Studie:Arbeitnehmer außen vor

Die Gewerkschaften werfen Firmen vor, sich um die Mitbestimmung zu drücken - und die Grünen der Bundesarbeitsministerin, nichts dagegen zu tun.

Von Detlef Esslinger

Die Gewerkschaften werfen großen Teilen der Wirtschaft vor, sich um die Mitbestimmung zu drücken - und die Grünen der Bundesarbeitsministerin, nichts dagegen zu unternehmen. Grundlage des Disputs ist eine Studie der DGB-nahen Hans-Böckler-Stiftung, die in diesen Tagen erscheint.

Darin kommt eine Autorengruppe um den Mitbestimmungs-Experten Norbert Kluge zu dem Ergebnis, dass es nur noch 635 Unternehmen in Deutschland gibt, die einen mit Arbeitgebern und Arbeitnehmern paritätisch besetzten Aufsichtsrat haben. 2002 waren es noch 767. Einen solchen Aufsichtsrat schreibt das Mitbestimmungsgesetz für Kapitalgesellschaften vor, die mindestens 2000 Beschäftigte in Deutschland haben. Zudem gebe es etwa 1500 Unternehmen, in denen die Arbeitnehmer ein Drittel der Sitze besetzen. Das aber sei "nicht einmal die Hälfte" aller Firmen, die laut Drittelbeteiligungsgesetz dazu verpflichtet seien. Dieses Gesetz gilt für Kapitalgesellschaften, die zwischen 500 und 2000 Arbeitnehmer haben.

Die Grünen werfen Nahles vor, nichts gegen die Gesetzeslücke zu unternehmen

Die Autoren schreiben, dadurch "blutet die Mitbestimmung schleichend aus" und nennen drei Gründe dafür: Die beiden Gesetze verhängen keine Sanktionen, wenn man es nicht befolgt. Viele Unternehmen gründen Tochterfirmen, die jeweils knapp unter 500 oder 2000 Mitarbeitern haben; so unterlaufen sie die Gesetze. Und sie flüchten in Rechtsformen, für die diese Gesetze nicht gelten - zum Beispiel die GmbH & Co. KG, die Europäische Aktiengesellschaft (SE) oder die Ltd. & Co. KG. Besonders problematisch seien die Verhältnisse im Einzelhandel. Dort würden mittlerweile 400 000 Arbeitnehmer von der Mitbestimmung ausgeschlossen, indem die Gesetze umgangen würden. Als Beispiele nannten die Autoren: Aldi Nord und Aldi Süd, Kaufland, Lidl, C&A, Esprit, H&M, Deichmann und Zalando.

Die Grünen-Abgeordnete Beate Müller-Gemmeke kannte die Studie vorab und fragte daher das Bundesarbeitsministerium, wie sich die Zahlen der mitbestimmten Unternehmen im Laufe der Jahrzehnte entwickelt haben. Außerdem wollte sie wissen, wie viele Firmen "missbräuchlich" eine Rechtsform wählten, um sich der Mitbestimmung zu entziehen. Das Ministerium von Andrea Nahles (SPD) antwortete auf die insgesamt neun Fragen formal, indem es in unterschiedlichen Formulierungen mitteilte, dass es keine "belastbaren Daten" gebe. In der Tat, offizielle Datenbanken dazu gibt es nicht. Die Grünen-Politikerin Müller-Gemmeke sagte, die Zahlen der Böckler-Stiftung seien aber ein "Alarmsignal". Das müsse die Bundesregierung ernst nehmen und handeln.

"Handlungsdruck" gibt es bei dem Thema auch laut Nahles. Das Wort gebrauchte sie, als sie im April bei der Böckler-Stiftung zu Gast war. Weiter sagte sie, Gesetzeslücken müssten geschlossen werden. Eine Überarbeitung des Mitbestimmungsrechts sieht der Koalitionsvertrag allerdings nicht vor. Dem Vernehmen nach sieht Nahles daher wenig Chancen, bis zur Bundestagswahl 2017 auf den "Handlungsdruck" zu reagieren.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: