Dadurch sollten Einflüsse wie der Brexit und die Trump-Wahl auf die Einstellung zur EU sichtbar werden.

Der Vergleich zeigt: Die Gefahren von außen stärken den Zusammenhalt. 61 Prozent der Befragten aller Länder sind bereit, enger mit den anderen EU-Mitgliedstaaten zusammenzuarbeiten. Dies ist vor allem in den Führungsnationen Deutschland und Frankreich der Fall: Acht von zehn Deutschen und sechs von zehn Franzosen wollen enger mit den anderen EU-Ländern zusammenrücken. Tschechien ist das einzige Land, in dem sich mehr Bürger gegen eine wachsende Kooperation aussprachen (47 Prozent) und nur vier von zehn dafür.

Die Bürger merken, was sie an dem Bündnis haben

Generell hat sich die Stimmung in den vergangenen knapp zwei Jahren deutlich verbessert: Sah 2015 nur ein gutes Viertel aller Befragten einen Vorteil in der EU-Mitgliedschaft des eigenen Landes, so sind es heute 44 Prozent. Das mag auch daran liegen, dass die erste Studie im Herbst 2015 durchgeführt wurde, als besonders viele Flüchtlinge nach Europa kamen. Inzwischen hat sich die Lage entspannt - und schon steigt der Glaube an die EU. Doch auch das Brexit-Votum hat wohl dazu beigetragen: Viele Bürger merken, dass sich die EU jederzeit auflösen könnte - und realisieren, was sie an dem Bündnis haben.

Allerdings gibt es deutliche Unterschiede zwischen den Staaten: Am positivsten eingestellt sind die Deutschen, bei denen fast zwei Drittel Vorteile für ihr Land in der EU sehen - doppelt so viele wie 2015. Nur 10 Prozent sehen eher Nachteile. Auch in der Slowakei und in Spanien gibt es heute viel mehr Optimisten bei dieser Frage. Bei den Italienern liegen Vor- und Nachteile gleichauf, was die Forscher darauf zurückführen, dass Italien der größte Leidtragende des Dublin-Abkommens ist. Selbst in Tschechien, Schlusslicht des Optimismus-Rankings, hat sich die Zahl derer, die einen Vorteil in der EU sehen, auf 25 Prozent verdoppelt.

Insgesamt glauben auch wieder mehr Menschen, dass die EU eher Chancen als Risiken birgt und das Bündnis zu mehr Wohlstand führe. Die Meinungen über den Euro gehen jedoch noch stärker auseinander als 2015: Deutsche, Franzosen und Spanier haben ein deutlich größeres Vertrauen in die Währung als Slowaken, Niederländer und Italiener.

Der Brexit löst zwar Sorgen aus, aber keine Panik

Dem Brexit sehen viele Bürger mit Sorge, aber nicht mit Panik entgegen. Die meisten befürchten, dass die EU dadurch geschwächt wird (40 Prozent), ein gutes Drittel erwartet, dass sich nichts verändern wird. Und in Spanien, Frankreich und Italien glaubt sogar rund ein Fünftel, dass der Brexit die EU stärken könnte. Das begründen die Autoren der Studie damit, dass das Vereinigte Königreich diese wirtschaftlich angeschlagenen Länder besonders rigoros dazu aufgefordert hatte, die Schuldengrenze einzuhalten. Den Austritt der Briten sähen sie als Erleichterung.

Insgesamt sind also viele Bürger bereit, mehr Europa zu wagen. Aber wie? Durch restriktive Maßnahmen. Die meisten Befragten (79 Prozent) fordern sicherere Außengrenzen, gefolgt von einer "stärkeren Überwachung der Haushaltsdisziplin der Mitgliedsländer". Außerdem wollen sie mehr mitbestimmen, etwa in Form von europaweiten Volksentscheiden zu wichtigen Fragen und durch eine Direktwahl des EU-Präsidenten. Auch ein stärkeres Militär zur Verteidigung der EU findet die Mehrheit gut.

Sogar die Bereitschaft, Kompetenzen vom Staat an die EU zu übergeben, ist seit 2015 leicht gestiegen, vor allem, wenn es um Außen- und Sicherheitspolitik, die Besteuerung internationaler Unternehmen und die Handelsbeziehungen zu den USA geht. Aber: Haushalts-, Arbeitsmarkt- und Rentenpolitik soll lieber im eigenen Land geregelt werden, sagen die Befragten.

Die Flüchtlingspolitik bleibt die wichtigste Aufgabe der EU

Die wichtigste Aufgabe der EU jedoch - da ist sich die Mehrheit der Bürger in sieben von acht Ländern einig - ist die Flüchtlingspolitik. Das Thema landete schon 2015 auf Platz eins der Dringlichkeitsliste. Und noch immer sind die meisten Befragten eher für eine Eindämmung der Zuwanderung, obwohl inzwischen deutlich weniger Flüchtlinge nach Europa kommen.

Interessant dabei: Das Thema Flüchtlinge ist besonders in jenen Ländern wichtig, die kaum welche aufgenommen haben, wie Tschechien und die Slowakei. Dort halten drei Viertel der Befragten die Flüchtlingspolitik für die wichtigste Aufgabe der EU. In Italien dagegen, wo mit Abstand am meisten Flüchtlinge ankommen, sieht das nur knapp die Hälfte der Bürger so. Auch in Deutschland, das einen Großteil der Geflüchteten aufgenommen hat, hat das Thema nur für 30 Prozent der Befragten oberste Priorität.

Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, die erst mit großem Abstand auf Platz zwei der wichtigsten EU-Aufgaben liegt, hat bei den Befragten insgesamt an Bedeutung verloren. Wichtiger ist den Bürgern dafür die Bekämpfung des Terrorismus geworden, was wohl auf die jüngsten Anschläge in Frankreich, England und Deutschland zurückzuführen ist. Ein Thema, das nur die Deutschen zu den dringlichsten zählen, ist, den Zusammenhalt in der EU zu stärken. Das macht deutlich, wie wichtig den Deutschen das Bündnis ist. Und dass sie ihre starke Wirtschaft auch auf die EU zurückführen, wie weitere Detailergebnisse der Studie zeigen.

Engere Zusammenarbeit? Gern. Mehr Flüchtlinge? Nein danke

Trotz des Bekenntnisses zu mehr Europa wollen sich aber viele EU-Bürger ein Hintertürchen offen halten: Zwei Drittel fordern, dass die nationalen Parlamente EU-Beschlüssen widersprechen können. Der Vorschlag, die EU-Beiträge für wirtschaftsstarke Länder zu erhöhen, um die Schwachen zu fördern, findet naturgemäß mehr Unterstützer in den Ländern, die davon profitieren würden, also Spanien, Italien und der Slowakei. Doch Deutschland zeigt sich überraschend solidarisch: Auch hierzulande ist die Mehrheit dafür, obwohl die Deutschen den größten Anteil zahlen müssten.

Nicht alle Länder zeigen sich so solidarisch, vor allem dann nicht, wenn es um die Verteilung der Flüchtlinge in Europa geht. Die Meinungen zu einer Lösung auf europäischer Ebene gehen den eigenen Interessen der Länder entsprechend weit auseinander: Die Staaten mit den meisten Flüchtlingen - Deutschland und Italien - sprechen sich mehrheitlich für einen europäischen Weg aus. In der Slowakei und in Tschechien, die bisher kaum Flüchtlinge aufgenommen haben, würden die Bürger das gern weiterhin auf nationaler Ebene regeln. Man könnte es auch so zusammenfassen: EU? Gern. Verantwortung? Nein danke.

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