Studentenprotest in Mexiko:Demokratie statt Telenovela

Sie sind jung, gebildet und voller Wut: Innerhalb kurzer Zeit hat sich in Mexiko eine Jugendbewegung formiert, die gegen parteiische Meinungsmache in den Medien kämpft. Drei Wochen vor der Präsidentschaftswahl wollen die Aktivisten die politischen Verhältnisse auf den Kopf stellen. Ein Mexikanischer Frühling?

Thomas Schmelzer

Es sind Bilder, wie man sie in Mexiko nur selten sieht. Ein Video zeigt Tausende Jugendliche, wie sie durch die Hauptstraßen von Mexiko-Stadt marschieren, immer wieder werfen sie dem Himmel ihre Fäuste entgegen. Auf ihre Plakate haben die Demonstranten wütende Parolen geschrieben. "Wir wollen eine freie - keine manipulierte Stimme", steht da. Oder: "Die Wahrheit macht uns frei." Am beliebtesten aber ist ein anderer Slogan: "Yo soy 132."

Studentenprotest in Mexiko: Mexikanischer Frühling: Wie aus dem Nichts formiert sich in Mexiko eine neue Protestbewegung. Die Aktivisten fordern unabhängige Medien - und kämpfen dafür, dass Enrique Peña Nieto am 1. Juli nicht zum Präsidenten gewählt wird.

Mexikanischer Frühling: Wie aus dem Nichts formiert sich in Mexiko eine neue Protestbewegung. Die Aktivisten fordern unabhängige Medien - und kämpfen dafür, dass Enrique Peña Nieto am 1. Juli nicht zum Präsidenten gewählt wird.

(Foto: AP)

"Yo soy 132", das bedeutet "Ich bin 132" und ist der Name einer neuen Jugendbewegung, die in Mexiko innerhalb weniger Wochen aus dem Nichts erwachsen ist. Der "Mexikanische Frühling" mischt die politische Klasse auf - und sorgt für neue Spannung im Präsidentschaftswahlkampf.

Bisher galt Enrique Peña Nieto von der Partei der Institutionellen Revolution (PRI) als klarer Favorit für die Wahl am 1. Juli. Doch seitdem vor zwei Wochen allein in Mexiko-Stadt über 15.000 Menschen gegen Peña Nieto und manipulative Medien auf die Straße gingen, ist die Wahl offener geworden.

"Die Situation in Mexiko kotzt mich an"

Am kommenden Sonntag sollen die Proteste weitergehen. Dann will auch Rosa Lemus wieder dabei sein. Die 23-Jährige ist in den letzten Wochen von der braven Studentin zur ungemütlichen Demonstrantin geworden.

"Die Situation in Mexiko kotzt mich an", sagt Lemus, die mittlerweile als Ingenieurin arbeitet. Wie die meisten Demonstranten glaubt sie, dass die großen Medien in Mexiko nicht objektiv über den Wahlkampf berichten. Wie alle fordert sie, dass es mehr Informationen gibt. Und wie jeder in der neuen Bewegung kann Lemus den Tag genau datieren, an dem aus ihrem Frust Protest wurde.

Am 11. Mai hat Peña Nieto einen Auftritt an der Privatuniversität "Iberoamericana" in Mexiko-Stadt. Er will Wahlkampf machen, doch stattdessen werfen die Studenten dem Präsidentschaftskandidaten Menschenrechtsverletzungen vor. Die Situation eskaliert und Peña Nieto muss durch eine Hintertür fliehen. Der TV-Sender "Televisa", den Peña Nieto mit vielen Pesos unterstützt, berichtet danach von 131 Störenfrieden. Kurze Zeit später taucht in den sozialen Netzwerken der Slogan "Yo soy 132" auf. Wir sind mehr als 131 Rabauken, soll das heißen. Die Bewegung ist geboren.

Die Studenten kämpfen um ihre Macht

Die Studenten twittern, stellen Videos auf Youtube, laden ihre Freunde bei Facebook ein. Sie wollen zeigen, dass man ihre Stimme nicht mehr einfach überhören kann. Es dauert keine zwei Wochen, bis am 23. Mai in über 20 mexikanischen Städten verärgerte Menschen über die Straße marschieren.

"Am Anfang war ich ein bisschen skeptisch, ob wirklich viele Leute kommen würden", sagt Lemus, die in Mexikos zweitgrößter Stadt, Guadalajara, protestiert. Doch als sie mit Tausenden auf der Straße steht, glaubt sie an den Erfolg. "Ich wollte so laut schreien, dass jeder hören kann, was in diesem Land falsch läuft."

Mittlerweile ist aus der Studentenbewegung eine nationale Bewegung geworden. Einer neuen Umfrage zufolge glauben 65 Prozent der Mexikaner, dass der Protest gut für ihr Land ist. Jeder Zweite sagt, er könne sich vorstellen, mit den Aktivisten zusammenzuarbeiten.

"In der Bewegung ist die gesamte Gesellschaft vertreten", sagt auch Jorge Daniel Uriega. Genau wie Lemus ist der 22-jährige Uriega kein besonders politischer Mensch - aber genau wie Lemus will sich der Student nicht mit dem Einheitsbrei, den die mexikanischen Medien anbieten, abspeisen lassen.

"Wir haben in Mexiko ein Medien-Monopol", sagt Uriega. Er glaubt nicht an eine unabhängige Berichterstattung. Stattdessen redet er von einer Polit-Telenovela, in der die zwei großen TV-Sender "Televisa" und "TV Azteca" Peña Nieto und seiner Partei den Weg bereiten. "Die Medien werden von Peña Nieto beeinflusst - deswegen tun sie alles, damit er die Wahl gewinnt."

Hassfigur: Enrique Peña Nieto

Genau das wollen die Demonstranten verhindern. Peña Nieto ist für sie nicht nur ein Kandidat, sondern Symbol für die 71-jährige Herrschaft der PRI. Jener Partei, die sich in Mexiko bis 2000 im Stile einer Staatspartei an der Macht hielt und bei vielen Studenten bis heute verhasst ist. "Wir sind unparteiisch", verkündeten die "Yo soy 132"-Anhänger zwar vor kurzem auf ihrer ersten Vollversammlung. Aber sie sagen auch: Peña Nieto wollen wir nicht.

Über solche Aussagen freut sich besonders der Linkskandidat Andrés Manuel López Obrador. Er gilt unter vielen Demonstranten als einzig wählbare Alternative zu Peña Nieto und versammelt bei Auftritten bis zu 15.000 Menschen um sich. In Prognosen legte er in den vergangenen Wochen zu - liegt aber immer noch deutlich hinter Peña Nieto.

Für Jorge Daniel Uriega ist der wichtigste Schritt aber getan - egal wie die Wahl ausgeht. "Unsere Generation ist heute nicht mehr so apathisch wie früher", sagt er. "Wir werden der Politik und den Medien schon zeigen, dass wir die Macht haben. Und nicht sie."

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