Studentenproteste: Prinz Charles attackiert:"Kopf ab"

Ein paar wütende Studenten haben Prinz Charles angegriffen, um gegen die Erhöhung der Studiengebühren zu protestieren. Doch wirklich gefährlich für die Regierung sind die vielen friedlichen Demonstrationen.

Wolfgang Koydl, London

Man könnte ihn den Marie-Antoinette-Moment nennen - den Augenblick, in dem Farbbeutel an die Fenster der königlichen Limousine klatschten und Stiefeltritte gegen die Türen trommelten. Prinz Charles und Gattin Camilla saßen wie versteinert im Fond ihres Rolls-Royce, die Münder schreckhaft geöffnet, als ob im Hinterkopf die beim europäischen Hochadel womöglich latent präsenten Gedanken an Revolution, Königssturz und Guillotine aktiviert worden wären.

Prince Charles, Camilla

"Off with their heads": Prinz Charles und Camilla denken womöglich an Revolution und Guillotine.

(Foto: AP)

Immerhin war laut und deutlich die Stimme zumindest eines Demonstranten zu vernehmen, der immer wieder rief: "Off with their heads, off with their heads" - zu Deutsch: Kopf ab.

Die Fotos von der Attacke auf den Wagen des britischen Thronfolgers werden vermutlich das Bild der jüngsten Studenten- und Schülerproteste gegen die Erhöhung der Studiengebühren an englischen Universitäten prägen. Doch sie sind ebenso untypisch wie die Bilder brennender Müllcontainer und schwarz vermummter Demonstranten, die Leitern und Metallzäune als Rammböcke einsetzten, um sich Zutritt zum Gebäude des Finanzministeriums zu verschaffen. Denn die weitaus größte Zahl der Demonstranten verhielt sich friedlich, so wie schon bei den vorangegangenen Protesten gegen die Verteuerung des Studiums.

Aber gerade deshalb muss die konservativ-liberaldemokratische Koalition unter Premierminister David Cameron sie ernst nehmen, auch wenn sie die Abstimmung über die Gebührenerhöhung knapp durchs Unterhaus bringen konnte. Denn die Studenten-Demos könnten nur ein Vorspiel sein für größere, weitflächigere Proteste von Gewerkschaften gegen angekündigte massive Budgetkürzungen.

So betrachtet kann sich die gelungene Verabschiedung der umstrittenen Studiengebühren durchaus noch als Pyrrhussieg für Cameron und seinen Vize, den Liberaldemokraten Nick Clegg, entpuppen. Denn den Studenten ist gelungen, woran sich die offizielle Labour-Opposition unter ihrem eher glücklos agierenden neuen Vorsitzenden Ed Miliband bislang die Zähne ausgebissen hat: die Regierung ins Schwanken zu bringen.

Auf lediglich 21 Stimmen war die Mehrheit der Koalition bei der Abstimmung über die Studiengebühren zusammengeschnurrt. Normalerweise kann sich die Regierung auf eine Majorität von mehr als 80 Abgeordneten verlassen. Nun aber verweigerten insgesamt 45 Parlamentarier der beiden Regierungsfraktionen die Gefolgschaft, darunter sogar acht Torys. Aber vor allem bei den LibDems gab es Widerstand: 21 Liberaldemokraten stimmten gegen die Erhöhung, darunter die beiden ehemaligen Parteivorsitzenden Menzies Campbell und Charles Kennedy; acht enthielten sich der Stimme, dazu zählte auch der gegenwärtige stellvertretende Parteichef Simon Hughes.

Die liberaldemokratischen Kabinettsmitglieder stimmten geschlossen mit Ja, wenn auch teilweise nach längeren Gewissensqualen. Denn ihre Partei hatte im Unterhaus-Wahlkampf klipp und klar versprochen, jede Erhöhung von Studiengebühren nach allen Kräften zu verhindern. Vor allem Parteiführer Clegg wird deshalb von Studenten der Lüge geziehen; in seinem Wahlkreis in der nordenglischen Stadt Sheffield läuft bereits eine Kampagne, mit der seine Wiederwahl vereitelt werden soll.

Diesmal scheint es Cameron und Clegg noch einmal gelungen zu sein, die Koalition zusammenzuhalten. Auch die Gefahr, dass die Liberaldemokraten zerfallen und sich als zwei verschiedene Parteien neu konstituieren, dürfte fürs Erste gebannt sein. Alle Beteiligten wissen, dass jede ernste Regierungskrise unausweichlich zu Neuwahlen führen würde, bei denen Konservative und Liberaldemokraten aller Voraussicht nach vom Wähler abgestraft würden. In eingeschränkter Form gilt dies sogar für Labour. Die Opposition ist weder programmatisch und schon gar nicht finanziell auf einen Wahlkampf eingestellt und braucht vor allem Zeit, um ihren neuen Führer im Bewusstsein der Öffentlichkeit zu verankern.

Im Rahmen der von Schatzkanzler George Osborne verkündeten Horrorliste an Einsparungen und Kürzungen auf der einen, sowie deutlichen Kosten- und Abgabenerhöhungen auf der anderen Seite hingegen nehmen sich die höheren Studiengebühren, die von 2012 an gelten sollen, eher harmlos aus. Beobachter erwarten daher schon für kommenden Frühling Streiks und andere Formen des Protestes gegen das eigentliche Sparprogramm der Regierung. Mehrere Gewerkschaften haben Arbeitskämpfe angekündigt, vor allem jene, die Angestellte im öffentlichen Dienst vertreten, wo die tiefsten Einschnitte angesetzt werden.

Die Arbeitnehmervertretungen hoffen, dass es auch ihnen, wie jetzt den Studenten, gelingen wird, einen Keil in die Koalitionsregierung zu treiben. Der nächste Wählertest steht Anfang Mai bevor, wenn Schottland und Wales ihre Parlamente und England die kommunalen Vertretungen neu bestimmen. Am selben Tag sollen die Briten auch über eine Reform des Wahlrechts abstimmen, die ein Herzensanliegen und Kernstück des politischen Credos der LibDems ist. Würde dies abgelehnt, wäre dies Nick Cleggs Marie-Antoinette-Moment.

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