Studie:Babyblues

Die Freude aufs erste Kind ist bei den meisten werdenden Eltern riesig. Doch zwei Drittel von ihnen werden nach der Geburt unzufrieden. Der Wunsch nach einem zweiten Kind schwindet.

Von Werner Bartens

Es ist vielleicht eines der letzten Tabus in unserem Land. Kinder gelten schließlich als das große Glück. Welche Eltern möchten schon zugeben, dass der Nachwuchs sie anstrengt, die Partnerschaft belastet und Vater wie Mutter an den Rand ihrer Nervenkraft bringt. Die Lust auf ein weiteres Kind hält sich bei dieser Stimmungslage in Grenzen. Wie verbreitet die Unzufriedenheit nach der Geburt des ersten Kindes ist, zeigt eine Studie des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung in Rostock im Fachmagazin Demography.

Die Forscher hatten Daten des "sozioökonomischen Panels" ausgewertet. Dabei erfassten sie bei 2000 Erwachsenen Stimmung und Lebensumstände mindestens drei Jahre vor und zwei Jahre nach der Geburt des ersten Kindes. Auf einer Skala von null (gar nicht zufrieden) bis zehn (maximal zufrieden) fühlten sich Mütter und Väter im ersten Jahr ihrer Elternschaft um durchschnittlich 1,4 Einheiten weniger glücklich als in den zwei Jahren zuvor. Mehr als ein Drittel gab sogar zwei oder mehr "Glückseinheiten" weniger an. Selbst Arbeitslosigkeit oder der Tod des Partners gehen nur mit einer Einheit weniger auf der Glücksskala einher, eine Scheidung mit minus 0,6. Von keinerlei Glückseinbußen berichteten nur 30 Prozent der Studienteilnehmer.

Je unzufriedener Eltern nach der Geburt des ersten Kindes sind, desto unwahrscheinlicher wird es demnach, dass sie ein zweites bekommen. "Die Erfahrung der Eltern während und nach der ersten Geburt bestimmt mit, wie groß die Familie wird", sagt Studienleiter Mikko Myrskylä. "Politiker, die sich um niedrige Geburtenraten sorgen, sollten darauf achten, dass es jungen Eltern schon beim ersten Kind gut geht." Von 100 Eltern, die ein Minus von drei oder mehr Glückseinheiten beschrieben, bekamen nur 58 innerhalb eines Jahrzehnts ein zweites Kind.

"Babys sind stressig, keine Frage. Wie man die erste Zeit bewältigt, ist abhängig davon, wie sehr sich die Eltern unterstützen und wie viel Hilfe sie kriegen", sagt Karl-Heinz Brisch, Experte für Bindungsstörungen am Haunerschen Kinderspital der Uni München. "Ist die Mutter niedergeschlagen, geht es dem Vater schlechter, das Baby bekommt die miese Stimmung mit und weint und schreit öfter." Schaukeln sich die negativen Gefühle hoch, kann es zum fatalen Eindruck der Eltern kommen: Das Baby ist schuld an unserem Unglück. Um Verzweiflung, Stress und Missbrauch bei jungen Eltern zu verhindern, hat Brisch ein Kursprogramm ins Leben gerufen, in dem Eltern während der Schwangerschaft auf Probleme nach der Geburt vorbereitet werden.

"Junge Eltern beklagen Schlafmangel, Schwierigkeiten in der Partnerschaft und den Verlust von Freiheit", sagt Myrskylä. Schlechte Erfahrungen während der Entbindung können ebenfalls den Wunsch nach einem weiteren Kind verzögern. Theoretisch wollen die meisten Deutschen zwar mindestens zwei Kinder. Tatsächlich liegt die Zahl der Geburten seit Jahrzehnten unter 1,5 pro Frau. Häufig kommt ein erstes Kind - aber nicht das ursprünglich gewollte zweite. Lag der Anteil an Einkind-Familien bei Müttern, die Ende der 1930er-Jahre geboren wurden, noch bei 25 Prozent, hat er für die Mütter der späten 1960er-Jahrgänge schon 32 Prozent erreicht.

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