Studie:Auch Gewerkschafter wählen die AfD

  • Im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung haben Politikforscher 4900 Menschen dazu befragt, welche Rolle Erfahrungen in der Arbeitswelt bei der Wahl von rechten Parteien spielen.
  • Besonders interessierten sich die Forscher für die soziale Lebenslage der Befragten und ob die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft eine Rolle spielt.
  • Eines der zentralen Ergebnisse: Abstiegsängste und Unsicherheit über die eigene Zukunft lassen Wähler ihr Kreuz bei der AfD machen.

Von Markus C. Schulte von Drach

Unsicherheit und Zukunftsängste spielen rechtspopulistischen Parteien in die Hände. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Politikforscher von policy matters und der Universität Paderborn haben dazu fast 4900 Deutsche zu ihrem Hintergrund, ihrer politischen Haltung, ihren Werten befragt - und zu ihrer möglichen Neigung, für die AfD zu stimmen.

Besonders interessierten sich die Forscher für die soziale Lebenslage der Befragten und ob die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft eine Rolle spielt.

Wie aus der jetzt vorgestellten repräsentativen Umfrage mit dem Titel "Einstellung und soziale Lebenslage" hervorgeht, ist es nicht in erster Linie die aktuelle Lebenssituation, die die Haltung der Menschen verändert. Mit dieser sind die meisten weitgehend zufrieden. Es ist vielmehr die Sorge vor dem, was die Zukunft für sie und ihre Kinder bringen könnte - und dass sie sich von den etablierten Parteien im Stich gelassen fühlen, was die Menschen dazu bringt, auf Rechtspopulisten zu hören.

Obwohl Gewerkschaften gemeinhin als eher links wahrgenommen werden, wählen im Schnitt genauso viele ihrer Mitglieder die AfD wie in der übrigen Bevölkerung. Auch ob Tarifverträge und ein Betriebsrat vorhanden sind, spielt bei der Wahlentscheidung für die AfD im Allgemeinen keine Rolle.

Besonders eine Gruppe der Befragten mit einem Einkommen von bis zu 2499 Euro, ohne Tarifvertrag und mit befristeter Beschäftigung neigt den Wissenschaftlern zufolge besonders häufig dazu, AfD zu wählen. Den entgegengesetzten Effekt hatte es, wenn sich die Betroffenen ehrenamtlich engagierten oder Mitglied in einer Nichtregierungsorganisation waren.

Den Forschern zufolge belegt diese Beobachtung, dass es gerade in der unteren Mittelschicht Unsicherheitsfaktoren am Arbeitsplatz und mangelnder tarifvertraglicher Schutz die "treibenden Faktoren für die AfD-Wahl sind". Die Erfahrung, selbst mitgestalten zu können, schütze dagegen vor Rechtspopulismus.

Es sei vor allem das subjektive Gefühl eines Abstiegs im Vergleich zur älteren Generation, das bei der Wahlentscheidung für die AfD eine wichtige Rolle spiele, so die Wissenschaftler - und das Gefühl eines drohenden weiteren sozialen Abstiegs. Die Betroffenen fühlen sich demnach durch die Politik nicht ausreichend geschützt. Exemplarisch zeigen die Wissenschaftler das am Beispiel Arbeitslosigkeit. Diese führe nicht dazu, dass jemand eher die Rechtspopulisten wählt. Signifikant häufiger würden aber Menschen die AfD wählen, wenn sie davon ausgehen, dass sie keinen neuen Job finden, sollten sie entlassen werden. Ausnahme: Gewerkschaftsmitglieder.

Viele sind durch die Globalisierung und den Freihandel verunsichert, befürchten zunehmende Fremdbestimmung und Kontrollverlust und haben Angst vor Nachteilen durch den technologischen Wandel, der zu zunehmender Überwachung und Rationalisierung am Arbeitsplatz führen könnte. Letzteres fürchten besonders Mitarbeiter in Kleinbetrieben. Dazu kommt bei vielen Menschen die Angst vor einer Überfremdung durch Zugewanderte wie Flüchtlinge.

Diese Sorgen, das Gefühl, es würde draußen in der Welt entschieden, was mit ihnen geschieht und die Unzufriedenheit über eine unsichere Zukunft erhöhen demnach die Bereitschaft, Rechtspopulisten zu wählen.

Besonders groß ist diese Bereitschaft den Wissenschaftlern zufolge in der unteren Mittelschicht und außerdem unter Arbeitern, "allerdings sind es keinesfalls ausschließlich die 'sozial Abgehängten', die die AfD wählen bzw. zum Wählerpotenzial gehören".

Viele Menschen fühlen sich von der Regierung und den Parteien mit ihren Sorgen alleingelassen, was zu einem subjektiven Ohnmachtsgefühl und einer großen Unzufriedenheit mit der Demokratie in Deutschland insgesamt führt. Dazu kommt bei vielen das Gefühl, der Staat schütze sie nicht ausreichend vor Herausforderungen wie jenen, die durch Zuwanderung entstehen. Vielmehr halten viele die Demokratie durch Partikularinteressen untergraben - gegen die die Parteien und die ihnen angeblich hörigen Medien zu wenig tun würden. In Reaktion darauf wächst der Wunsch nach mehr aktiver, direkter Bürgerbeteiligung.

Vielen Befragten ist besonders wichtig geworden, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen. "Die Deutschen", so schreiben die Forscher, "fühlen sich in einer Zeit tiefgreifender Veränderungen in der Gesellschaft zunehmend auf sich selbst zurückgeworfen." Sich selbst nehmen viele zwar noch als empathische Akteure wahr. Anderen gegenüber aber herrsche inzwischen ein ausgeprägtes Misstrauen. Und auch die Bereitschaft, sich den Händen autoritärer Politiker zu überlassen, ist relativ hoch. Nur 64 Prozent lehnen dies ab. Alle Übrigen können sich vorstellen oder es ist ihnen gleichgültig, ob sie autoritär regiert werden.

Bei den potenziellen AfD-Wählern unter den Befragten sind diese Haltungen jeweils häufiger. Sie zeigen ein "erkennbar autoritäreres politisches Profil als die Gesamtbevölkerung" und sind deutlich misstrauischer allen anderen gegenüber. 70 Prozent der AfD-Anhänger etwa finden, man könne im Umgang mit anderen Menschen nicht vorsichtig genug sein. In der Gesamtbevölkerung sieht das immerhin jeder Zweite so. 52 Prozent fordern die Wiedereinführung der Todesstrafe - unter allen Befragten insgesamt tut das allerdings immerhin auch fast jeder Dritte.

Trotzdem hoffen die Forscher, dass ihre Studie zeigt: Es lassen sich konkrete Einstellungsmuster und soziale Lebenslagen identifizieren, die rechtspopulistische Orientierungen verstärken. "Genauso lassen sich aber auch Faktoren konkret benennen, die vor der Wahl der AfD schützen und damit Demokratie und Zusammenhalt in der Gesellschaft wie in der Arbeitswelt stärken."

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