Stromausfall in Westeuropa:Aufwachen nach dem Blackout

Ausgangspunkt des gewaltigen Stromausfalls vom Samstag war eine Hochspannungsleitung im Emsland, die durch den Energieerzeuger Eon abgeschaltet wurde. Politiker sehen die Energieversorger nun in der Pflicht - und fordern eine europäische Aufsichtsbehörde.

Nach mehreren Pannen im deutschen Stromnetz sind am Samstagabend in Millionen Haushalten in Westeuropa die Lichter ausgegangen. In Deutschland saßen weit über eine Million Menschen in Nordrhein-Westfalen, Bayern und Hessen im Dunkeln.

Stromausfall in Westeuropa: Eine Frau putzt sich am Sonntag in Freiburg bei Kerzenschein die Zähne - Ausnahme oder künftig häufiger der Fall?

Eine Frau putzt sich am Sonntag in Freiburg bei Kerzenschein die Zähne - Ausnahme oder künftig häufiger der Fall?

(Foto: Foto: dpa)

In Frankreich hatten fünf Millionen Bürger nach Medienberichten keinen Strom. Der Energieausfall dauerte meist nicht länger als eine Stunde, legte aber in Deutschland und Belgien den Zugverkehr streckenweise lahm.

Die Ursachen dafür sind nun weitgehend geklärt: Wie Eon-Energie-Vorstandsmitglied Klaus-Dieter Maubach im ZDF mitteilte, lag der Ausgangspunkt des Stromausfalls bei der Abschaltung einer Hochspannungsleitung im Emsland durch sein Unternehmen. Maubach zufolge ist das Unternehmen jetzt mit der zuständigen Bundesnetzagentur im Gespräch, die die Störfälle untersuche.

Die Abschaltung allein reicht nach den Worten des Sprechers von Eon Netz, Christian Schneller, als Erklärung jedoch nicht aus. Schneller sagte am Montagmorgen im Bayerischen Rundfunk, dass die Störungen erst eine halbe Stunde nach der Abschaltung aufgetreten seien, auch seien die Auswirkungen in Europa unterschiedlich gewesen. "In Westeuropa hatten wir tendenziell zu wenig Energie, es ist dort zu automatischen Abschaltungen im großen Umfang gekommen, im östlichen Teil des Netzes hatten wir tendenziell zu viel Energie."

Bereits am Sonntag hatte Schneller auf den möglichen Ursprung hingewiesen. "Eine halbe Stunde vor dem Netzausfall wurde eine Höchstspannungsleitung über der Ems nördlich von Papenburg ausgeschaltet, um ein Schiff passieren zu lassen." Für große Schiffe sei es zu riskant, unter einer nicht abgeschalteten Hochspannungsleitung durchzufahren, sagte ein Sprecher der Meyer-Werft in Papenburg.

"Unkoordinierte Einspeisung"

Auch in der Menge des eingespeisten Stroms in die Netze wird ein weiterer möglicher Faktor für den Blackout gesehen. Am Samstag habe es eine erhöhte Einspeisung von Windkraft-Strom gegeben, im Gegenzug sei vermutlich die übrige Strommenge nicht ausreichend reduziert worden, erklärte das nordrhein-westfälische Wirtschaftsministerium.

Der Chef des Berliner Energieforschungsinstituts EEFA, Bernhard Hillebrand, ergänzte: "Vor allem wegen der unkoordinierten, stetig zunehmenden Einspeisung regenerativer Energien ins Netz sind häufigere Stromausfälle nicht auszuschließen."

Regenerative Energiequellen sollten deshalb in absehbarer Zeit wie konventionelle Stromanbieter dazu angehalten werden, Strom nur dann einspeisen, wenn er gebraucht wird. Überschüssige Energie müssten sie dann etwa in Pumpspeicherwerken lagern. Belgische und französische Netzbetreiber hatten schon am Sonntagmorgen eine Panne im deutschen Stromnetz für die Ausfälle verantwortlich gemacht.

Die Bundesregierung griff die Energieversorger scharf an. Die Versorger müssten ihrer gesetzlichen Pflicht nachkommen und ein leistungsfähiges Stromnetz gewährleisten, sagte der Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD)in Berlin. Bayerns Wirtschaftsminister Erwin Huber sprach von einem Alarmsignal, "das alle Verantwortlichen dazu bringen muss, die Versorgungssicherheit zu überprüfen und gegebenenfalls Nachbesserungen vorzunehmen". Eine derartige Panne an einem Arbeitstag wäre nach Meinung Hubers mit einem beträchtlichen volkswirtschaftlichen Schaden verbunden.

Gabriel sagte, die Versorger müssten ihre Gewinne in das Stromnetz investieren. Die Stromausfälle zeigten, dass der Netzausbau notwendig sei, "weil wir in einem europäischen Strommarkt leistungsfähige Netze für den rapide zunehmenden Transport über große Entfernungen brauchen." Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) verlangte von Eon eine rückhaltlose Aufklärung. "Mein Ministerium wird von Eon einen Bericht über die Netzstörung erhalten.

Prodi will europäische Energiepolitik

Wir werden diesen Bericht zügig analysieren, um gemeinsam mit den Unternehmen sicherzustellen, dass sich solche Vorfälle, wenn irgend möglich, nicht wiederholen." Experten fordern seit Jahren einen Ausbau der Leitungen und Verteilernetze. "Ohne diese Investitionen", warnte die Europäische Kommission im Dezember 2003, "und bei Fortdauer der gegenwärtigen Nachfragesteigerung und Belastung des Netzes entsteht ein immer größeres Risiko von Versorgungsunterbrechungen." Eon ist mit einem Umsatz von 56 Milliarden Euro der größte private Strom- und Gasversorger in Europa.

Eon-Energie-Vorstandsmitglied Klaus-Dieter Maubach verwahrte sich gegen die Kritik der Bundesregierung an den Stromerzeugern. "Die Netze sind in einem guten Zustand, die Netze werden ständig gewartet, wir investieren in diese Netze", sagte Maubach am Montag im ZDF. So werde Eón-Energie in den kommenden Jahren etwa 2,8 Milliarden Euro in die Verbesserung und den Ausbau des Stromnetzes in Deutschland stecken.

Grundsätzlich lasse sich auch trotz des massiven Stromausfalls vom Wochenende von einer "sehr guten Versorgungszuverlässigkeit" sprechen, sagte Maubach weiter.

Unterdessen forderte deritalienische Ministerpräsident Romano Prodi eine EU- Strombehörde. "Europaweite (Strom)Verbindungen ohne eine gemeinsame europäische Behörde - das ist ein Widerspruch", sagte Prodi. Dies sei eine ernste Angelegenheit, bei der die Politiker eingreifen müssten."In Europa hängt heute jeder von jedem ab, aber es gibt noch keine gemeinsame europäische Energiepolitik", fügte der frühere EU- Kommissionspräsident hinzu. Etwa zehn Millionen Europäer seien von der Panne betroffen gewesen, sagte der Präsident des französischen Stromzulieferers RTE, André Merlin, am Sonntag in Paris.

Auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) forderte eine europäische Aufsichtsbehörde. Die DIW-Energieexpertin Claudia Kemfert sagte, die Energiekonzerne müssten die Netze besser ausbauen. "Wir brauchen eine Europäische Aufsichtsbehörde, die das Stromnetz managt.". Stromausfälle mit Kettenreaktionen seien etwas, was in Europa gar nicht passieren dürfe.

"Begründung trägt nicht"

Auch andere Politiker und Experten fordern eine Überprüfung des deutschen Stromnetzes. Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesumweltministerium, Michael Müller (SPD), verlangte am Montag von den Energieunternehmen eine gründliche Aufklärung. "Wir brauchen umgehend einen Bericht über die nationale Leistungsfähigkeit der Netze. Die Netzbetreiber müssen dazu einen detaillierten Gesamtbericht vorlegen."

Die Konzerne müssten die Frage beantworten wie die Netze gerüstet sind, um Versorgungssicherheit und Stabilität zu gewährleisten. Es könne nicht sein, dass die Netzbetreiber immer höhere Gewinne machten, die nötigen Investitionen jedoch nur zögerlich vorankämen. Es gebe ein eklatantes Missverhältnis zwischen den Gewinnen der Netzbetreiber und ihren Kosten. Von der Bundesnetzagentur wisse man, dass die Netzgebühren weit überhöht seien.

Grünen-Fraktionschefin Renate Künast rief die Stromkonzerne auf, mehr für die Netzsicherheit zu tun. "Unsere hohen Netzgebühren und damit auch die Strompreise werden immer mit der hohen Netzsicherheit begründet", sagte die ehemalige Verbraucherschutzministerin. "Wenn Netzfehler oder mangelhafter Betrieb Ursache des Stromausfalls sind, ist das ein weiteres Indiz dafür, dass die Begründung der Energiekonzerne nicht trägt."

Auch der stellvertretende SPD-Fraktionschef Ulrich Kelber warf den Energieversorgern vor, zu wenig in die Netze investiert zu haben. Kelber verwies auf Berechnungen unter anderem des Verbandes der Elektrotechnik (VDE). Danach seien die Netzinvestitionen seit den achtziger Jahren um 40 Prozent zurückgegangen. Die Stromausfallzeiten seien seitdem von durchschnittlich 15 Minuten auf 23 Minuten im Jahr gestiegen. "Das ist nicht akzeptabel", kritisierte Kelber.

Der Bund der Energieverbraucher warnte vor weiteren Pannen. Der Chef des Bundes, Aribert Peters, sagte: "Die Versorgungssicherheit ist nicht mehr gewährleistet." Sein Verband weise seit langem darauf hin, dass die Netze marode seien. An einem "normalen Novembertag" sei die Belastung nicht so hoch, dass es zu einer solchen Panne kommen dürfe. Das Netz müsse in der Lage sein, ganz anderen Wetterbedingungen stand zu halten. "Dass es jetzt schon zusammengebrochen ist, lässt nichts Gutes ahnen", sagte Peters.

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